Im zweiten Teil des 5vier-Interviews berichtet Kawai Chung von den Vor- und Nachteilen, als Paar ins Ausland zu gehen und spricht über eine Alltagsrealität, an die man sich erst gewöhnen muss: die Zensur.
5vier: Letztes mal hast Du uns erzählt, dass Du Deinen Freund Nils mitgeschleppt hast – ein gutes Stichwort. Wie lebt es sich als Paar im Ausland? Siehst Du Unterschiede zu Kommilitonen, die ohne Partner in Xiamen sind?
Chung: Alles hat Vor- und Nachteile. Nachteile: Man wird immer als Paar angesehen; die meisten haben Berührungsängste und Freundschaften entwickeln sich langsamer. Wie in jeder anderen Situation auch kann man nicht alles machen, wie einem grad der Sinn danach steht. Wenn ich nach der Uni spontan mit jemanden noch einen Tee trinken gehen möchte, muss doch zuerst Bescheid gesagt werden.
Andererseits die Vorteile: Ich habe immer jemanden bei mir, mit dem ich alles gemeinsam entdecken und erleben kann. Organisatorische Sachen wie zum Beispiel Wohnungssuche und Immatrikulation sowie das Reisen sind einfacher. Der Alltag macht einfach zusammen sehr viel Spaß, sogar so dröge Sachen wie Abwaschen und Wäsche machen. Aber das würde uns in Deutschland auch nicht anders gehen.
Alles in allem denke ich nicht, dass meine Komilitionen, die alleine hier sind, es schwerer haben. Aber einige meiner Bekannten führen Fernbeziehungen, das muss echt anstrengend sein: Skypezeiten auszumachen, um die Zeit dann auch zu Hause sein zu müssen, Verabredungen oder Spontanaktionenen deswegen verschieben. Ganz zu schweigen davon, dass blöde Gefühl, man sei ja nicht alleine – wenn die 10.000km Distanz nicht wären.
5vier: Wie haben eigentlich Deine Eltern reagiert, als Du ihnen von Deiner Entscheidung berichtet hast?
Chung: Meine Eltern waren zunächst alles andere als begeistert („Das kostet Geld!“; „Was willst du denn da? Das sind doch alles Kommunisten!“). Auch wenn sie sehr stolz auf mich sind, hatten sie sich am Anfang sehr um mich gesorgt.
Warum meine Eltern (die ja zumindest chinesisch aussehen), China gegenüber so skeptisch sind, dazu muss ich weiter ausholen: Meine Eltern kommen aus Hong Kong und Macao, beides ehemaliges Kolonialgebiet von Großbritannien und Portugal. Der höhere und sichere Lebensstandard hat sie in den frühen 90ern nach Deutschland verschlagen. Sie haben sich auch erst in Deutschland kennengelernt.
In beiden Städten wird ein Dialekt gesprochen, der sich sehr stark von Standardchinesisch unterscheidet und somit die „Andersartigkeit“ nochmal betont. Ferner ist der Einfluss der ehemaligen Kolonialherren nicht zu übersehen: In Hong Kong gibt es Linksverkehr, westliche Toiletten und uneingeschränkten Internetzugang sowie Rauchverbot (überall). Kein Wunder, dass sich die meisten Hong Kongnesen als etwas Besseres betrachten!
China, zu dem sie sich nicht zählen – weder kulturell, noch geographisch und schon gar nicht politisch! – wird „Große Erde“ genannt. Viele Hong Kongnesen sprechen auch kein Standardchinesisch. Ich habe den Eindruck, dass selbst die „Rückgabe“ der Stadt an China im Jahre 1997 vollkommen ignoriert wird.
Daher standen meine Eltern meinem Auslandsjahr in China sehr skeptisch gegenüber. Zum Teil hatten sie schärfere Vorurteile als die meisten Deutschen, die nur Horrorgeschichten aus China kennen.
Eine kleine Auswahl ihrer Warnungen: Man werde ausgeraubt und übers Ohr gehauen; weil so viele Mädchen abgetrieben worden sind, müsste man als junge chinesisch aussehende Frau aufpassen, dass man nicht entführt und verheiratet werde. Außerdem: „Iss nichst von einem Straßenimbiss!“; „Iss nichts von einem Schmuddelrestaurant!“; „Trink nicht aus der Leitung, streichel keine Hunde, rede mit keinem Fremden, zeig keinem dein Portemonnaie, trag immer eine Kopie deines Reisepasses bei dir, geh nicht raus wenn’s draußen dunkel ist…“ Die Liste ließe sich fortsetzen.
Aber da Xiamen weit, weit weg vom Machtzentrum Beijing liegt, relativ klein und untouristisch ist, machen sie sich mittlerweile weniger Sorgen. Sie schlagen sogar vor, dass ich um ein halbes Jahr verlängern soll.
