Am Dienstag wurde von einer Jury um Prof.Dr. Martin Wengeler von der Uni Trier das Unwort des Jahres 2012 publik gemacht. Insgesamt waren 1019 verschiedene Vorschläge eingegangen.
„Nach dreieinhalbstündiger sachlich kontroverser Diskussion in angenehm kollegialer Atmosphäre haben wir uns nach häufigem Hin- und Herwälzen der Argumente letztlich festgelegt“, beschreibt der Trierer Germanistikprofessor Martin Wengeler den abschließenden Findungsprozess. Zwanzig Wörter der insgesamt 1019 verschiedenen Vorschläge, die jeweils mit kurzer Begründung und Quellenangabe bei der Jury eingingen, waren in der engeren Auswahl. Wichtig dabei: Das Unwort muss in der öffentlichen Kommunikation Anklang gefunden haben. Ergebnis? Der (un)glückliche Gewinner ist ein eher unerwarteter: Die von Jörg Kachelmann in einem Spiegel-Interview vom 08.Oktober verwendete Wortzusammensetzung „Opfer-Abo“ ist Unwort des Jahres 2012.
Der zeitweise unter Vergewaltigungsverdacht stehende Meteorologe stelle mit dieser Aussage „Frauen pauschal und in inakzeptabler Weise unter den Verdacht, sexuelle Gewalt zu erfinden und somit selbst Täterinnen zu sein“, heißt es in der Presseerklärung zum Unwort des Jahres.
Schnell wurden in der Öffentlichkeit Unkenrufe laut, das Wort sei doch nur eine Eintagsfliege gewesen und habe im öffentlichen Bewusstsein nur sehr spärlich für Aufsehen gesorgt. Beispiele wie „Schlecker-Frauen“ oder „Anschlussverwendung“ seien doch deutlich präsenter in der Öffentlichkeit gewesen. „Doch genau das ist eben keines unserer Kriterien“ stellt der 52-jährige Linguist aus Trier klar. Vielmehr ging es der Jury darum, dass das vorliegende Sprachprodukt „Opfer-Abo“ vor dem Hintergrund seiner öffentlichen Verwendung eine Bedeutung entwickelt, die diskriminierende Züge enthält. Außerdem enthält sie die Gefahr, Vorurteile zu schüren.
Wengeler konkretisiert: „Der öffentliche Gebrauch ist eine deutliche Diffamierung der Opfer sexueller Gewalt sowie auch der Organisationen, die sich für den Schutz von Vergewaltigungsopfern engagieren. So erfüllt die Wortverwendung unsere Auswahlkriterien, die unter anderem besagen, dass der entsprechende Wortgebrauch gegen die Menschenwürde einzelner verstößt oder gesellschaftliche Gruppen diskriminiert.“
Zusätzlich heißt es in der Presseerklärung, Kachelmanns Ansicht sei „sachlich grob unangemessen.“ Wahrlich richtig, wenn man sieht, dass nur ein Bruchteil der weiblichen Vergewaltigungsopfer mit ihrem Leid überhaupt zur Polizei geht. „Die Zahlen sprechen eine eindeutige Sprache.“, meint der Trierer Uni-Professor. Sein Favorit war ursprünglich das Wort „Anschlussverwendung“, das Bundeswirtschaftsminister Philipp Rösler im März 2012 äußerte. Die ehemaligen Schlecker Mitarbeiter/innen, aufgrund der Unternehmenspleite arbeitslos, sollten sich selbst um eine „Anschlussverwendung“, also einen neuen Job bemühen. „Auf den ersten Blick grob verächtlich und diskriminierend, da dieser Wortgebrauch die Schlecker-Frauen als bloße Ware darzustellen scheint. Allerdings musste ich mich im Jury-Gespräch davon überzeugen lassen, dass ein fachsprachlicher Hintergrund aus dem Bereich des Militärs und der Beamtensprache zugrunde gelegt werden kann.“ Tatsächlich braucht man dort den Begriff, um die Versetzung eines Mitarbeiters nach dem Absolvieren eines bestimmten Diensts in einen neuen Arbeitsbereich zu beschreiben.
Prof. Dr. Martin Wengeler, der seit dem Wintersemster 2010/11 an der Universität Trier im Fachteil Germanistische Linguistik lehrt, sitzt seit 2006 neben drei weiteren Sprachwissenschaftlern, einem Journalisten und einem Vertreter aus dem Medien- und Kulturbereich (2012: Ralph Caspers, WDR) in der Unwort-Jury. Wie es dazu kam? „Ganz einfach: Ich wurde gefragt.“, sagt er mit einem Augenzwinkern, um zu präzisieren: „Ein Sprachwissenschaftler schied 2006 aus, und da ich meinen Arbeitsschwerpunkt unter anderem in den Bereichen Öffentliche Sprache sowie Sprache und Politik habe, trat man an mich heran.“ Seit 2010 ist die Arbeitsteilung in der Jury derart geregelt, dass alle Vorschläge bei ihm eingehen, von denen er geeignete vor- und ungeeignete aussortiert.
Das Ziel der institutionell unabhängigen Jury, die seit 1991 ein Unwort des Jahres „kürt“, ist die Förderung eines sensiblen und reflektierten Umgangs mit Sprache. Da alle Vorschläge von Personen außerhalb der Jury eingehen, ist das Interesse und Mitwirken aller Bürger essentiell. Die breite Öffentlichkeit soll so ein Gespür dafür bekommen, welche kritisch zu reflektierenden semantischen Aspekte ein Wort in einer bestimmten Situation entwickeln kann. „Um derlei Ziele zu erreichen, ist das stetig steigende Medieninteresse, das so gar nicht erwartet oder intendiert war, natürlich von Vorteil.“
Auch 2013 wird wieder ein öffentlich unangebracht verwendetes Wort gesucht, das den „Titel“ Unwort des Jahres für sich beanspruchen kann. Vorschläge dafür können bereits eingesendet werden.
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