Von Andreas Gniffke
Ausverkauftes Haus meldete die Mayersche Interbook und der Weinjournalist und Weinkritiker Stuart Pigott entführte die neugierigen Besucher auf eine äußerst unterhaltsame Reise durch das ‚Weinwunder Deutschland‘. Das gleichnamige zu bewerbende Buch, das den gebürtigen Briten am gestrigen Freitag an die Mosel geführt hatte, ist zwar noch nicht erschienen, eine Lesung im klassischen Sinne war aber ohnehin nicht geplant.
Stuart Pigott ist ein Phänomen und kann getrost als bekanntester Weinkritiker Deutschlands bezeichnet werden. Getragen von übersprudelnder Neugier, fundierter Sachkenntnis und einem Hang zur Exzentrik, versucht er als Buchautor, Weinkritiker für verschiedene Zeitschriften und seit Neuestem auch ‚Fernsehstar‘, Wein von seinem oftmals allzu hohen Ross herunter zu holen und seinen Lesern, Zuhörern und Zuschauern vor allem die Genussseite des Weines näher zu bringen. Im Jahr 1982 bereiste Pigott zum ersten Mal die Weinberge an Mosel und Saar und lebte sogar einige Jahre in Bernkastel. Fasziniert zeigt er sich heute vom Mut der jungen, innovativen Generation deutscher Winzer, von Pigott liebevoll ‚Wein-Hobbits‘ im Sinne einer verbesserten Version der Hobbywinzer genannt. Durch die Hinwendung zu allerhöchsten Qualitätsmaßstäben und der Überwindung verstaubter Traditionen, ist es zahlreichen Weingütern aller Anbaugebiete gelungen, den schlechten Ruf von Liebfrauenmilch und qualitativ minderwertigen Süßweinbomben zu überwinden.
Pigott doziert nicht, er erzählt, und das auf eine ungemein anregende und vor allem unterhaltsame Art und Weise. Verdursten musste auch keiner der Gäste im Erdgeschoss der Mayerschen. Insgesamt sechs Weine zweier deutscher Weingüter wurden verkostet, gerecht verteilt auf drei Weißweine und drei Rotweine. Vor allem die Weißweine waren eingebettet in biographische Anekdoten Pigotts. Christian Stahl, Winzer aus Franken, inspirierte ihn zu eigenen Gehversuchen als Winzer im Rahmen seines zweisemestrigen Gaststudiums an der Weinforschungsanstalt in Geisenheim. Stahls verwegene Interpretation der traditionellen und oftmals etwas langweiligen Rebsorten Müller-Thurgau und Silvaner beeindruckten Pigott so sehr, dass er auf einer kleinen, dafür extrem steilen Parzelle der Stahlschen Weingüter seinen eigenen Wein anbauen durfte. „Stahl ist für mich der Tarantino des Müller-Thurgau, so extrem sind seine Weine im Vergleich zum traditionellen Ausbau“, zollt er seinem jungen ‚Kollegen‘ Respekt, auch wenn er zugibt, dass ihm diese Assoziation leicht verkatert nach einem gemeinsamen DVD-Abend mit Tarantinos ‚Planet Terror‘ gekommen ist. Pigotts Enthusiasmus, einen eigenen Weinberg zu bewirtschaften, wurde schnell auf eine harte Probe gestellt: Die Arbeit im Steilhang (68%!) stellte sich als Knochenarbeit heraus, vor allem wenn man sich Details wie z.B. den Rebschnitt erst mühsam aneignen muss. Die Arbeit hat sich allerdings gelohnt und als dritter Wein wurde der Pigott-Wein präsentiert. Resultat der Mühen waren insgesamt 264 Flaschen Müller-Thurgau, großzügige 3% der Menge wurde den begeisterten Zuhörern im Interbook kredenzt.
Foto: Sechs interessante Weine durften die begeisterten Zuhörer verkosten.
