Nach dem Interview mit Thomas Kiessling und Claudia Denise Beck – beide Sänger am Theater Trier – geht es nun weiter mit unserer Interviewreihe. Dieses Mal führte 5vier-Redakteurin Stefanie Braun ein Gespräch mit René Klötzer, einem der Tänzer unter der Leitung von Sven Grützmacher. Er spricht mit uns über den Alltag eines Tänzers, Vorurteile und Verschleißpunkte.

René Klötzer: "Wir geben alles um die Leute zu begeistern". Foto: David Schmitz, Theater Trier, "Dance around the World" aus der Spielzeit 2010/11
5vier: Wie wird man Tänzer?
R. Klötzer: Der normale Weg eines Tänzers besteht darin frühzeitig mit einer Ausbildung anzufangen – viele meiner Freunde haben bereits mit fünf oder sechs Jahren angefangen hobbymäßig zu tanzen. Ich habe im Alter von neun Jahren mit Gesellschaftstanz angefangen und mit zwölf eine Einladung zu einer professionellen Tanzhochschule in Dresden bekommen. In diesem Alter habe ich sozusagen angefangen zu „studieren“ – klassischen Tanz, modernen Tanz, alles was dazugehört, auch die Tanz-theoretischen Fächer, wie Tanzgeschichte, Musiktheorie, Musikgeschichte. Nebenbei habe ich meinen Realschulabschluss gemacht. Es bestand dann eine Sonderregelung, dass man nach der zehnten Klasse kein Abitur brauchte um studieren zu können. In der Regel ist es so, dass man sich relativ frühzeitig, bei mir eben mit zwölf Jahren, dazu entscheidet Tänzer zu werden. Die Ausbildung dauert dann meistens zwischen sieben und zehn Jahren und im Anschluss versucht man dann einen Job zu finden.
5vier: Wie kommt man an eine solche Einladung?
R. Klötzer: Das ist relativ simpel: jede Schuleinrichtung hat eine Presse- bzw. Öffentlichkeitsarbeitstelle, die dann von Tanzschule zu Tanzschule geht, Prospekte verteilt und die Leute neugierig macht. Daraufhin kann man sich die Schule anschauen. Es gibt Tage der offenen Tür, an denen Neubewerber reinschnuppern können und dann entscheiden ob sie eine Aufnahmeprüfung an einer solchen Schule machen wollen.
5vier: Ist die Schule kostenpflichtig?
R. Klötzer: Die meisten Schulen sind kostenpflichtig. Die Preise ändern sich jährlich.
5vier: Du hast einen Realschulabschluss, inwiefern wäre der gültig, wenn du jetzt mit dem Tanzen aufhören wolltest?
R. Klötzer: Ich hab zwar einen Realschulabschluss gemacht, aber durch die Aufnahme an der Hochschule habe ich ein Diplom. Nach der Realschulzeit machte ich an der Hochschule weiter und der praktische Teil des Tanzens wurde erweitert durch verschiedene theoretische Teile, wie etwa Anatomie und Bewegungslehre. Das sind dann vier zusätzliche Jahre und am Ende dieser Zeit macht man ein Diplom. Das Diplom besteht aus zwei Teilen, einer schriftlichen Arbeit und einem eigenen Stück. Du kannst auch eine eigene Choreographie zeigen. Hast du die Prüfungen bestanden bist du ausgebildeter Diplom- Bühnentänzer. Mit diesem Diplom kann man auch weiter studieren, außer einiger bestimmter Fächer, wie zum Beispiel Medizin.
5vier: Was macht man nach dem Tanzen? Wie wichtig ist ein zweites Standbein?
R. Klötzer: Ich glaube ein zweites Standbein zu haben, wäre eine gute Idee, aber leider fehlt einfach die Zeit dafür frühzeitig eines aufzubauen. Ich habe es bei vielen Tänzern erlebt, die neben dem Tanzen auch Choreographien gemacht haben. Das habe ich jetzt auch gemacht. Die können nach ihrer Karriere gleich wechseln. Aber an sich ist es nicht möglich frühzeitig ein zweites Standbein zu schaffen weil das Tanzen einen doch sehr einnimmt. Da bleibt wenig Zeit um sich mit anderen Dingen zu beschäftigen.
5vier: Was macht man denn dann genau nach dem Tanzen? Der Weg in die Theorie scheint ja vorgefertigt.
R. Klötzer: Das ist sehr unterschiedlich. Es gibt viele, die in die Physiotherapie gegangen sind, einige entscheiden sich dafür in die pädagogische Richtung zu gehen. Man arbeitet dann als Tanzpädagoge oder eben als Choreograph. Es kommt natürlich auch darauf an, wie fit man körperlich noch ist und was einem am nächsten liegt. Ich habe mal jemanden getroffen, der Tänzer war und dann Ingenieur geworden ist, aber sowas ist wirklich selten.
