Als letzter Akt eröffnete der Karussell e.V. am Donnerstag die Fotoausstellung „Leerstand“ im Café Lübke. Beweggrund dieser Ausstellung ist die unlösbare Aufgabe, ein neues Domizil für den Karussell e.V. zu finden. Herausgekommen ist eine Ausstellung, die mitunter auch die Verwahrlosung und den Verfall von Stadtteilen thematisiert. 5vier.de-Redakteurin Thing Wong war bei der Vernissage vor Ort und berichtet vom Besuch im Café Lübke.
Gespannt bin ich Punkt 18.00 Uhr die Treppen zum Café Lübke hinaufgestiegen und wurde von einer Masse geordneter Fotographien empfangen, die alle am liebsten sofort und gleichzeitig begutachtet werden wollten. Damit vor lauter Bildern der Sinn einzelner Fotographien entdeckt werden kann, habe ich mich dazu entschlossen, die Bilder stationsweise zu bestaunen. Dazu war auch genug Zeit, denn die Eröffnungsrede hielt Roman Schmitz erst gegen 19.00 Uhr, nachdem alle Besucher sich die Kunststücke in Ruhe angeschaut hatten.
Die Stationen
Karussel for rent
Nach einer kurzer Orientierungsphase habe ich mich zur ersten Station begeben, an der neben leeren Hallen auch Menschen auf den Fotografien zu sehen sind. Roman Schmitz, einer der Hauptinitiatoren der Karussell e.V., hält an verschiedenen Orten ein Schild mit der Aufschrift „for rent“ hoch und wird von einem Pärchen beobachtet. Die Fotos zeigen Orte, die jeder aus Trier kennt und täglich an ihnen vorbeizieht ohne deren Funktion auch nur im geringsten zu erahnen. Neben mir hörte ich aufmerksame Besucher über die abgelichteten Orte rätseln. Dieses Rätseln wandelte sich im Laufe des Abends zum kleinen Volkssport im Café Lübke.
Viele der abgelichteten Orte kamen mir erst auf den zweiten Blick bekannt vor: Die Südallee, die Saarstraße und bekannte Ecken in der Gerberstraße. Was ist so besonders an den Orten und was waren die Beweggründe für Roman Schmitz und Hannah Speicher, diese Fotogalerie zu konzeptionalisieren? Die Beweggründe findet man in den Bildern. Mit dieser Ausstellung möchte das Karussell e.V. darauf hinweisen, dass sie mit ihrer Arbeit aufhören müssen. Die junge, dynamische und originelle Künstlergruppe findet seit 2010 kein Domizil für ihre kreativen Treffen, da entweder die Kosten zu hoch oder die bürokratische Hürden zu aufwändig sind. Dabei stehen eigentlich genügend Freiflächen und leerstehende Gebäude zur Verfügung.
Vergangenes Leben in der Stille bei Zesk
Prompt kam ich bei der nächsten Station an und entdeckte auf den Bildern eines Künstlers namens Zesk weniger Menschen, dafür aber Vegetation. Seine Fotographien zeichnen sich durch großflächige Gebäude aus, die einsam und verwahrlost vor sich hin altern und nur darauf warten, wieder belebt zu werden.
Besonders ein Bild mit etwas Grün sticht hervor und „erinnert mich irgendwie an einen verlassenen Dschungel“, so eine spontane Besucherin. Auch ich habe das Bild sofort mit der bekannten Fernseherserie „Lost“ assoziiert, allerdings befindet sich das einsame Gebäude direkt in Deutschland.
Panorama-Blick eines verfallenen Eisenbahnausbesserungswerkes
In einem Kreis hängen die Bilder von der Decke, die alle zusammen einen großflächigen und verlassenen Gebäudekomplex zeigen. Roma Kuskowsi und Romy Linden haben dieses Panoramakonzept umgesetzt. Als ich mich direkt in die Mitte des Kreises befand, hatte ich beinahe das Gefühl direkt vor Ort zu sein und sah einen ganzen Haufen Müll vor mir liegen. Bestimmt ist das ein Ort, von dem sich jegliche Zivilisation verabschiedet hat oder ein Ort, an dem die Menschen von Zombies ausgelöscht worden sind!? Nein, Fehlanzeige. Das ist eine alte Eisenbahnausbesserungswerk und der Müll entpuppt sich als Überrest einstiger Armeebekleidung. Seit der Kriegszeit wird diese Anlage nicht mehr genutzt und ist somit im Laufe der Zeit verkommen. Schließlich werden Strecken innerhalb Triers im Laufe der Zeit eher mit dem Bus oder Auto überwunden.
