Ultra: Eine schon lange nicht mehr wegzudenkende Subkultur in Stadien (und auf Sportplätzen) weltweit. Eine Probleme verursachende, gewaltbereite Bewegung. Ein identitätsprägender Ort für Suchende. Ein Nest für Querdenker und Destruktive. Menschen mit Werten. Menschen auf Irrwegen. Kreative. Zerstörer.
Welche Beschreibung davon passt? Irgendwie jede, keine so richtig. Ultra ist auch Paradoxie. 5vier.de widmete sich der Thematik vor der eigenen Haustür und unterhielt sich mit Ultras, Polizei und Verein. Heraus kam ein vierteiliger Report der sich annähert, und doch so Vieles nicht beschreiben kann.
Trier. Wenn man regelmäßig zu einem Spiel der Trierer Eintracht geht, kennt man die wichtigen Orte im Moselstadion. Zum Beispiel die „Ostkurv“, die Haupttribüne und das Gate 7. Letzteres ist die Heimat der regionalen Gruppe INSANE ULTRA. Nicht zu überhören, nicht zu übersehen – wenn nicht gerade ein Boykott stattfindet. Doch viele Menschen kennen den Begriff Ultra nur aus den Medien. Und bilden sich somit ein Bild, das nicht gerade differenziert ist. Doch was ist das eigentlich? Was macht jemanden zum Ultra? Was zeichnet sie aus? Warum gibt es sie überhaupt? Wir versuchen, ein paar Fragen zu beantworten.
Hintergründe zur Ultra-Bewegung
Im ersten Teil unserer Serie geht es um diese Hintergründe. Dazu sprachen wir mit den Ultras und dem Fanprojekt Trier, eine sozialpädagogische Fanbetreuung und Vermittler zwischen INSANE ULTRA (IU), Verein und Polizei. Häufig wird von der „größten Jugendkultur“ gesprochen. Stimmt das so? Gil von INSANE fasst den Begriff größer: „Subkultur! Es gibt Mitglieder, die sind 40 Jahre. Wenn ich ‚Jugendkultur‘ höre kriege ich graue Haare.“
Dem stimmen auch Lukas Keuser, Leiter des Fanprojekts (FP), und Thomas Endres, ehemaliger Leiter des Exhauses und Mitgründer des FP’s, zu: „Es geht weit über die Jugend hinaus. Das bürgerliche Leben zieht immer mehr mit ein. In den Neunzigerjahren war der „Break-Even“ der Ultrakultur, Mitte der Nullerjahre gab es nochmal einen riesigen „Push“. Die Kultur wird tendenziell älter. Es ist vielseitig.“
Subkultur heißt, dass sie sich in unterschiedlicher Art und Weise von Normen abgrenzt. Im Falle der Ultrakultur scheint dies selbstverständlich zu sein: Der Fußball beziehungsweise der Verein als Lebensmittelpunkt, fehlende Gesetzestreue, Gewaltbereitschaft. Alles Dinge, die bei Millionen von Menschen Befremden und Unbehagen auslösen. Das sind auch die Themen, die Otto Normalbürger mitbekommt.
Sub- statt Jugendkultur
Subkultur bedeutet aber auch, Leidenschaft zu leben. Einen Sinn zu suchen und zu finden, Engagement und Verantwortung zu entwickeln. Dazu Thomas Endres: „Eine Ultragruppe hat Einiges an Organisationsaufwand zu absolvieren. Auswärtsfahrten, Choreografien, Feiern und vieles mehr. Das lernen gerade junge Leute. Nicht nur die Organisation selber, sondern dass sie sowas können. Das prägt fürs Leben.“
Die von Endres genannten Punkte gehören zu dieser Kultur. Nach Möglichkeit jedes nur erdenkliche Spiel zu sehen, auch die der befreundeten Gruppen. Musikalisch und visuell an den Spieltagen zu supporten. Und den eigenen Lifestyle zu feiern. Die Liste könnte beliebig fortgesetzt werden.
Neue gesellschaftsrelevante Tendenzen zu entwickeln kann ebenfalls zu den positiven Seiten einer Subkultur zählen. Dazu gehört zum Beispiel die verbreitete Meinung, dass dank der Ultras der Rassismus aus den Fankurven verschwand. Ist das nicht vielleicht eine Überhöhung oder gar ein Mythos? „Das ist von Standort zu Standort variabel. Chemnitz und Cottbus sind Beispiele, die sich klar rechts verorten. Aber verglichen zu den 80er- und 90er-Jahren, wo die Tribünen ein Hort von rechtsextremen Hooligans waren, hat sich viel gewandelt. Das ist zu einem Großteil der Ultrabewegung zuzuschreiben. Die meisten Gruppen haben ein antirassistisches Selbstverständnis.“, so Lukas Keuser.
