Vor mehr als 25 Jahren verfasste der amerikanische Schriftsteller Noah Gordon mit Der Medicus einen Weltbestseller und modernen Klassiker. Eine Verfilmung war schon lange geplant, scheiterte aber immer wieder am Umfang und Bilderreichtum der Vorlage, die als unverfilmbar galt. Nun kommt der Medicus als opulentes 150-Minuten-Epos doch ins Kino. Andreas Gniffke hat sich den Film im Trierer CinemaxX angesehen.
So haben wir uns das finstere Mittelalter immer vorgestellt. Das England des 11. Jahrhunderts ist kalt, matschig und die Bewohner haben ebenso schlechte Zähne wie Manieren. In dieser unfreundlichen Umgebung wächst der junge Rob Cole auf. Nach dem plötzlichen Tod seiner Eltern ist er nach der Zwangstrennung von seinen Geschwistern auf sich allein gestellt. Er schließt sich einem umherreisenden Bader an, einer Mischung aus Gaukler und Arzt. Dessen Fähigkeiten in Sachen Heilkunst sind mehr als beschränkt, und als er zu allem Überfluss noch nach und nach sein Augenlicht verliert, springt Rob als Ersatz ein und behandelt mehr schlecht als recht seine ersten Patienten. Als ein jüdischer Arzt die Augen des Baders heilt, erzählt er Rob von seinem Lehrmeister Ibn Sina im fernen Isfahan, dem größten Mediziner seiner Zeit. Rob beschließt, die beschwerliche Reise ans andere Ende der Welt auf sich zu nehmen, um seinerseits beim Meister in die Lehre zu gehen. Eine Reise, die Robs Leben für immer verändern wird.
Der Medicus von Noah Gordon verkaufte sich allein in Deutschland sechs Millionen Mal, so erscheint es geradezu logisch, dass sich kein großes Hollywoodstudio, sondern deutsche Produzenten die Rechte gesichert haben und der deutsche Regisseur Philipp Stölz (Nordwand) sich an die schwierige Aufgabe machte, das umfangreiche Werk auf die Leinwand zu bringen. Viele der Leser, die Gordons Werk verschlungen haben, dürften sich angesichts der Verfilmung verwundert die Augen reiben, denn Stölzl gönnte sich alle Freiheiten und benutzt die Vorlage gewissermaßen nur als losen Rahmen, an dem er sich orientiert. Wer also eine werkgetreue Verfilmung erwartet, dürfte enttäuscht werden. Auch die ergreifende Liebesgeschichte zwischen Rob und der Schottin Mary schaffte es nicht in den Film. Mary heißt nun Rebecca (Emma Rigby), ist Jüdin, und reist zusammen mit Rob in einer Karawane nach Isfahan, wo eine Ehe für sie arrangiert ist. Die lange Reise in den Orient, die für Robs Entwicklung im Buch von entscheidender Bedeutung ist, fällt bis auf eine kleine Wüstenepisode fast völlig unter den Tisch. All dies sind Freiheiten, die sich die Macher wohl gönnen mussten, um die Stofffülle überhaupt bewältigen zu können.
In Isfahan kommt Rob schnell in Kontakt mit Ibn Sina und seiner Medizinschule und findet in der weltoffenen Stadt Freunde unter Juden und Arabern. Rob gibt sich zur eigenen Sicherheit als Jude aus und führte sogar in der Wüste eigenhändig eine blutige Beschneidung durch. Unter der strengen Herrschaft von Shah Ala ad-Daula (Olivier Martinez) blüht die Wissenschaft auf, auch wenn sich dieser dadurch die Feindschaft der radikalen Muslimbrüder zuzieht. Ein Konflikt, der schließlich eskaliert.
Der Medicus ist ein Beweis, dass großes Monumentalkino nicht unbedingt aus Hollywood kommen und dreistellige Millionenbeträge verschlingen muss. Optisch erfüllt der Film höhere Ansprüche und legt Wert auf Details, wobei sich wie schon im Buch bei den historischen Details einige Ungenauigkeiten eingeschlichen haben. Wert legte man dagegen auf die Darstellung der medizinischen Szenen. Der ein oder andere Entsetzensschrei war im Kino schon zu vernehmen, als Zähne gezogen, Knochen eingerenkt oder Leichen obduziert wurden, was in die Grenzbereiche zwischen Religion und Wissenschaft führt und die Lage in Isfahan schließlich eskalieren lässt. Die Schauspieler zeigen ebenso die Ansprüche des Films, ist er doch in den Hauptrollen mit internationalen Stars besetzt. Rob Cole wird vom jungen Tom Payne gespielt, der hier seine erste große Hauptrolle ergattert hat und sich durchaus für weitere Aufgaben empfiehlt. Ben Kingsley als Ibn Sina spielt routiniert, aber irgendwie wirkt der Gelehrte dann doch wie ein persischer Gandhi. Stellan Skarsgård (zuletzt in Thor – The Dark Kingdom zu sehen) bietet als Bader die stärkste Vorstellung, aber auch Olivier Martinez verkörpert die ambivalente Figur des Shah überzeugend. In den Nebenrollen dürfen dann auch ein paar deutsche Stars mitmischen, so zum Beispiel der derzeit allgegenwärtige Elyas M’Barek.
Fazit:
Der Medicus ist ein bildgewaltiges Historienepos, das sich hinter vergleichbaren Hollywoodproduktionen nicht verstecken muss. Eingefleischte Fans des Buchs dürften dennoch ihre Probleme haben, da sich die Verfilmung an vielen Stellen nur grob an der Vorlage orientiert und darüber hinaus einige historische Ungenauigkeiten enthält.
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