Als langersehnte Fortsetzung unserer Theaterreihe hat Redakteurin Stefanie Braun mit Theaterpädagogin Sylvia Martin gesprochen und nachgefragt, was eine Theaterpädagogin so eigentlich macht.
5vier.de: Frau Martin, wie wurden Sie Theaterpädagogin?
Sylvia Martin: Zuerst habe ich Deutsch und Russisch auf Lehramt studiert, dann auch brav mein erstes Staatsexamen und mein Referendariat gemacht. Aber ich wusste immer, dass ich nicht in die Schule, sondern ans Theater gehen wollte. Allerdings wusste ich nicht, welchen Weg ich dabei gehen sollte, auch damals war es schon schwierig, ins Theater rein zu kommen. Nach meinem Referendariat habe ich am Theater in Bielefeld hospitiert und bin dann ein Jahr nach London gegangen.
Als ich zurückkam, las ich etwas vom Theaterpädagogischen Zentrum. Damals war Theaterpädagogik noch kein Studiengang für sich, sondern man konnte sich nur mit einem Aufbaustudiengang über das Theaterpädagogische Zentrum ausbilden lassen. Das bedeutete ein Jahr Vollzeit-Ausbildung in unterschiedlichen Bereichen, wie Körperarbeit, Regie und Schauspiel. Eben von allem etwas, so bekommt man einen Überblick. Früher, und heute teilweise auch noch, durfte sich jeder Theaterpädagoge nennen, mittlerweile hat sich das alles professionalisiert. Nach der Ausbildung war ich dann fünf Jahre in Osnabrück und seit acht Jahren bin ich hier in Trier.
Spielplanbezogene Arbeit für alle Altersstufen
5vier.de: Was macht man eigentlich als Theaterpädagogin?
Sylvia Martin: Zunächst einmal spielplanbezogene Arbeit für alle Altersstufen: in Schulen gehen und Stücke vorbereiten, mit den Schülern die Thematik aufarbeiten mittels Rollenspielen, Improvisationen und Raumläufen. Im Unterschied zur Schule also wirklich praktisches, nicht analytisches Arbeiten.
Es gibt ja das altbekannte Motto „Theaterpädaogen vermitteln zwischen Theater und Schule“, eigentlich macht man als solcher aber noch viel mehr: Als Theaterpädagoge kann man mit den unterschiedlichsten Institutionen arbeiten, von Behindertenwerkstätten über Schulen und Jugendclubs bis hin zu Managerkursen. Mittlerweile ist das Feld sehr breit gefächert, obwohl der Fokus klar noch auf der Vermittlung von Theater an Schüler und Jugendliche liegt. Das fängt bei der Grundschule an, eventuell sogar schon im Kindergarten, und hört auf bei der Oberstufe.
Zu der Vermittlungsarbeit gehört auch ein Blick hinter die Kulissen: Wie wird Theater gemacht, wie entsteht ein Stück auf der Bühne, welche Berufe gibt es im Theater. Theater soll von den Jugendlichen nicht nur als Institution gesehen werden, sondern als eine Möglichkeit, sich selbst zu verwirklichen, sich selbst zu finden, aber auch die eigenen Grenzen zu überwinden. Soziale Kompetenz spielt dabei auch eine wichtige Rolle, immerhin muss man sich im Spiel auf den anderen einlassen, ihm zuhören und auf ihn reagieren. Die Ausdrucksfähigkeit, das Körperbewusstsein und das Agieren im Raum werden spielerisch geschult.
5vier.de: Sie arbeiten wie gesagt auf einem weiten Feld, ein Teil dieses „Feldes“ ist die Theatergruppe 60+. Was ist das Besondere an der Arbeit mit Leuten über 60?
Sylvia Martin: Die Arbeit mit unterschiedlichen Generationen ist sozusagen mein Steckenpferd. In meinem früheren Theater in Osnabrück hatte ich ein Theater der Generationen, habe hier aber erst mal „nur“ mit den Alten angefangen. Aber ein „Theater der Generationen“ habe ich weiter im Hinterkopf behalten.
Die Arbeit mit den 60+lern ist spannend, weil sie schon sehr ausgereifte, gefestigte Charaktere mit viel Lebenserfahrung sind. Trotzdem überrascht es immer wieder, wie viel Spontanität sie im Spiel entwickeln können. In bestimmte Rollen zu schlüpfen und noch mal fremde Aspekte der Persönlichkeit auszuleben ist die Herausforderung der Älteren. Das ist auch der Unterschied zu den Jüngeren, die noch nicht ganz gefestigt sind und sich noch ausprobieren, sie haben auch mehr Freude am Theatersport, wo die Alten eventuell Probleme hätten.
Viele haben generell Angst aus sich heraus zu gehen
5vier.de: Was ist denn das Besondere an der Arbeit mit Jugendlichen? Gibt es typische Alters-Unterschiede?