Neben der Tendenz zur biographischen Anekdote, wird aber auch auf aktuelle Entwicklungen auf dem Planet Wein eingegangen. Gerade die Auswirkungen der Klimaerwärmung sorgen in der Weinwelt immer wieder für Kontroversen. Während z.B. in Süditalien, aber auch in der Toskana, negative Entwicklungen zu beobachten sind, hat der deutsche Wein bislang sehr profitiert, worauf Pigott auch am Beispiel Mosel hinwies: „Wann gab es den letzten schlechten Jahrgang an der Mosel? Auf jeden Fall 1987 und eventuell noch 1996. Das ist aber auch schon 14 Jahre her. 2006 gab es aufgrund der großen Hitze eher Probleme mit der üppigen Reife, aus der man dann natürlich nur schwer trockene Rieslinge gewinnen konnte.“ Besonders die deutschen Rotweine profitieren von den Klimaveränderungen. Davon bekam man dann auch umgehend einen Eindruck. Verkostet wurden drei Weine vom Weingut Thomas Hensel aus Bad Dürkheim, die absolut überzeugten. Diese trugen hochfliegende Namen: ‚Aufwind‘ und ‚Höhenflug‘, alle jedoch gänzlich unromantisch inspiriert durch den dem Weingut naheliegenden Sportflugplatz. Doch auch geschmacklich überzeugten die zwei Cuvées (Cabernet Sauvignon + St. Laurent, sowie Cabernet Sauvignon + Merlot) und ein Spätburgunder durchaus. Was nach den Maßstäben Pigotts bedeutet: Man hat Lust auf mindestens ein weiteres Glas. Überhaupt ist das Bewertungsmuster Pigotts erfreulich simpel: Geschmack ist alles! Wobei durchaus der Tagesform Rechnung getragen werden muss. „Selbst mein eigener Wein hat mir gestern viel besser geschmeckt als heute“, musste Pigott leicht enttäuscht feststellen. Überhaupt spielte er die Bedeutung der Weinkritiker herunter, wohl wissend, welch großen Einfluss die großen Namen der Zunft, auch sein eigener, auf den Geschmack ganzer Anbaugebiete ausüben können. „Weinjournalisten sollen keine Richter sein, diese Rolle ist absurd und schlichtweg falsch.“ Ebenso kritisierte er die zum Teil überbordenden Subskriptionspreise für Weine bestimmter Anbaugebiete wie dem Bordeaux, und führte schelmisch eigene Expreimente mit internationalen Winzern an. Diese hatten während einer spontanen Blindverkostung den Preis deutscher Rotweine um das doppelte oder dreifache überschätzt und anschließend ungläubig auf die Herkunft des Weins geschaut. Allzu deutlich wird hier die Analogie zur berühmten Verkostung des Jahres 1976, als die Weine aus dem kalifornischen Napa Valley zur Überraschung aller Anwesenden die Bordeaux-Weine ausstachen und den Ruhm eines ganzen Weinlandes begründeten.
Foto: Mit zahlreichen Bildern verdeutlichte Pigott die Arbeit im eigenen Weinberg.
Die Ausführungen Pigotts waren mehr als eine Buchpräsentation ohne Buch. Wein ist für ihn Berufung und einiges an seiner Leidenschaft konnte er am gestrigen Abend an seine Zuhörer weitergeben. Die Herstellung von qualitativ hochwertigem Wein ist harte Arbeit, eine Tatsache, die allzu oft angesichts spottbilliger Discounterweine in Vergessenheit gerät. Gerade die Individualität im Glas sowie das im besten Falle harmonische Zusammenspiel zwischen Terroir und Winzerkunst, machen die Faszination dieses Getränks aus. Wenn man Stuart Pigott aber eine Botschaft unterstellen will, dann diese: Wein macht Spaß!
Stuart Pigott: Weinwunder Deutschland
Tre Torri Verlag, 224 Seiten, 25,00 Euro
Erscheinungstermin: Dezember 2010
‚Weinwunder Deutschland‘ auch im TV: Ab 25. Dezember, 16.30 Uhr im BR.
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