Ohrenbetäubende Motoren – viel Fußvolk im Stiefelschritt, wiehernde Pferde, beritten im ruhigen Trab. Die Hausmauern wackelten – Gläser und Teller standen durch massive Kettenbewegung der Panzer klirrend in den Schränken.

Als die Deutschen kamen…
Nur noch wenige Luxemburgerinnen und Luxemburger können sich noch an jene Nacht im Mai erinnern – als ihr friedliches Ländchen Opfer des Nationalsozialismus wurde. Praktisch in einer Nacht – war Luxemburg durch die Nazis eingenommen. Die Truppen überquerten die Mosel – die Sauer und die Our. Luxemburg war zwar auf eine Invasion vorbereitet – am Ende aber machtlos gegenüber der feindlichen Kriegsmaschinerie.
Leichte Gegenwehr – einige Tote und ein Land, versunken und das innerhalb von wenigen Stunden, wie das restliche Europa. Nach einigen Gefechten waren die luxemburgischen Sicherheitskräfte schließlich gezwungen ihre Waffen zu strecken. Die luxemburgische Neutralität wurde demnach zum zweiten Mal innerhalb von nicht einmal 25 Jahren verletzt.
Einmarsch der Schande mit viel Leid
Es war der 10. Mai 1940 – als das Großherzogtum eingedeutscht wurde. Besetzt – gegen den Willen, wurden die einst stolzen Farben Luxemburgs verdrängt und das Hakenkreuz wehte seither über den Städten, Dörfern und Feldern eines besetzten Staates. Die Großherzogin Charlotte und die luxemburgische Regierung hatten aus der Vergangenheit gelernt – und da man sich noch in der gleichen Nacht gewarnt hatte, flohen sie.
Ihre Nacht- und Nebel-Flucht führte sie zunächst nach Portugal – später nach Kanada. Schließlich ließen sich die großherzogliche Familie und die Regierung im späteren Verlauf in London nieder – um von dort aus den luxemburgischen Widerstand zu unterstützen.
Nach dem Einmarsch wurde das Land der deutschen Zivilverwaltung unterstellt. Regeln – Gesetze und die Gepflogenheiten der Nazis, bestimmten von nun an die Tage der Menschen in Luxemburg. Die deutsche Sprache stand auf dem Stundenplan – der altbekannte Hitlergruß zahlte sich tagtäglich aus und die einstigen Strophen von Deutschland über alles, gingen unfreiwillig über die Lippen der Menschen.
„Ich wurde nachts wach und lief zu meinem Vater den ich fragte was los sei. Er meinte nur – bleib in deinem Zimmer und verweile ruhig. Die Deutschen kommen“, erzählt eine luxemburgische Augenzeugin, deren Namen nicht genannt werden soll. Sie schildert ihr Erlebtes jener Nacht – als die Nazis kamen und sich ihrer Herrschaft breitmachten, die ganze vier Jahre lang andauern sollte. Noch heute sieht sie die damaligen Bilder vor Augen – als sei es erst gestern gewesen.
Angst vor dem Sterben mit etwas Hoffnung
„Die Menschen hatten Angst. Man hörte von den Gräueltaten in anderen Ländern. Es wurde viel erzählt – nicht alles stimmte, aber man hatte trotzdem große Angst“, erzählt die Luxemburgerin weiter, die im östlichen Teil des Landes einen Bauernhof mit ihrer Familie führte. Kühe – Schweine und Pferde zählten damals zu ihren Nutztieren. „Ein ländlicher Traum“, wie sie ihr früheres Dasein beschreibt. Bis zum Einmarsch der Nazis war man zufrieden und lebte ohne Angst. Ein Leben was plötzlich wie vom Winde verweht – Angst, Tod und der Schmerz kehrten ins luxemburgische Ländchen zurück.
„Sie nahmen uns auf ihrem Durchmarsch Richtung Belgien/Frankreich nicht nur Essen und Getränke – sondern auch unsere Tiere. Unsere Schweine nahmen sie mit um sie später zu schlachten. Unsere Pferde ebenfalls – womöglich als Arbeitsvieh für den weiteren Marsch Richtung Westen“, blickt die heute Hochbetagte ungern zurück. Ihr jüngerer Bruder wurde erschossen – vor ihren Augen.
Zwei deutsche Soldaten hielten ihn lächelnd jeweils an beiden Seiten seiner Hände fest und liefen der tödlichen Kugel praktisch entgegen. „Er wollte nur unseren Hof verteidigen und stellte sich den Deutschen in den Weg – als sie unser Vieh stehlen wollten“, untermauert sie mit schmerzverzerrtem Gesicht.

