Von Andreas Gniffke
Vielen war es aufgrund der eher unauffälligen Werbung möglicherweise entgangen, manche hatten zum Glück gerade noch rechtzeitig davon erfahren: Harry Rowohlt war in der Stadt und der große Saal der TUFA war trotz allem sehr gut gefüllt. Mehr als drei Stunden (incl. Pause) las und fabulierte der Großmeister der Abschweifung und das Publikum hing an seinen im dichten Bart weitgehend verborgenen Lippen. Der geniale Übersetzer von Flann O’Brien, Frank McCourt und Pu dem Bären gab eine Vielzahl seiner berühmten Kolumnen nebst Auszügen aus übersetzten Werken zum Besten und würzte diese mit Anekdoten, Absurditäten und sonstigen Geistesblitzen. Ein denkwürdiger Abend.
Es gibt wahrscheinlich kaum jemanden, der noch kein von Harry Rowohlt übersetztes Buch in der Hand gehalten hat (im Idealfall wurde es sogar gelesen). Bleibt dieser Berufszweig oft im Schatten von Autor und Werk, ist Rowohlt einer der wenigen Stars der Szene und unter diesen sicher der Außergewöhnlichste. Wer kein Freund des gedruckten Buches ist, hat möglicherweise schon einmal seine eindrucksvolle Stimme in Hörbuch-Vertonungen gehört, allen anderen sollte er zumindest als Penner aus der Lindenstraße bekannt sein.
Rowohlts Auftritte sind keine Events
Rowohlts Auftritte sind keine Events, Starkult ist seine Sache nicht. Vor der Lesung unterhält er sich vor der Halle mit seinen Gästen, in der Pause und nach der Veranstaltung signiert er bereitwillig und ausdauernd seine Werke („Wenn sie ein leserliches Autogramm wollen, fragen sie Uwe Seeler.“) Die gestrige Lesung in der Tuchfabrik begann er nach der obligatorischen ‚Einschleimphase‘ mit einem zuerst in der ZEIT veröffentlichten Text, in dem Rowohlt seine Zusammenarbeit mit dem irischen Autor Roger Boylan beschreibt, dessen Killoyle-Trilogie er übersetzt hat. Es folgte Anfang und Schluss aus Andy Stantons reizendem Kinderbuch ‚Sie sind ein schlechter Mensch Mr. Gum‘, wobei die Nicht-Übersetzung des englischen ‚Mr.‘ dem gewissenhaften Übersetzer natürlich Bauchschmerzen bereitete. Da aber auch eine Verfilmung mit dazugehöriger Synchronisation geplant ist, musste im Dienste der späteren Lippensynchronität ein Kompromiss gefunden werden. Man sieht: Das Übersetzerleben ist kein Leichtes. Am Ende des Buches steht eine mehr oder weniger geheime Bonusgeschichte und von diesen gibt es im Rahmen der Lesung mehr als genug. Harry Rowohlt erzählt seine Geschichten nicht linear. Er schweift ab, baut Nebenschauplätze auf und führt die Fäden augenzwinkernd und souverän wieder zusammen. Oder auch nicht. Macht dann aber auch nichts.
Der 65-jährige Hamburger lebt seine Texte
Den Vortrag als Lesung zu bezeichnen greift deutlich zu kurz, auch wenn fast alle eigenen Texte mehr oder weniger genau so bereits in den ‚Pooh’s Corner‘-Kolumnen erschienen sind. Der 65-jährige Hamburger lebt seine Texte, wechselt Stimmlage und Dialekt und wagt sich auch an liebevolle Imitationen, ohne den Respekt vor den dargestellten Personen zu verlieren. Er ist ein Sprachkünstler, der sein Talent nicht nur aufs Papier, sondern auch auf die Bühne transportieren kann.
Den zweiten Teil nach der Pause eröffnete Rowohlt mit drei gesungenen Hymnen. Zunächst das uramerikanische ‚America, the Beautiful‘, dessen nahezu sinnfreier Text sich erst in seiner präzisen aber dennoch augenzwinkernder Übersetzung offenbart. Mit den Worten seines Freundes Bill Ramsey: „Erst auf Deutsch merkt man, wie scheiße das Original ist.“ Darauf folgen zwei Hamburger Hymnen, der Aufforderung, sich doch bitte zu erheben, kommt das Trierer Publikum dann doch lieber nicht nach.
Seiner großen Hingabe zur irischen Literatur verlieh Rowohlt gegen Ende des regulären Programms noch einmal Ausdruck. Sein liebevoller und wehmütiger Nachruf auf Frank McCourt, der mit ‚Die Asche meiner Mutter‘ Weltruhm erlangte und 2009 verstarb, rückte dennoch die schönen Erinnerungen an Begegnungen mit McCourt in den Mittelpunkt, so zum Beispiel dessen große Begeisterung für irisches Freiheitsliedgut. „Erin go bragh, Francis“ hieß es am Ende und drückte noch einmal die tiefe Verbundenheit zur grünen Insel aus. „Sláinte, du fehlst, Alter.“ Wobei das Anstoßen für Rowohlt schwierig geworden ist. Bei meinem ersten Besuch einer Lesung vor vielen Jahren, teilte er noch eine Flasche irischen Whiskeys mit den Zuschauern. Aufgrund einer unaussprechlichen Erkrankung ist es Rowohlt nun nur noch viermal im Jahr gestattet, Alkohol zu konsumieren. Für den ‚Ambassador of Irish Whiskey‘ eine außerordentlich schwer zu bewältigende organisatorische Herausforderung.
‚Hund seines Lebens‘
Die Geschichte von Toxi, dem ‚Hund seines Lebens‘, beschloss die Lesung vorläufig. Toxi war ein Deutscher Boxer, der ursprünglich für den König von Nepal gezüchtet wurde, dann aber über Umwege zu Rowohlts Vater kam. Verwoben wurde die Anekdote mit der Geschichte von Rowohlts erster Liebe Petra, wobei es letztendlich der Hund in das Bett der Angebeteten schaffte, nachdem er Petra vor drei Unholden auf Mopeds beschützt hatte.
Schon zu Beginn (und immer wieder im Laufe der Veranstaltung) hatte Harry Rowohlt auf den Höhepunkt der Lesung hingewiesen, die er als Zugabe zum Besten gab. Er präsentierte eine Entdeckung, nämlich das groteske Einpersonenstück ‚Knolls Katzen‘ von Jan Neumann. Neumann gewann auf Empfehlung Rowohlts vor wenigen Wochen den „Kasseler Förderpreis für grotesken Humor.“ Das Stück erzählt die tragische Geschichte eines Theaterbesuchers kurz vor Vorstellungsbeginn, der mittels Mobiltelefon drohendes Unheil versucht abzuwenden, wobei es primär um die Rettung von ‚Knolls Katzen‘ geht. Am Ende des furios vorgetragenen Stücks steht eine unerwartete und tragische Wendung, die hier natürlich nicht verraten werden soll.
Kommentar verfassen