Donnerstag, 17. November, 20 Uhr im Landgericht Trier. Ein Angeklagter betritt den Hauptverhandlungssaal, der Richter verliest die Anklage: Mehrfacher Kindsmord. Der Angeklagte ist niemand geringeres als Jürgen Bartsch, gespielt von Jan Brunhoeber in einer Inszenierung von Britta Benedetti.
In der Presse war er bekannt als der „Kirmesmörder“, weil er seine Opfer meistens auf eben solchen fand. Er verschleppte sie in eine Höhle im Wald, quälte sie dort über Stunden und tötete sie schließlich. Bei seiner ersten Tat war er selbst fast noch ein Kind, gerade mal 15 Jahre alt: Jürgen Bartsch. Er wurde gefasst, kam ins Gefängnis, wurde dort auf eigenen Wunsch kastriert und starb schließlich an den Folgen. Von kaum einem anderen Kindermörder gibt es so viele Interviews, Berichte und Briefe wie von ihm.
Oliver Reese hat diese zusammengetragen und daraus ein Theaterstück gemacht. Britta Benedetti, die in der letzten Spielzeit bereits Erfolge mit „Nipple Jesus“ feierte, inszenierte das umstrittene Stück und Jan Brunhoeber, zuletzt gesehen in „Gut gegen Nordwind“, spielt den Mörder. 5vier.de sprach im vorab mit ihnen.
Hat man kein moralisches „Bauchweh“, wenn man ein Stück über einen Mörder auf die Bühne bringt, ist eine unserer ersten Fragen an Jungregisseurin Britta Benedetti. Sie wiegt den Kopf hin und her, auf der einen Seite Ja, sagt sie, aber auf der anderen Seite geht es um mehr, als nur darum diesen Menschen darzustellen. Vielmehr muss man im Theater auf ein Problem hinweisen, das in unserer Gesellschaft besteht. Was muss passieren, damit ein Mensch erst so werden kann, wo hat die Gesellschaft zu oft weggesehen, statt etwas im Vorab zu unternehmen. Wo sieht die Gesellschaft jetzt noch zu oft weg?
Es kostete einige Überredungskünste
„Wir dürfen nicht wegschauen, denn solche schrecklichen Dinge passieren leider viel zu oft in unserer Gesellschaft“, so Benedetti. Das Stück „Bartsch, Kindermörder“ wollte sie schon lange inszenieren, seit ein Schauspieler ihr den Text im Landestheater Tübingen zukommen ließ. Als sie dann vor einem Jahr nach Trier kam und dort Jan Brunhoeber bei „Mitternachtskinder“ sah, hatte sie ihren Schauspieler für den Bartsch gefunden.
Es kostete einige Überredungskünste Intendant Gerhard Weber von dem heiklen Stück zu überzeugen, doch schließlich schafften sie es. Für beide eine ganz eigene Erfahrung, die einiges an Überwindung kostete und sogar Alpträume mit sich brachte. „Als wir uns den Hauptverhandlungsraum als Spielort aussuchten, haben wir auch eine Führung durch die Zellen im Keller gemacht, wo die Angeklagten auf ihr Urteil warten. An den Wänden waren überall Alarmauslöser, falls einer der Häftlinge sich etwas antun will“, erzählt Benedetti. In dieser Nacht schlief sie sehr schlecht.
Zwar war auch der Text am Anfang schockierend, doch dann begannen die beiden fast „handwerklich“ daran zu arbeiten, nahmen jedes Wort und jeden Satz auseinander. Das schuf Distanz. Doch als Britta ihren Hauptdarsteller als Bartsch das erste Mal den Verhandlungsraum betreten sah, passierte etwas, was sie sich gar nicht erklären konnte. „Ich hab ein bisschen gelacht. Aber nicht weil es lustig war, sondern vielmehr, weil man die ganze Sache gar nicht mehr begreifen konnte. Alles wird so surreal, dass man die ganze Zeit lacht oder hustet, man wird nervös und lauter solche Sachen.“
Zum Nachdenken anregen
Dem Zuschauer soll es ähnlich gehen, in ihrer Inszenierung möchte Benedetti vor allem eines: zum Nachdenken anregen. Was soll mit einem Menschen passieren, der andere umbringt, offensichtlich krank und eine Gefahr ist? Was wenn man die Geschichte hinter allem kennt?
