Eigentlich ist es keine journalistische Gepflogenheit, eine Veranstaltung zu besuchen, sie zu durchstreifen und von der Faszination geblendet und von wahnsinnigen Bildern geprägt wieder den Veranstaltungsort zu verlassen. Denn die Zeitmaschine stand tatsächlich in Saarburg: Am 12. und 13. Dezember in der KulturGießerei in Staden 130 – anlässlich des Viktorianischen Weihnachtsmarktes.
Saarburg. Ich musste mich also bereits auf dem Weg zurück anhalten und nochmals umkehren und mit meiner kleinen Kamera einige Erinnerungsbilder mitnehmen. Wenngleich dies Gesamtkunstwerk „Zeitreise“ für genau die Zeitspanne in welcher man innerhalb des Geländes der Glockengießerei war, gar nicht abbildbar ist. Hier gilt, was für solche in sich geschlossenen Systeme eines Erlebens gilt: man muss dabei, darunter oder dazwischen gewesen sein.
Tatsächlich fing mich Selim Shala (nächstes Foto), Migrant und Flüchtlingsbegleiter, ab, den ich vom Besuch der rheinland-pfälzischen Ministerin Irene Alt in der KulturGießerei kenne.
„Wir sind hier aktiv mit dabei“, rief er mir zu und verwies auf den Stand mit Punsch und Feuerzangenbowle und zwei Suppen zur Auswahl“. Mit Julika und Sebastiaan, seiner Unterstützung, hat er die Gruppe „JB 4 JF“ (Junge Flüchtlingsbegleiter für Junge Flüchtlinge) initiiert. Was bedeutet, dass sich in dieser Gruppe junge Flüchtlingsbegleiter speziell um die Integration jugendlicher Flüchtlinge kümmern. So in Sachen deutsche Sprache, Ämtergänge, Arztbesuche oder das ganz einfache Zusammensein. Und auch – Selim Shala betont dies, in Sachen Alltag und Traditionen. „Alle wissen jetzt, was ein Weihnachtsmarkt ist und was ein viktorianischer Weihnachtsmarkt ist.“
Da schließe ich mich an. Denn einen „viktorianischer Weihnachtsmarkt“ habe ich in Saarburg auch das erste Mal betreten. Da gibt es unzählige Bilderwelten inmitten der erwähnten Zeitmaschine: Da begegnet einem H.G. Wells (Stichwort: Zeitmaschine) in Begleitung von Jules Verne. Ich werde mit den Augen zum Betreten der Nautilus gebeten, um in Sekundenschnelle „20.000 Meter unter dem Meer“ zu sein. Dampfmaschinen, Eisenbahnen, Flugmaschinen, Weltraumfahrzeuge. Alles vereint sich in den in der KulturGießerei wandelnden, stehenden, schauenden, essenden, trinkenden, lachenden, staunenden, fotografierenden Menschen. Und der Steampunk-dressed vermengt sich mit den ganz normal gekleideten, selbst ein Jogginganzug mit Sportschuhen integriert sich in diesem Gesamtkunstwerk, das – und da liegt die Gefahr – je länger man darin verweilt, desto mehr Gefallen ich darin finde.
Meine „Frau mit mechanischem Papagei“ (vgl. Titelfoto) beendete meine Reise. Und ich erfuhr, dass man sich über Facebook abspricht, um Veranstaltungen oder Weihnachtsmärkte (auch ganz normale) oder Stadtfeste zu besuchen – mitunter eskortiert – um Events einfach mit den viktorianischen Kostümen (ohne den exakten Zeitbezug zu kultivieren) aufzulockern. „Bei mir fing das schon im Alter von drei Jahren an“, meint die „Papagei-Frau“. Und jetzt kultivieren wir das. Alles was in Reichweite von 300 Kilometer – wir kommen aus Aschaffenburg – liegt, wird besucht. – Es ist Kult, es ist fun, und das Kostümieren ist einfach fantastisch. Mitunter brauche ich für zehn Meter eineinhalb Stunden – zum Beispiel auf dem Kölner Weihnachtsmarkt. – „Darf ich Sie fotografieren?“ lautet die Frage und natürlich darf man das. Deshalb sind wir alle hier, um uns zu zeigen, um uns gegenseitig zu inspirieren, um fotografiert zu werden. Steampunk ist ansteckend und kreativ.“ – Und wer die von mir so genannte „Papagei-Frau“ genau anschaut findet eine Brosche aus einer Zuckerwürfelzange auf der Blüte des Mantelumschlags.
Nächstes Jahr werde ich mich zwei Tage lang in der Zeitmaschine KulturGießerei aufhalten! Angesteckt bin ich schon jetzt! (Zum Begriff „Steampunk“ informiert Wikipedia ausführlich).
Nachtrag: Natürlich hat Selim Shala mir „alle“ jungen Flüchtlingsbegleiter einzeln vorgestellt: Mohamed Amin, Mohamed Aman, Mohamed Ammar, Mohamed Sali, Salim Jakub, Jacub Salim Jakub, Mohamed Argjent, Dany und Najeeb. – Sie sprechen Deutsch und halfen auch den Besuchern in Deutsch auf ihrem gemeinsamen Stand.
Fotos: C. Maisenbacher – und sehr gerne freut sich 5vier.de den ein oder anderen Steampunk-dressed entweder mit einem Namen auszuzeichnen oder auch persönlich kennen zu lernen. – Denn kleine Zeitreisen sind im Jetzt der Gegenwart wunderschön!
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