Sie war machtlos – ebenso ihre Eltern und ihre anderen Geschwister. Sie mussten in die Knie gehen – sich den Deutschen opfern bzw. ergeben. Man wollte nicht sterben – und nahm schließlich dann auch die eigene Armut in Kauf, da ihr Vieh und Lebensunterhalt größtenteils an die Deutschen überging. Tage und Monate der Ungewissheit vergingen. Der Luxemburger Stolz war stark gekränkt – nahm das schlimme Ausmaß aber erst seinen Lauf und traf besonders eine bestimmte Bevölkerungsgruppe: Juden!
Jagd auf Juden – öffentliche Hinrichtungen mit viel Blut
Die jüdische Gemeinschaft litt besonders unter dem Nazi-Regime. Von den etwa 4000 Juden – die vor dem Krieg im Großherzogtum lebten (wovon etwa die Hälfte Luxemburger und der Rest Flüchtlinge aus anderen europäischen Ländern waren), sahen mehr als 90% das Land nicht mehr wieder. Ein Drittel wurde getötet. Aber auch Menschen nicht jüdischen Glaubens erwiesen sich als Opfer der Nazis.
Insgesamt wurden fast 10000 Luxemburger in das deutsche Heer eingezogen. Mehr als ein Drittel weigerte sich die deutsche Uniform anzulegen und begab sich in die Illegalität – häufig mit verheerenden Folgen für ihre Familien, denn die Besatzungsmacht reagierte mit Härte auf jeden Versuch der Opposition. Deportationen in den Osten – Inhaftierungen, manchmal in Konzentrationslagern (insbesondere nach Hinzert), Exekutionen.
Ein schwarzes Kapitel des einst so stolzen Luxemburgs – dass auch meine Zeitzeugin schweren Herzens durchleben musste. Ihre Gedanken spiegeln eine Zeit wider – die ihr noch heute Albträume und Nachtschweiß beschert. Unschöne Gedanken für die Ewigkeit – an eine Zeit, „die sich nie wieder wiederholen darf“, wie sie mit gesenktem Haupt bekräftigt.
Unvergessen eine Szene in der Stadt…
„Was sie mit den Juden gemacht haben bekamen wir alle mit. Auf der Straße – bei Tageslicht und Straßenbetrieb. Als sei es völlig normal ein Menschenleben auszulöschen. Grauenvoll und leider unser damaliger Alltag“, fügt die Luxemburgerin hinzu. An eine Szene kann sie sich noch sehr gut erinnern – als sie mit ihrer Mutter und ihren Geschwistern in der Stadt Erledigungen tätigte.
„Plötzlich war es laut und man hörte deutsche Soldaten – ich vermute es war die SS. Auf dem Boden lagen Menschen. Ihre Angst war zu spüren und die Deutschen wollten – dass man zusieht was dort geschah. Sie zwangen uns regelrecht einen großen Halbkreis zu bilden und meinten, wer nicht hinschaut, wird ebenfalls getötet. Es war so furchtbar – weil auch keiner wusste, was gleich geschehen würde. Plötzlich nahm einer der Soldaten ein großes Messer und ging zu einer am Boden liegenden Person hin.
Grauenvolle Bilder vor den Augen
Es war ein junger Mann. Sie nannten ihn Judenschwein und stolzierten halbstark mit ihrem Messer herum, bevor sie wenige Sekunden später am Fuß des Mannes einen Schnitt verübten. Spätestens jetzt war einigen klar was sie vorhatten. Sie zogen ihm die Haut bei lebendigen Leibe ab. So viel Blut – die Schreie des Mannes und lachende Soldaten, die meinten, schaut hin, sonst widerfährt euch das auch. Man hörte wie die Haut des Mannes abgezogen wurde. Das Geräusch habe ich noch heute im Kopf. Man vergisst es einfach nicht. Einige Menschen die zuschauten mussten sich übergeben. Ich selbst weinte – traute mich aber auch nicht wegzusehen.
Es war so schlimm. Einer Frau – die auch am Boden lag, schlugen sie Zähne aus. Vermutlich hatte sie Goldimplantate. Denn ein anderer Soldat schnitt ihr einen Finger ab – der einen goldenen Ring trug. Auch sie war noch am Leben. Es war so grausam und unvorstellbar. Es waren keine Menschen. Monster – ohne Gewissen und mit starrem Blick. Als seien wir nur Vieh gewesen – wurde man kaltblütig ermordet, verspottet oder seelisch gequält. Es waren Szenen die einen nicht mehr verlassen. Die Bilder sehe ich vor mir – als sei es gestern gewesen“, erinnert sich die Zeitzeugin mit Tränen in den Augen zurück.