Das musste sich auch Hauptdarsteller Jan Brunhoeber fragen, als er sich auf die Rolle vorbereitete. Als er den Text las, war er geschockt; bewegt im allernegativsten Sinne, doch er wollte es unbedingt spielen. „Von einem extrem negativen Charakter kann man am meisten lernen, man bekommt tiefere Einblicke in die Psyche des Menschen.“ Beim Lesen des Stückes spürte er bereits die starke Zerrissenheit. Wie Bartsch vom Opfer zum Täter wird, doch auch, wie sich die eigene Einstellung zu ihm ändert.
Spannend an der Inszenierung findet er vor allem wie Bartsch selbst zu seinen Taten steht, wie viele Einblicke man in seine Denkmuster bekommt. „Es ist als hätte er die Taten von sich abgelöst. Er weiß, dass er eine Gefahr für andere ist, doch er handelt nicht. Generell hat er keinen Bezug zu seinem eigenen Körper, in ihm muss eine unglaubliche Spannung sein, die er erst wahrnimmt, wenn sie auf ihn übergreift und ihn beherrscht.“
Mehr als nur eine Herausforderung
Für einen Schauspieler ist das mehr als eine Herausforderung, es ist ein spielerischer Einblick in den Kopf eines Mörders, eine Loslösung vom Moralischen und Guten. „Man kann mit fundamentalen Sachen umgehen und zwar auf eine spielerische Art und Weise. Sich mit Menschsein und dem was Menschen ausmacht auseinander setzen.“ Um sich auf den Mörder einlassen zu können brauchte Brunhoeber allerdings einen recht körperlichen Einstieg. „Wir haben viel über die Stimme gearbeitet,“ sagt er und seine Stimme wird automatisch leiser,“ ich habe schnell gemerkt, dass diese Figur Bartsch eine ganz weiche Figur ist, seine Stimme ist weich, sein Körper ist weich und sobald man diesen Körper als Schauspieler geschaffen hat, kann man sich auch in seine Denkweise und seine Sehnsüchte hineinfühlen.“ Bei dieser Arbeit bestand ab und an die Angst ein Türchen im eigenen Kopf aufzumachen, was besser verschlossen bleiben würde, doch das geschah nie. Eher das Gegenteil war der Fall. Die Frage verhärtete sich, wie ein Mensch so etwas tun kann. „Der Wunsch nach Nähe und Gemeinsamkeit war immer spürbar, Bartsch war ja von Kindesbeinen an immer alleine und wurde abgelehnt. Diese Erfahrung war krass.“
Beide, Regisseurin und Schauspieler, antworten auf die Frage ob sie Bartsch als Mensch oder als Monster sehen sehr schnell: Mensch. „Man sagt immer, es ist unmenschlich, wenn jemand so handelt, doch nur Menschen können zu anderen Menschen so grausam sein. Die Aufgabe des Theaters ist es ja auch zu zeigen, dass der Mensch mehr ist als nur ein Gesicht hat“, sagt Jan. Keiner der beiden will den Mörder Bartsch verteidigen, doch die Frage mit der sich wohl jeder, nicht nur die zukünftigen Zuschauer, beschäftigen muss ist, wie geht man mit solchen Menschen um. Mensch oder Monster, ist das hier die Frage?
5vier.de wünscht dem Theater Trier, Britta Benedetti und Jan Brunhoeber Toi,Toi,Toi für die Premiere.
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