Regisseur Sebastian Welker über seine Inszenierung der Oper CARMEN, die am Sonntag Premiere im Theater Trier haben wird.
Ein wallender, roter Rock, der ein langes Frauenbein in hochhackigen Schuhen durchblitzen lässt, lockige, schwarze Haare, ein Fächer, über den nur die braunen Augen hinwegschauen: Schon hat man einen passenden Carmenverschnitt. Dann wird noch der Hüftschwung geübt und schon hat man die gängige Inszenierung einer Carmen in der gleichnamigen Oper von Georges Bizet.
Doch nicht in der Inszenierung von Jung-Regisseur Sebastian Welker, er will weg von der Klischee-Carmen, den Blick öffnen und die Person hinter dem Fächer in ein anderes Licht rücken. Nicht die Femme fatale bringt er auf die Bühne, sondern die freiheitsliebende Kindfrau. Offen, witzig, clever, mit Klischees aufräumend. „Ich versuche das Klischee „Carmen“ zu öffnen, indem ich sie nicht als Femme fatale zeige, die ihre Freiheiten behalten will, sondern als eine selbstbestimmte Frau, die nichts anderen kennt und ihre Freiheit deshalb nicht aufgeben kann.“ Welkers Carmen soll eine Ode an die Selbstbestimmtheit der Frau sein, die ihre eigenen Entscheidungen trifft und die man so respektieren muss. „In unserer heutigen Gesellschaft können Frauen so sein und man kann in jeder Frau eine Carmen finden. Da muss man nicht erst nach der exotischen, schwarzhaarigen Schönheit suchen.“
Eine Carmen in jeder Frau finden
Klischeehaft soll in Welkers Inszenierung nur eines werden: Die Verortung. Aber nicht in der Stierkampfarena, sondern in eine typische Männerklischee-Welt. Welkers Carmen spielt auf dem Fußballplatz. Wenn man Carmen in einem so modernen Feld spielen lässt wird das auf Einige sicher befremdlich wirken; eine Ent-Täuschung im wahrsten Sinne des Wortes. Im Original sieht man statt den Fußballfans Truppen von Soldaten durch die Straßen laufen, auch dies klischeehafte Männer-Vorstellungen, sie sollen ein Kontrastprogramm bilden zu der freiheitsliebenden Carmen.
Mann muss akzeptieren, dass Frau ihre Entscheidungen trifft und selbstbestimmt sein will, etwas womit nicht jeder zurecht kommt, auch José nicht: „José will Carmen kontrollieren, daraus entwickelt sich Eifersucht, geradezu eine Kontrollgier. In dem Moment, in dem man versucht einen Menschen zu kontrollieren macht man die Liebe kaputt. Die Frau hat dann nur zwei Möglichkeiten: sich zu ergeben oder zu gehen.“ Auch Carmen hätte gehen können, den ganzen letzten Auftritt über. Doch statt José zu verlassen, geht sie auf ihn zu, provoziert ihn sogar und wird im Original schließlich von ihm erstochen. Welker lässt hier klarere Worte sprechen: José erschlägt Carmen. „José ist in diesem Moment zwar nicht Herr seiner Sinne, aber ich mache ihn nicht zum Opfer, sondern eben zu dem, was er ist: zum Täter. Er hat es noch geschafft Carmen zu kontrollieren, das hat nichts leidendes, sondern ist ein Zeichen seines Sieges.“
Märtyrerin für die Selbstbestimmung
Auch Carmen macht er zu einem Zeichen, ihren Tod sieht Welker als passiven Selbstmord, sie ist enttäuscht über das Unverständnis ihrer Umwelt und über die Eifersucht Josés. Doch bevor sie sich einsperren lässt, wählt sie den Freitod. „Im Grunde ist sie eine Märtyrerin für die selbstbestimmte Frau in der Gesellschaft und weit mehr als das leichte Mädchen, das Männern den Kopf verdreht und dafür die Quittung bekommt.“
Gerade diese Oper könnte wesentlich mehr Anstoß bieten über moderne Beziehungsformen nachzudenken: nahezu jede zweite Ehe wird geschieden, ein Für-Immer-Zusammensein wird als Märchen belächelt; während unsere Elterngeneration teils noch heiraten mussten um zusammen sein zu können schaut die nachfolgende Generation vorwiegend darauf, was noch kommen könnte anstatt darauf wie man das bestehende halten kann. „Unsere Generation steht am Scheideweg. Die Gesellschaft verändert sich und das immer schneller. Wir müssen uns von vielen Sachen lösen, die Beziehungen anbelangen und uns neu entdecken und erfinden. Es gibt eben kein Rezept mehr. In Beziehungen können wir nur „überleben“ mit einem wirklichen Selbstbewusstsein und genügend Freiheit. Nicht mit einem großen Ego und Kontrolle einengen, sondern den anderen leben lassen und Freiheiten geben und ihn so an sich binden. Andererseits läuft man bei zuviel Freiheit Gefahr, dass man den anderen verliert. Den Spagat muss man schaffen.“ Carmen und José haben diesen nicht geschafft.
Seinem Premierenpublikum kann Welker den Tipp geben mit offenen Augen in den Abend reinzugehen und nicht nach den bekannten Bildern zu suchen. Es wird sie nicht geben.
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