Das Thema Ultras wird regelmäßig medial aufbereitet. In Zeitungsartikeln und Fernsehberichten fallen häufig Begriffe wie Chaoten, Randalierer oder Unverbesserliche. Dazu martialische Bilder, häufig inklusive Pyrotechnik. Die Anlässe dazu sind in der Regel berichtenswert, die Berichterstattung selbst hingegen oft eindimensional. Doch es gibt auch immer häufiger differenzierte Darstellungen.
Trier. Am 14. September 2016 veröffentlichte die lokale Tageszeitung einen ganzseitigen Bericht über V-Männer in der (Trierer) Fanszene. Ein wichtiges Thema, das zurecht großflächig aufgearbeitet wurde. Der Bericht selber wirkt differenziert, gut recherchiert und gibt jedem Blickwinkel ausreichend Raum. Unterlegt wird es allerdings mit einem Bild einer großen Rauchwolke über der Gegengeraden des Moselstadions, das im Februar 2015 geschossen wurde und mit der beschriebenen Thematik nichts zu tun hat. Das Foto findet man hier.
Beim gemeinen Leser, der in diesem Metier weniger bewandert ist, bleibt vor allem das zusammenhangslose Foto in Erinnerung. Und selbst wenn er sich alles durchliest, wird in erster Linie hängen bleiben, dass Ultras auf einer Stufe mit dem organisierten Verbrechen stehen. Klingt übertrieben?
Bilder sagen mehr als 1000 Worte
„Bilder erfassen wir schneller als andere Information und für unser Unterbewusstsein spielt es keine Rolle, ob das Bild realistisch ist oder nicht. Außerdem haben wir Menschen die Fähigkeit, uns hervorragend an die bereits gesehenen Bilder zu erinnern und um diese in unserem Kopf abzurufen. Auch wenn wir uns also von einem Bild eigentlich gar nicht beeindrucken lassen wollen, hat unser Unterbewusstsein einen ersten Eindruck gespeichert. […] Eine bekannte Studie des Max Planck Instituts für Wirtschaft hat herausgefunden, dass bereits 150 Millisekunden ausreichend sind, um im Kopf unbewusst einen ersten Eindruck vom Gegenüber zu manifestieren.“ (Quelle)
Nun ist der besagte Artikel nur ein Beispiel aus der regionalen Medienlandschaft. Je höher die Liga eines Vereins beziehungsweise je größer das Einzugsgebiet eines Mediums, desto schärfer wird der Ton zwischen Fans und Medien. So hört man häufig Begriffe wie Chaoten, Randalierer und Idioten, wenn über Ultras berichtet wird. Das wiederum erzeugt Reaktionen, häufig in Form von Spruchbändern, bei denen die Ultras „zurückschießen“. Diesem Thema widmete sich das öffentlich-rechtliche Medienmagazin ZAPP, das sich (selbst)kritisch mit dem Sensationsjournalismus befasste.
Noch mehr Aufmerksamkeit bekommt das schwierige Verhältnis bei größeren und radikaleren Szenen, wie zum Beispiel Dynamo Dresden. Die ULTRAS DYNAMO (UD) lassen lieber ihre Choreos und Aufmärsche sprechen, anstatt sich selber. So hallte zum Beispiel ihr Aufmarsch in Camouflage-Outfit unter dem Slogan „Krieg dem DFB“ durch die Medienlandschaft. Wasser auf die Mühlen der Ultra-Pauschalisierer, da diese kombinierte Erscheinungsform an Radikalität kaum zu überbieten ist. Die Fronten schienen sich weiter zu verhärten.
Ultras sprechen selten mit der Presse
Nach langen Versuchen machten UD aber eine Ausnahme und stellten sich den Fragen von Journalisten der ARD. In dieser bemerkenswerten, differenzierten Reportage berichten sie, was sie zum Sinneswandel bezüglich der öffentlichen Wahrnehmung bewegte: „Wir haben erkannt, dass wir uns nicht permanent verschließen können. Man kann sich nicht immer nur darüber aufregen, dass über einen gesprochen wird, wenn man es selber nicht mitbestimmt.“ So könnte die Spirale gegenseitiger „Anfeindungen“ zumindest ein wenig gebremst werden.