Ultras und das Thema Diskriminierung
Das bestätigt auch Eddy von INSANE: „Ich will da nichts „wegreden“, aber Trier hat in der Hinsicht keine Probleme. Wir haben dazu beigetragen, dass intern darüber geredet wurde, wenn jetzt jemand in einer Thor Steinar Jacke steht (eine rechtsradikale Modemarke, A. d. R). Früher wurde sich da keine Gedanken gemacht, das fing erst mit uns an. Aber auch wir haben uns da anfangs schwergetan, mussten da viele Gespräche führen. Viele hatten die Sorge, dass wir mit der ANTIFA verbunden werden, wie St. Pauli zum Beispiel. Das wollten wir nicht. Wir haben entschieden, dass wir innerhalb der Gruppe oder auf Auswärtsfahrten niemand mit Fascho-Klamotten mitlaufen lassen.“
Doch ist Rassismus nicht die einzige Form von Diskriminierung. Frauen sieht man an vielen Standorten überhaupt nicht, dazu zählt auch Trier – Sexismus par excellence. In früheren Gesprächen wurde teilweise argumentiert, dass Frauen deswegen ungeeignet seien, weil man seinen Mann stehen müsse, wenn es hart auf hart kommt. Wie steht INSANE nach über elf Jahren ihrer Existenz zu diesem Thema?
Eddy: „Es stimmt, wir hatten noch nie eine Frau bei uns. Aber es gibt kein generelles Verbot. Das werden sich jetzt Ultras aus Babelsberg oder Bremen wohl nicht anhören können (an diesen Standorten ist Gleichberechtigung Teil der Szene, A. d. R.), aber es gab in über zehn Jahren keine weibliche Person, die in Frage gekommen wäre. Wenn es jemanden gäbe, gut, passt. Dann würden wir über das Thema sprechen. Aber wir werden nicht durchs Moselstadion laufen und auf die Suche gehen.“
In elf Jahren keine Ultra-Frau?
Gil ergänzt: „Die Frage stellt sich aktuell nicht. Wenn es mal so kommt, wird es thematisiert. Wie dann entschieden wird, kann man nicht sagen. Es gibt kein Regelbuch. Aber wenn du mich fragst, macht es einige Dinge einfacher, so wie es jetzt ist. Da will ich mich auch nicht politisch korrekt äußern.“
Ein anderes Thema ist Homophobie. Laut Keuser positionieren sich immer mehr Ultragruppen dagegen. Aber es bleibe ein Thema, dass es zu bearbeiten gilt. „Über die Themen haben wir ausführlichst mit dem Fanprojekt geredet“, grinst Eddy. Es wirkt so, als hätten die Ultras auf „gutmenschliche“ und „pädagogische“ Themen überschaubare Lust. Eigentlich möchten sie einfach ihr Ding machen. Trotzdem sind sie sich einer gewissen Verantwortung bewusst.
So haben sie beispielsweise zusammen mit dem Fanprojekt eine Ausstellung organisiert, dass das Thema Menschenrechte und Polizeigewalt aufarbeitete. Dazu kooperierte man mit Amnesty International. Dass es sich dort aber eben auch um Probleme bei der Polizei drehte, ist natürlich kein Zufall. Schließlich trägt man die „All Cops are Bastards“-Attitüde vor sich her (diesem Thema widmen wir uns separat und ausführlich in dieser Reihe).
Wir merken, dass es nicht leicht ist, die Ultras zu beschreiben. Schwarz-Weiß-Denken führt zu keinem Ergebnis, auch innerhalb einer überschaubaren Szene wie in Trier gibt es ganz unterschiedliche Auffassungen zu allerlei Themen. Eines eint aber so gut wie alle Ultras: Der eigene Verein ist heilig. Häufig auch eine Hassliebe. Zumeist sogar der Lebensmittelpunkt. Eine Motivation, die ebenfalls für Viele schwer nachzuvollziehen ist. Woher kommt das?
Der Verein als Teil der persönlichen Identität
Die meisten aktiven Ultras waren schon in jüngsten Jahren im Moselstadion. Es ist Teil der Biografie, der Identität. Und das ist bis heute so. Sich nur auf die Tribüne zu stellen und zu konsumieren, reicht ihnen nicht aus. Man will aktiv ein Teil davon sein. Ein Leben ohne INSANE ULTRA ist kaum vorstellbar, es würde es sogar einstürzen lassen. Alles baue darauf auf, sagt uns Johnny, ebenfalls Mitglied bei IU. Was genau das bedeutet, wird ebenfalls an anderer Stelle thematisiert werden.
Wir hoffen, dass diese Serie einen kleinen Beitrag zu nötigen Debatten beitragen kann. Heute ging es um eine Einführung in die Thematik, Motivationen und Diskriminierung. Am 21.08.2019 geht es weiter über die Trierer Szene selbst, Lifestyle, Entscheidungsprozesse und vieles mehr. Bleibt am Ball.
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Motivation ist wichtiger als Erfahrung
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