5vier: Hat man überhaupt Zeit für ein Privatleben?
R. Klötzer: Doch es bleibt noch Zeit für ein Privatleben. Es kommt natürlich auch darauf an, an welchem Theater man arbeitet. Wir haben es hier ziemlich gut, mit zwei Tanzproduktionen im Jahr und zusätzlicher Mitarbeit in Operetten und Musicals. Bei uns gibt’ s immer Phasen, die stressig sind und dann wiederum andere in denen es relativ wenig zu tun gibt – hier kann man sich dann auch mal erholen. An einem normalen Arbeitsalltag ist von 10- 14 Uhr und von 18- 21 Uhr Training und Probe. Durch einen Gastchoreographen arbeiten wir im Moment von 10- 17 Uhr durch. Das geht dann sechs Tage die Woche so und wenn sonntags Vorstellungen sind, natürlich auch Sonntagabends. Wenn’s hochkommt habe ich also auch schon mal eine sieben-Tage-Woche.

Rene Klötzer (zweiter von links) kann "stolz auf sich sein". Foto: David Schmitz, Theater Trier, "Dance around the World" aus der Spielzeit 2010/11
5vier: Warum wird man Tänzer? Was treibt einen an?
R. Klötzer: Verschiedene Punkte treiben einen an, einerseits das Ausloten der eigenen körperlichen Grenzen. Ich genieße es zum Beispiel meine eigenen körperlichen Grenzen in der Bewegung kennen zu lernen. Natürlich auch das Gefühl, wenn man nach zwei Monaten harter Arbeit ein neues Stück vor Publikum vorführt. Wenn der Vorhang fällt und 700 Leute klatschen, weil es ihnen gefallen hat, ist das schon ein besonderes Gefühl. Man merkt auch während der Vorstellung schon, wie still die Leute sind, weil sie gebannt sind. Dafür lebt man eigentlich. Die Zuschauer merken gar nicht, was wir eigentlich alles leisten. Zum Beispiel gibt es viele Verletzungen und über alle diese „Kleinigkeiten“ steigt man als Künstler hinweg, rauft sich zusammen und geht jeden Tag an die Arbeit – nur um dem Publikum etwas zu präsentieren. Ich glaube, sich selbst so zu beherrschen ist das was mich reizt. Die Grenzen zu testen, jeden Tag einfach alles zu geben und diesen Kick zu erfahren. Abends nach Hause zu kommen und nicht mehr laufen und nicht mehr atmen, sondern einfach nur noch ins Bett gehen zu wollen. Es ist ein besonderes Gefühl, wenn man weiß: Ich hab heute wieder alles gegeben. Man kann stolz auf sich sein.
5vier: Merkt man körperliche Beschwerden? Auch längerfristig?
R. Klötzer: Verschleißpunkte liegen vor allen Dingen im Rücken. Vor allem bei Tänzern die schon etwas länger arbeiten, sind Bandscheibenvorfälle der Regelfall. Betroffen sind auch oftmals die Knie, die vielen Hebungen gehen eben auf Rücken und Knie. Die Fußgelenke sind sehr beansprucht durch das ständige Springen und Strecken der Füße. Das sind die Hauptpartien, an denen ein Verschleiß entsteht. Bei Frauen ist es dasselbe, auch wenn sie niemanden hochheben müssen. Aber der gesamte Körper ist ein Verschleißmechanismus und wenn man jeden Tag fünf Stunden lang Knie streckt und beugt, dann gibt’s irgendwann eben Verschleißerscheinungen. Da ist es egal ob Mann oder Frau. Unterschiede können auftreten, aber im Prinzip sind die großen Gelenke immer betroffen.
5vier: Hat man davor jetzt schon Angst?
R. Klötzer: Angst nicht, weil man damit rechnet. Ich glaube niemand der tanzt, rechnet damit, dass er mit 45 Jahren noch wild durch die Gegend springen und topfit sein kann. Solche Tänzer gibt es zwar auch, aber man merkt durch die harte Arbeit schon während der Ausbildung und der Schulzeit, dass der Körper nicht ewig so eine Leistung bringen kann. Deswegen arbeiten Tänzer nur bis sie 40-45 Jahre alt sind und können dann meistens nicht mehr. Wenn der Körper und die Kraft erhalten bleiben würden, dann würde man auch bis 67 tanzen und dann in Rente gehen. Das wird aber leider nicht gehen, ab einem gewissen Alter wird es einfach schwerer bestimmte Bewegungen auszuführen, die einem vorher leicht gefallen sind – es erfordert dann einfach zu viel Kraft und die Gelenke sind zu diesem Zeitpunkt auch meistens schon sehr abgenutzt. Der Körper kann diese Leistung einfach nicht mehr bringen.
5vier: Macht das wehmütig?