Blut am Boden und in den Augen derer – die sich diesen grausamen Mord an der Zivilbevölkerung ansehen mussten. „In einem anderen Straßenabschnitt hörte man plötzlich Schüsse. Ich sah wie ein junger Mann umfiel. Aus seinem Kopf spritzte Blut. Seine Leiche ließen die Nazis anschließend am Boden liegen. Wohl ein weiterer Luxemburger der Widerstand leistete. Ich sagte damals zu meiner Mutter das ich hier weg möchte. Meine Angst war unbeschreiblich groß. Ich sah auch meiner Mutter die Verzweiflung an. Man fühlte sich nicht nur nutzlos – sondern auch hilflos. Das eigene Leben war plötzlich nichts mehr wert – so war unser Gefühl damals“, untermauert die Luxemburgerin weiter.
Man musste viel sehen…
Jahre der Angst und der Ungewissheit strichen ins Land. „Man hat noch viel gesehen. Zu viel um es wiedergeben zu wollen. Grauenvoll und blutig. Die armen Menschen“, betont die Zeitzeugin mit zittriger Stimme. Zwei weitere Brüder von ihr wurden eingezogen. Vorausgegangen war die Zwangseingliederung Luxemburgs ins Deutsche Reich. Die Mehrzahl der Luxemburger ahnte prompt die Folgen.
Die luxemburgische Jugend wurde ab sofort als Deutsche behandelt – was bedeutete, dass sie den Pflichtwehrdienst leisten mussten. Diese Maßnahme löste daraufhin im ganzen Ländchen Streiks aus. Die deutsche Reaktion war folgenschwer. Die deutschen Behörden verhängten das Kriegsrecht und ließen 21 Streikende durch sogenannte Standgerichte erschießen. Die Bewegung wurde niedergeschlagen. „Auch daran existieren noch Bilder im Kopf. Um meine Brüder hatte ich große Angst. Sie waren doch noch so jung“, erzählt sie weiter.
Ihre Nachbarn hielten jüdische Mitbürger zum Schutze der Nazis im Haus versteckt. „Sie setzten sich damit große Gefahr aus. Man musste praktisch die Nazis anlügen. Die eigene Angst war riesig – selbst wir als Nachbarn machten uns mitschuldig, da wir von diesem Versteck wussten“, berichtet die Luxemburgerin folgend, die sich tagtäglich mit diesen Schicksalen befassen musste. „Im Endeffekt mussten wir den Deutschen gehorchen – auch wenn man selbst eine Faust in der Tasche ballen musste“, untermauert sie weiter.
Als die USA Luxemburg befreiten
Ihr Haus lag direkt an einem späteren Nachschubweg der Nazis. Unweit der eigentlich deutschen Grenze entfernt – die Stadt Echternach liegt in Reichweite, sah sie Munitionsgüter – weitere Truppen samt Panzer, an ihrem Fenster vorbeimarschieren. „Andere Kinder unseres Dorfes machten sogar den Hitlergruß. Es war einfach so absurd und traurig zugleich“, schob die Zeitzeugin hinterher, die aber spätestens Richtung Kriegende – und mit dem Einmarsch der Amerikaner, wieder neuen Mut und neue Hoffnung schöpfte.
„Als wir hörten das die Amerikaner auf dem Weg waren – erhob sich große Freude bei uns. Wir sahen Licht am Horizont – auch wenn die Nazis noch sehr präsent waren.“

Am 10. September 1944 wurde Luxemburg schließlich von der amerikanischen Armee befreit – auch wenn die Deutschen die Front entlang der Mosel gefestigt haben und im Dezember 1944 zum Gegenangriff übergingen. Die blutige Ardennenoffensive verwüstete den Norden und Osten des Landes sehr. Harte Gefechte – viele Bomben, Flammen und Rauch.
Aber auch in der Mitte und im Süden des Landes boten sich immer mehr Kämpfe. Die Befreiung eine Frage der Zeit – standen jedoch die Zeichen auf Sieg der Alliierten. Mit der Befreiung von der Nord-Stadt Vianden am 22. Februar 1945 – der Rückkehr von Großherzogin Charlotte aus dem Exil am 14. April im gleichen Jahr und schließlich der bedingungslosen Kapitulation Deutschlands am 8. Mai 1945, endete der Krieg auch in Luxemburg.
Die anschließende Bilanz war bitter und traurig zugleich. Infolge des bewaffneten Konflikts und des Naziterrors hatte Luxemburg unterm Strich 5700 Tote zu beklagen, was rund zwei Prozent der Gesamtbevölkerung Luxemburgs entsprach.
Ein Buch der Schande
Von den fast 1300 deportierten Juden überlebten am Ende nur 69 die Ghettos und Konzentrationslager. Während unseres Gesprächs bei einer Tasse Kaffee gab mir die ältere Frau ein Buch in die Hand. Es machte einen ziemlich alten Eindruck – auch der Geruch ließ schon einige Jahre vermuten.
Ein Relikt aus einem dunklen Kapitel. Allein zu schon die Aufschrift – „Deutsches Fandungsbuch – Luxemburger als Freiwild“, ließ nichts Gutes vermuten. Ich schaute es mir an und musste schnell feststellen – alle Namen in diesem Buch und es ist ein Original, waren gejagte, getötete, verschleppte und brutal hingerichtete Luxemburger.