In besagter Reportage kam auch Christoph Ruf zu Wort, der bereits zwei Mal der Einladung des Fanprojekt Trier gefolgt ist, um Lesungen inklusiver Diskussionsrunden abzuhalten. Er sagt: „Ultras haben ein denkbar schlechtes Image in der Öffentlichkeit – und das haben sie völlig zu Unrecht. Es gibt viele Dinge, die sie sehr gut gemacht und Gutes bewirkt haben.“
Eddy, Gil und Johnny von INSANE ULTRA (IU) sind in jedem Fall froh, dass es mittlerweile schon mehrere sachliche Dokumentationen über die Ultraszene gegeben hat. „Vielleicht haben sie ja endlich geschnallt, dass es in dieser Welt keine absolute Wahrheit gibt. Wir selbst haben nur vereinzelt mit Medien gesprochen. Es gab zum Beispiel ein Interview mit dem Deutschlandfunk. Aber an sich, wenn hundert Journalisten gegen einen schreiben, warum sollte der hunderterste es anders machen? Es gibt allgemein einfach zu viel Scheiße.“
„Wer ins Stadion geht, begibt sich in Lebensgefahr.„
Rainer Wendt
Nicht nur der fehlende Dialog, beziehungsweise die Bereitschaft dazu, führt zu dem schlechten Image der Ultras. Auch prominente Meinungsmacher wie Rainer Wendt, Bundesvorsitzender der Deutschen Polizeigewerkschaft, werden nicht müde, pauschalisierende bis hetzerische Parolen von sich zu geben. Das führt dazu, dass es viele Reaktionen darauf gibt und Medienschaffende von der Aufmerksamkeit profitieren möchten. Aussagen wie „Wer ins Stadion geht, begibt sich in Lebensgefahr“ bleiben beim Konsumenten hängen. Sowohl beim sich über die Aussage ärgernden Fußballfan, sowie dem „Sowas hätte es früher nicht gegeben“ Otto Normalbürger.
Pyrotechnik geliebt und gehasst
Fast jede kritische Berichterstattung über Ultras, sei sie zurecht oder zu Unrecht gewesen, bedient sich an Bildern, auf denen der Einsatz von Pyrotechnik zu sehen ist. Es ist womöglich das Aufreger-Thema Nummer 1.
Die Bilder von 1991, als „der Betzenberg gegen den FC Barcelona brannte“, sind schon längst Kult. Enthusiastisch wie selbstverständlich scheinen damals die unzähligen Feuerwerkskörper angezündet zu werden – in Deutschland seit vielen Jahren völlig undenkbar.
Es wird vielfach erklärt, dass die Gesetzeslage für das Abbrennen von Pyrotechnik eindeutig sei – nämlich verboten. 5vier.de befragte dazu die Polizei Trier in Person von Dietmar Braun, Siegrid Herz und Stefan Charles. Für sie ist die Rechtslage klar: „Der Umgang mit Pyrotechnik ist durch Bundesgesetze klar geregelt und es ist auch unstrittig, dass Pyrotechnik im Stadion verboten ist. Je nach Art der Pyrotechnik und der Umstände des Abbrennens kann es nach dem Sprengstoffgesetz oder durch das Strafgesetzbuch geahndet werden. Beides sind Bundesgesetze, die wir nicht beeinflussen können. Da gibt es auch keinen Spielraum für die Polizei.
Darüber hinaus ist Pyrotechnik aber auch aus Brandschutzgründen undenkbar. Der Brandschutz liegt in der Verantwortung der Feuerwehr und die kann dies auch verständlicher Weise nur ablehnen. Beim Abbrand von Pyrotechnik entstehen Temperaturen von teilweise über 2000 Grad Celsius. Zudem entstehen giftige Gase und offene Flammen. Das ist schlichtweg nicht vereinbar mit dem Brandschutz.“
Ist Pyro doch nicht ausgeschlossen?