Sylvia Martin: Bei den Älteren nicht mehr, aber gerade bei Jugendlichen erkennt man typische Merkmale während der Phasen der Pubertät. Grundschüler sind spontan in ihren Reaktionen und haben viel Freude am Spiel, werden aber auch schnell wild. 5.-6.-Klässler lassen sich noch auf alles ein und teilweise kommen da sehr natürliche Improvisationen heraus. Bei den 7.,8. und 9. Klassen ist es dagegen wieder ganz schwierig, die meisten sind schon zu sehr mit sich selbst beschäftigt und haben oft auch Angst das jeweils andere Geschlecht ins Spiel mit einzubeziehen.
Viele haben auch generell Angst aus sich heraus zu gehen. Die Schüler der Oberstufe sind da wieder anders, allerdings gehen sie meistens über den Kopf an eine Sache heran und können deshalb nicht mehr so spontan sein. Mittlerweile gibt es an vielen Schulen den Kurs „Darstellendes Spiel“ und da kommen oft ziemlich gute Sachen raus, also man erkennt auch hier, dass Übung viel ausmacht. Je öfter man spielt, umso mehr traut man sich. Trotzdem sollte man aber nicht den Fehler begehen und alle Jugendlichen in einem Alter über einen Kamm scheren. Gerade Klassendynamiken tragen viel zur allgemeinen Stimmung bei. Ich hatte teilweise schon vier Klassen in einer Altersstufe hintereinander und jede war anders. Jede Klasse hat einen eigenen Drive, mal sind sie lebhaft, mal schüchtern.
5vier.de: Sollte man pubertierende Schüler nicht lieber mit sich selbst in Frieden lassen. Immerhin ist die Pubertät meist anstrengend genug.
Sylvia Martin: Gerade in der Pubertät ist es wichtig für Schüler, einen anderen Zugang zu sich zu finden. Denn gerade dann hat man ein ganz anderes Bild von sich und dem was man anderen wirklich vermittelt. Jugendliche lernen durch das Theaterspielen, auch ihre Körpersprache einzuschätzen. Auch mal andere Positionen als nur die eigene einzunehmen.
Ein beliebtes Warm-Up-Spielchen dazu ist das Gehen in verschiedenen Gangarten, dabei merken die Jugendlichen, dass unterschiedliche Charaktere auch unterschiedliche Bewegungsabläufe haben. Es gibt viele lustige Warm-Ups, die das Eis brechen, den Körper in Bewegung bringen und den Kopf abschalten.
In den Klassen der Mittelstufe kann es schwieriger werden einen Zugang zu den Schülern zu bekommen, um die Schüler nicht zu verschrecken, sollte man schüchternen Schülern die Möglichkeit lassen, erst mal im Hintergrund zu bleiben. Ein altbewährtes Mittel hierbei ist das Standbild, das trauen sich alle. Und wenn man dieses Standbild dann in Bewegung versetzt hat, sind die Hemmungen schnell überwunden.
Das Zuhören fällt vor allem Grundschülern oft schwer
5vier.de: Gab es schonmal Klassen, in denen gar nichts funktioniert hat?
Sylvia Martin: Es gab mal eine Hauptschulklasse in Osnabrück, die sich komplett versperrt haben. Aber dann haben wir angefangen von uns aus erst mal zu erzählen und über die Rollen zu reden und irgendwann entwickelte sich zumindest ein sprachliches Einarbeiten in die verschiedenen Rollen. Ein Spielen als solches gab es zwar nicht, aber das war immerhin ein kleiner Zugang.
5vier.de: Fällt ihnen ein Wandel auf unter den Schülern?
Sylvia Martin: Ich weiß nicht, ob es vielleicht schon immer so war, aber in letzter Zeit fällt mir auf, dass es vor allem Grundschülern schwerfällt, einem anderen Menschen zuzuhören. Sie wollen ihre eigenen Gedanken direkt loswerden und lassen anderen nicht viel Raum. Aber darum geht es ja im Spiel, dem anderen Raum zu geben, ihm zuzuhören und auf ihn zu reagieren.
Wenn man eine Szene spielt, kann nicht jeder einfach durchbrettern, sondern man muss auf den anderen achten, der mit einem spielt. Vor allem das „dranbleiben“, wenn man einem Menschen zuhört, ist für Kinder schwierig. Einem Menschen zuzuhören ist etwas ganz anderes, als einer CD oder dem Fernsehen. Mir fällt zudem immer wieder auf, dass viele Kinder heute schon früh sehr individualistisch und sehr ichbezogen sind.
5vier.de: Was würden Sie sich für die Zukunft wünschen?
Sylvia Martin: Ich fände es schön, wenn noch mehr Schulen Zeit und Engagement finden würden, um mitzumachen. Das Treffen in der BBS war sehr gelungen und ich fände es schön, wenn mehr Schüler sehen würden, dass man auch zum Spaß und sogar zur Entspannung ins Theater gehen kann. Nicht nur wegen schulischer Verpflichtungen.
5vier.de: Wir danken Sylvia Martin für das schöne Gespräch!
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