Wenn vier sich streiten, freut sich das Publikum – so das Grundprinzip des 5. Trierer Literaturgesprächs. Auch in diesem Jahr krönte die Diskussionsrunde mit Hubert Spiegel, Gerd Hurm, Michael Embach und Sebstian Fett in der Stadtbibiothek drei außergewöhnliche Werke des abgelaufenen Jahres zu den besten amerikanischen Romanen 2012. 5vier war dabei und berichtet über Pflichtlektüre für lange Winterabende.
Für Der größere Teil der Welt erhielt die US-Autorin Jennifer Egan schon 2011 den Pulitzer-Preis – dennoch zählte die Expertenrunde den Roman zu den ganz großen des vergangenen Jahres. Egan erzähle durch ihre Romanfiguren in meisterhafter Weise über die Ökonomisierung der Musik – in diesem Fall die Punk- und Rockszene der 80er Jahre – und damit über Aufstieg und Fall einer ganzen Popkultur, befand das Podium um den FAZ-Literaturexperten Hubert Spiegel. Wie sich die jugendlichen Akteure einer Proteskultur mit dem Altwerden auseinandersetzen – oder eben nicht – erzählt Egan durch ihre brillant inszenierten Romanfiguren. Schon bei dieser ersten Buchbesprechung ging die Meinung in der Expertenrunde angenehm weit auseinander. Bibliotheksleiter Michael Embach befand, das Buch sei „flashmobartig inszeniert“, und kommentierte etwas provokant: „Ich bin ja der Meinung, dass jugendliche Protestbewegungen generell nicht in der Lage sind, Antworten zu geben.“
Mit Spannung erwartet wurde das Gespräch über John Greens Bestseller: Das Schicksal ist ein mieser Verräter erzählt aus dem Blickwinkel der 16-jährigen Krebspatientin Hazel, die sich in den ebenfalls krebskranken Augustus Waters verliebt. Ein Buch über Krankheit, Liebe und Selbsthilfegruppen – muss das nicht schwergängig, prinzipiell sogar sentimental sein? Muss es nicht! Green vollführt den Drahtseilakt zwischen tiefgründig und urkomisch in absoluter Perfektion. „Ein witziges, unterhaltsames und ungezwungenes Buch“, das ob seiner doch ernsten Thematik „den Kragen enger werden lässt“, gibt Hubert Spiegel zu. Dass die Expertenrunde den Jugendroman ins Programm genommen hat, liegt nicht an den Verkaufszahlen: „Was Green schafft, ist der Tabubruch, geradezu flapsig über den Tod zu reden – der Roman ist voll von schwarzem Humor“, so Gerd Hurm. Trotzdem oder gerade deshalb sei das Buch aber grandios: „Jeder Satz ist eine Pointe.“
Einen Menschen auf der Suche nach Normalität porträtiert Richard Ford in Kanada, dem schon jetzt der „Atem eines Klassikers“ (Spiegel) anhängt. In zwei aufeinanderfolgenden Handlungssträngen berichten die jugendliche und die 60-jährige Inkarnation des Erzählers Dell von einem Leben, dass vom frühen Verlust der Eltern geprägt ist – die verwirkten einst mit einem hoffnungslos dilettantischen Banküberfall ihre Freiheit und verpfändeten die Zukunft ihrer Kinder gleich mit, die als Waisen zurückbleiben.
Sohn Dell sucht in der Biografie ihrer Ehe nach Erklärungen. Ford ist kein Unbekannter; er gilt als einer der größten zeitgenössischen amerikanischen Autoren. Mit Kanada und dem Paradox zweier Erzähler liefert er ein erzählerisches Meisterwerk ab, so Spiegel.
Gelegenheit für Zwischenfragen gab es noch während der Buchbesprechungen; das Podium stand Rede und Antwort. Eine Anleitung zum Bücherlesen soll das Literaturgespräch jedoch weiterhin nicht sein. „Sie gehen nicht mit Antworten, aber dafür vielleicht mit besseren Fragen“, so Gerd Hurm zum Abschluss des Abends. Dass die Veranstaltung wie in den Vorjahren wieder lange im Voraus ausverkauft war, überrascht ihn nicht: „Ich denke, wir haben uns inzwischen ein Stammpublikum aufgebaut“, freut sich der Amerikanistik-Professor. Für das kommende Jahr empfiehlt sich also eine frühe Anmeldung – auch wenn die Romane des nächsten Literaturgesprächs noch nicht feststehen. Wer die Kandidaten sind entscheidet sich erst nach der Leipziger Buchmesse und im weiteren Jahresverlauf.
Die vorgestellten Romane auf einen Blick:
- Jennifer Egan: Der größere Teil der Welt. (Frankfurt: Schöffling, 2012)
- John Green: Das Schicksal ist ein mieser Verräter. (München: Hanser, 2012)
- Richard Ford: Kanada. (München: Hanser, 2012)
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