In diesem Buch – auch ein Original-Schreiben von Gauleiter Gustav Simon an Generaloberst Fromm. Am Ende des Schreibens heißt es:
„Abschließend fasse ich meine Auffassung zusammen – dass kein Fahnenflüchtiger aus dem CdZ-Bereich Luxemburg diesen Krieg überleben darf. Ich glaube das den bis jetzt 800 gefallenen und den Tausenden von verwundeten Luxemburgern schuldig zu sein.
Heil Hitler – Ihr Gustav Simon…“
Gauleiter Gustav Simon
Ein Buch was erschreckt und traurig zugleich macht. Ich musste es schnell schließen – da mich die dort drin stehenden Namen gefühlsmäßig überwältigt haben.
Tränen der Erinnerung mit viel Schmerz und Angst
„Für mein Land war es eine sehr schlimme Zeit. Dunkle Gedanken – die noch heute Ängste in mir auslösen. All die schrecklichen Bilder von Toten – Gequälten und Menschen, die auf der Flucht waren. Ich habe mein Land noch nie so hilflos gesehen wie zur damaligen Zeit. Ich hoffe – so etwas wiederholt sich nicht noch einmal. Aus dieser Zeit müssen wir gelernt haben“, betont die Luxemburgerin abschließend, stand auf und ging zu ihrem Schrank, den sie von ihren Eltern einst geerbt hat und noch aus jener Zeit stammt, die mit Angst und Schrecken einherging.
Sie brachte mir ein Bild – schwarz-weiß und mit dem typischen alten Duft. Darauf ihre Familie – glücklich, voll in Harmonie, gut gekleidet und lachend in die Kamera. Einen Monat später nach Entstehung des Fotos kamen die Deutschen. Der Anblick und die Geschichte dahinter ließ mich arg grübeln. Den Tränen nah – saß ich einer älteren Frau gegenüber, die nicht nur die schlimmste Epoche aller Zeiten durchleben musste, sondern auch heute noch unter ihr leidet. Sie ist stark – gefestigt, vergisst nicht und blickte aber immer nur nach vorne. Sie lebt alleine – ihr Ehemann ist tot, Kinder selbst hat sie keine. Ihre Erinnerungen tun noch heute weh.
NIE WIEDER!

Zu schrecklich das Erlebte – hat sich ihr Land aber wieder erholt und strahlt wie nie zuvor. Luxemburg gelang ein Wiederaufbau ins Moderne. Ein Fleckchen Erde im Kontrast alt und jung – harmoniert man nicht nur im luxemburgischen Sinne – sondern ganz im Zeichen der Großregion. Zusammen – vereint und das im Herzen von Europa. Luxemburg und Deutschland – insbesondere die Region rund um Trier, sind beste Freunde bzw. Nachbarn. Symbolisch und als Gastgeschenk der Stadt Luxemburg zur Landesgartenschau 2004 – steht der Turm Luxemburg seither stolz auf dem Trierer Petrisberg.

Ein Zeichen der Verbundenheit zweier Länder – die sich nicht immer friedlich gegenüberstanden. Zwei Länder – ein großes Schicksal und die harmonierende Gegenwart – die man nicht nur halten, sondern auch weiter ausbauen möchte.
Solch eine Zeit darf sich nie wieder wiederholen – nicht nur für die Luxemburger, sondern für die gesamte Menschheit. Meine Begegnung mit einer luxemburgischen Zeitzeugin wirkte noch lange in mir nach. Trotz einer schlimmen Zeit und vielen dunklen Erinnerungen – bin ich ihr sehr dankbar für die ehrliche und offene Erzählung, auch wenn die ein oder andere Träne einen wieder einnahm.
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