R. Klötzer: Nein. (lacht) Durch diese Begrenzung genießt man die Zeit, die man als Tänzer hat, einfach ganz anders. Man versucht einfach in dem Teil des Lebens, den man zum Tanzen hat, soviel auszuprobieren, soviel zu machen und Erfahrungen zu sammeln wie möglich um dann im Endeffekt doch zufrieden zu sein.
5vier: Nun zu einem anderen Punkt: Wie schwer hat man in diesem Beruf eigentlich mit Vorurteilen zu kämpfen?
R. Klötzer: Es gibt diese Klischees, es gibt Vorurteile und man rennt irgendwo immer dagegen an. Nicht bewusst, aber man merkt es doch bei Leuten, die nichts mit dem Tanzen zu tun haben oder die sich überhaupt nicht in der Kunstszene auskennen, das es immer noch das eine Vorurteil gibt – alle Tänzer seien schwul. Da kann ich nur widersprechen. Genauso wie es beispielsweise schwule Köche gibt, gibt es auch schwule Tänzer. In einem Interview, dass ich mal geführt habe, war die erste Frage ob ich schwul bin und die zweite Frage ob ich in Tutu und Spitzenschuhen über die Bühne hüpfen würde. Wenn ein Choreograph das von mir verlangt, soll er’s haben; ich stand deswegen auch schon als Frau auf der Bühne. Darüber hinaus hat man hat immer wieder mit dem Vorurteil zu kämpfen, dass Tanzen ja nicht wirklich Arbeit ist. Viele Leute denken einfach, dass Tänzer mal eben auf die Bühne gehen, ihr Stück aufführen und dann wieder nach Hause gehen. Viele fragen auch, was man hauptberuflich macht. Wir arbeiten teilweise durch, Proben stundenlang und dann fragt jemand, was man eigentlich wirklich macht. Das tut weh. Mit allen anderen Dingen kann man umgehen, von mir aus sollen mich alle für schwul halten und denken, dass ich im Tutu über die Bühne springe, das ist mir egal. Aber das andere ist wirklich ein Punkt an dem die Leute einsehen müssen, dass der Beruf des Tänzers gleichzusetzen ist mit dem eines Hochleistungssportlers. Wir geben jeden Tag alles und das nur um die Leute hier glücklich zu machen, die Leute zu begeistern und sie für anderthalb Stunden ein bisschen aus dem Alltag zu holen.
5vier: Wie ist es bei Tänzerinnen mit den Vorurteilen?
R. Klötzer: Frauen haben auch mit dem Problem der Berufsanerkennung zu kämpfen. Eine Freundin von mir beispielsweise war auf Arbeitssuche und bekam vom Arbeitsamt eine Stelle als Gogo- Tänzerin angeboten. Das muss man sich mal vorstellen, man hat acht Jahre Tanzen studiert und fängt dann als Gogo-Tänzerin an. Dann haben viele Frauen mit dem Vorurteil der Bulimie zu kämpfen. Es gibt da natürlich Einzelfällt, aber es ist nicht so häufig verbreitet, wie man allgemein denkt.
5vier: Was sind denn die Nachteile des Berufs in wenigen Worten?
R. Klötzer: Kurzlebigkeit und Verletzungen. Bei mir persönlich würde ich noch den zu großen Ehrgeiz nennen; das kann ein Vorteil sein, aber eben auch ein Nachteil.
5vier: Was sind die Vorteile des Berufs in wenigen Worten?
R. Klötzer: Auf der Bühne zu stehen, Emotionen des Publikums einzufangen und das Gefühl etwas zu leisten.
5vier: Wer ist für den Beruf geeignet?
R. Klötzer: Es gibt verschiedene Kriterien, die jede Schule anders handhabt. Allgemein, wenn man jetzt von der Größe und Beweglichkeit absieht, ist eine sehr große Disziplin gefragt. Tänzer ist ein knallharter Beruf und wenn man sich nicht unter Kontrolle hat, bzw. nicht den Drang hat immer mehr leisten zu wollen, dann ist man sehr schnell frustriert, bzw. verliert den Faden.Wichtig ist auch Bewegungen sehr schnell aufnehmen zu können und eine gewisse Körperlichkeit, Körperempfindung und Koordination zu besitzen.
5vier: Wie bist du nach Trier gekommen?
R. Klötzer: Durch meinen Chef. Dies ist mein erstes Engagement, beziehungsweise war es vor fünf Jahren. Sven Grützmacher hat damals an meiner Schule in Dresden als Aushilfslehrer gearbeitet und hier ein Angebot bekommen. Daraufhin hat er mich gefragt ob ich mein Diplom vorziehen und mitkommen möchte. Da ich weiß, dass es sehr schwierig ist als „Frischling“ einen Job zu bekommen, habe ich „Ja“ gesagt und seitdem bin ich hier.
5vier: Gefällt es dir in Trier?
R. Klötzer: (lacht) Sonst wäre ich nicht mehr hier.
5vier: Wir danken vielmals für das interview und wünsche dir für deine Zukunft alles Gute.
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