Als es vor einigen Jahren erste, aber nicht lang andauernde Gespräche zur „Entkriminalisierung“ von bengalischen Feuern in Fußballstadien zwischen dem Deutschen Fußball-Bund und Fanvereinigungen gab, ließ der DFB ein Rechtsgutachten erstellen. Aus deren Sicht ergibt sich ein klares Verbot, veröffentlichen wollten sie das Gutachten indes nicht. Es dauerte allerdings nicht lange, bis das Dokument in die Öffentlichkeit gelangte. Darin steht, dass bei der Erfüllung einiger sicherheitsrelevanten Punkten es durchaus die Möglichkeit gäbe, Feuerwerkskörper zu zünden. Darauf berufen sich seitdem die „Pyromanen“. Ein Eigentor des Verbandes.
„Für die Gefahren interessiert sich keiner. Nur für die Strafen.“
Gil von INSANE ULTRA
Für Ultras „gehört Pyro dazu, wie das Bier ins Glas“, erzählt uns Eddy mit einem breiten Grinsen im Gesicht. Ob denn keine Gefahr bestehe, möchten wir wissen. „Es ist gefährlich. Wenn man gezwungen ist es hektisch abzufackeln. Aber man weiß, wo gezündelt wird. Wenn sich da jemand verletzt, muss man sich nicht wundern. Die, die zünden wollen, werden es weiterhin tun, da wird sich nie was dran ändern“, so Eddy. „Autofahren ist auch gefährlich. Für die Gefahren von Pyro interessiert sich keiner. An Silvester ist das nicht anders. Es gibt auch Leute von der Vereinsführung die mir schon erzählt haben, dass es nichts Geileres gibt, als bei einem Sieg in der 90. Minute gegen Saarbrücken Fackeln anzuzünden. Was sie aber interessiert, ist, dass sie dafür Strafen zahlen müssen. Nur deswegen kritisieren die das“, fügen Gil und Johnny hinzu.
Ultras nicht einheitlich im Umgang mit Pyro
Ob sie sich denn auf Kompromisse einlassen würden, wie die Einhaltung der Sicherheitspunkte aus dem Rechtsgutachten, möchten wir wissen. Gil: „Das ist gar nicht machbar. Bei Derbys sind Emotionen dabei, da sollte man nicht zu viel auf Regulierungen setzen.“ Eddy stimmt nur teilweise zu: „Ich fände es gut, wenn es die Möglichkeit gäbe, legal Pyro zu zünden. Ich fürchte aber, dass der Reiz verloren ginge, wenn das auf die Minute genau vorgeschrieben wäre. Wenn der Siegtreffer in der 90. Minute fällt…“. Johnny: „Wenn aber beispielsweise auf der Anzeigetafel angekündigt wird, in der Minute X wird im Block X gezündet, könnte ich sehr gut damit leben.“ Diese Gespräche sind nun schon gut acht Jahre her, ohne dass es zu nennenswerten Annäherungen kam. Somit scheint sicher, dass die Streitigkeiten zwischen Ultras und Vereinen sowie dem DFB ein Dauerthema bleiben werden.
Lösen lässt sich das Problem in der derzeitigen Situation nicht. Man müsse schon zu drastischen Maßnahmen greifen, wie Martin Endemann von der Organisation Football Supportes Europe sagt: „Dann müsste man das Stadion zur Hochsicherheitszone erklären und Kontrollen wie am Flughafen machen. Dann müssten allerdings alle Zuschauer mindestens drei Stunden vor Spielbeginn da sein. Das dürfte niemand wollen. Viele Zuschauer würden dann wohl auch die Lust verlieren, überhaupt noch ins Stadion zu gehen.“
So weit wird es zum Glück nie kommen. Außer eine weitere Aussage von Rainer Wendt stimmt: „Es ist doch reiner Zufall, dass es noch keinen Toten gegeben hat.“
Der vierte Teil des Ultra-Reports ist auch der letzte. Begonnen hat es mit einer allgemeinen Einführung ins Thema. Es folgte der Blick auf die Trierer Szene um INSANE ULTRA und der Beziehung zum Verein, DFB und Polizei. Wir hoffen, dass wir einen kleinen Beitrag zur Übersicht und Verständnis leisten konnten. Wir freuen uns über jedes Feedback.
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