5vier: In den Medien gerät China aufgrund seiner Politik immer wieder in Kritik – bekommt man davon etwas mit?
Chung: Zu Recht wie ich finde! Dennoch sollte insbesondere die deutsche Berichterstattung einige Dinge differenzierter sehen, da die meisten Berichterstatter weder profunde Chinakenntnisse noch genug interkulturelle Kompetenz aufweisen.
Zum Beispiel die Tatsache, dass die Macht im Lande die Kommunistische Partei Chinas hat. Die wird aber nicht von allen 1,3 Milliarden Chinesen gewählt. So gesehen ist das, was die KPCh macht und tut, nicht der Wille aller Chinesen.
Ich will auch gar nicht wissen, was die Chinesen, die Frau Merkel zu Gesicht bekommen haben über uns Deutsche denken. Oder wenn sie was über Thilo Sarrazin wüssten. Oder wie futsch unser sonst so gutes Image ist nach der Guttenberg-Sache.
Zwischen bettelarm und superreich sind hier alle Einkommensstufen vertreten: Die Marktfrau mit der gesunden Stimme kann es sich zum Beispiel nicht leisten Bus zu fahren. Muss sie auch nicht, wohin denn? Ihr Gemüsestand ist doch direkt vor ihrer Haustür – wenn man denn überhaupt von einem Haus reden kann. Unser reicher chinesischer Nachbar hat eine Couchgarnitur, die erstens so groß wie die Titanic ist und zweitens wahrscheinlich auch so viel gekostet hat. Und fährt jeden Tag mit seinem schicken Mercedes zur Arbeit. So „alle-kriegen-gleich-viel“-kommunistisch sind sie hier also gar nicht.
Dafür wird hier alles zensiert.
5vier: Genau, wie steht es mit der Zensur? Wie zeigt sie sich im Alltag?
Chung: Ganz oben auf der Böse-Bengelsliste stehen Facebook, Youtube, Wikipedia und alles, was ein „blog“ im Namen beinhaltet. Die große Chinesische Mauer, äh Firewall, verhindert den Zugriff vom chinesischen Internet auf viele ausländische Seiten. Chinas Interzensur verfügt eine Heerschar von Internetpolizisten und Forenadministratoren sowie Blogbetreibern, die darauf achten, dass in den chinesischen Seiten keine regimekritischen Äußerungen gemacht werden. Um den Drang nach ausländischen Portalen zu stillen, gibt es für jede ausländische Seite auch ein chinesisches Pendant: So schauen sich die Chinesen statt youtube Videos auf tudou (was übrigens „Kartoffel“ heisst) an, Freundschaften schließen und Stalken kann man auf renren.com, das übrigens eins zu eins wie Facebook aussieht.
Die Mauer kann man aber, technikseidank!, mit einem proxy oder Software umgehen. Frei zugängliche Informationen sind nicht selbstverständlich.
Ein Freund von Nils hat uns einen Proxy eingerichtet, über den wir freien Internetzugang haben. Das heißt, wir haben so eine Art „Maulwurfstunnel“, der uns uneingeschränktes Surfen ermöglicht. Zwischendurch hat das mit meinem Bloganbieter nicht funktioniert, da habe ich mein Blog von einer Freundin aktualisieren lassen.
5vier: In 25 Jahren verkündet Deine Tochter, dass sie jetzt für ein Jahr nach China geht. Was rätst Du ihr?
Chung: „Was willst du denn da? Das sind doch alles KOMMUNISTEN!!!“ Nein. Vielleicht eher doch nicht.
China ist ein Land, indem sich unglaublich schnell vieles verändert. Ich wüsste gar nicht, ob der Rat, sich Pille und Hygieneartikel für ein Jahr mitzunehmen, sinnvoll wäre. Vor ein paar Jahren mussten Studentinnen Jahresvorräte an Tampons mitnehmen; mittlerweile kann man sogar in dieser Kleinstadt Xiamen Tampons kaufen, das Jahresvorratproblem habe ich also nicht mehr. Wie wird China in 25 Jahren aussehen? Ist die Demokratisierung des Landes schon soweit fortgeschritten, dass man kein Visum mehr braucht? Hat der westliche Lebensstandard mit Käse, Aufschnitt und Kaffefilter China erreicht, sodass man sich nichts mehr schicken lassen muss?
Wie sich China auch entwickeln mag, zwei Sachen sollten nie im Gepäck eines Chinareisenden fehlen: Wörterbuch und viel Neugier. Alles andere ist importierbar.
5vier: Vielen Dank für das Gespräch – und noch viel Spaß in Xiamen.
Hier geht’s zum ersten Teil.
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