Verlassen und zugemüllt
GegenständeIn ihren Bildern zeigt Sophie Steinmetz, dass jede als Domizil verwendete Wohnfläche ihre eigene Geschichte hat und Spuren hinterlässt. „Leave me alone“ tituliert die Künstlerin eine Bilderreihe und ich fragte mich, ob dies ein Appell an die Verantwortlichen ist, die Wohnfläche vom Müll zu befreien. Immerhin ist die ungenutzte Wohnfläche mit vermoderten Gegenständen, wie Schlagzeugteilen, Stühlen und alter Waschmaschine alles andere als einsam.
Vergangene Kindheit bei Nicolas Hoffmann
Bei den Bildern von Nicolas Hoffmann entdeckte ich auf einen meiner Streifzüge Erinnerungen an die Kindheit. Zwar titulierte er seine Bilder mit „Leerwand“, was auch zwei seiner Fotographien von heruntergekommenen und verlassenen Wohnungen durchaus erklärt. Aber mich zog besonders das Bild mit den Spielzeugautos an. Sicherlich kann sich jeder vorstellen, wie ein alter Spielzeughaufen mit Sperrmüllmischung aussieht. Als ich die übrigen Bilder von Nicolas Hoffmann erblickte, konnte ich mir einen Schauer über meinen Rücken nicht verkneifen. Die verkommenen unbewohnten Wohnungen haben etwas Geisterhaftes an sich und wären sicherlich als Drehort für den nächsten Gruselstreifen geeignet.
Der Schlüssel zum Erfolg…
…liegt hoffentlich nicht im Verfall. Die Fotographien von Jenz Dieckmann zeigen einen verfallenen Hörsaal. Wo einst Schreibutensilien brav auf den Bänken lagen, der Dozent am Pult stand und der ganze Raum mit wissenshungrigen Besuchern gefüllt war, liegen nun lose Blätter auf dem Boden. Der Raum ist leer und wird nicht mehr genutzt. Unweigerlich stellte ich mir die Frage, ob denn die Wissensgesellschaft an sich nicht auch schon verfallen ist. Immerhin schaffen wir Flächen und bebauen diese, aber lassen diese auch wieder verkommen.
Der Abschied von Trier
In seiner Eröffnungsrede erläuterte Roman Schmitz das Aus vom Karussell e.V. und bedankte sich herzlich bei allen Beteiligten, die diese Ausstellung ermöglicht haben. In viermonatiger Zusammenarbeit mit unterschiedlichen Künstlern aus Trier, Luxemburg und Belgien ist schließlich die Ausstellung entstanden, welche als Begleitprogramm im Rahmen einer weiteren Ausstellung mit dem Titel Armut – Perspektiven in Kunst und Gesellschaft läuft. Diese wird vom 10. April bis zum 31. Juli im Stadtmuseum Simeonstift und im Rheinischen Landesmuseum zu sehen sein. Ohne die Unterstützung der Kulturstiftung der Sparkasse wäre die Ausstellung finanziell problematisch geworden.
Schließlich blickte Roman Schmitz auf seine Zeit in Trier zurück und zählte die Vor- und Nachteile von und in Trier auf. Er selbst habe Trier als einen Ort gesehen, in dem er sich entfalten konnte. Denn Trier habe mit seinen kulturellen Relikten sehr viel Potential, um eigene Projekte ins Leben zu rufen und auch anzugehen, wie er es mit Karussell Zuckerberg e.V. gezeigt hatte. Zum Schluss verabschiedete er sich mit den Worten „Packt es an, aber schafft auch irgendwann den Absprung.“ Er selbst wird sein künstlerisches Engagement im Theater von Jena fortführen.
Fazit
Nach dem Besuch im Café Lübke habe ich mir das Begleitheft zur Ausstellung aneignen müssen. Dass die Investition sich gelohnt hat, hat sich sofort herausgestellt: Simon Stratmann, Roman Schmitz, Pit Jacobi und Nicolas Hoffmann haben dort ihre Gedanken in Form einer Kurzgeschichte, realer Fakten und kritischer Auseinandersetzung veröffentlicht, die ihnen im Rahmen der Ausstellung in den Sinn gekommen sind.
Das Begleitheft bestärkt somit die Vermutung, dass das Thema „Leerstand“ nicht nur auf Gebäudekomplexe zu beziehen ist. Je nach Betrachter können in den Bildern durchaus auch gesellschaftliche Anmahnungen, Konsumkritik und der Vanitas-Gedanke erkannt werden.
Die Ausstellung wird noch bis zum 17. April noch im Café Lübke und vom 23. Sebtember bis zum 02. Oktober im Kulturschapp in Walderfingen, Luxemburg zu sehen sein.
Fotos: Thing Wong
oha meint
im Gegensatz zu den Kollegen von … (Anmerkung der Redaktion: Kommentar gekürzt) könnt ihr auch „Karussell“ buchstabieren! Lobenswert
Lola meint
Eine wirklich beeindruckende Ausstellung – werde sie mir in jedem Fall ansehen. Der Bericht ist wirklich schön gemacht.
Sebastian meint
Toller Artikel + Fotos Frau Wong! Mehr davon!