Von Florian Schlecht
Eintracht Trier gegen den SSV Ulm. Als beide Vereine 1994 zuletzt aufeinandertrafen, schlugen die Wellen der Emotionen hoch. Vito Milosevic erinnert sich. Für den Serben war das damalige Aufstiegsspiel seine Heimpremiere im Moselstadion. Dazu sprach 5vier mit allen Beteiligten über die Ereignisse vor 18 Jahren.
Vito Milosevic ist ein wandelndes Lexikon, wenn es um Fußballgeschichte mit Eintracht Trier geht. Der Serbe sitzt bei einem Kaffee in seinem Restaurant „Balkan“, hat DIN-A3-Blöcke mit aufgeklebten Zeitungsartikeln auf dem Tisch ausgebreitet und Fotoalben mit unzähligen Bildern aus seinen acht Jahren als Verteidiger mit Herzblut. Geduldig blättert er durch Monumente der jüngsten Vereinshistorie. Jede Seite ist eine Story seines Lebens. Ein Bild mit Rudi Thömmes, auf dem die Haudegen ein Bier trinken. „Das ist aus der Zeit, als wir im DFB-Pokal bis ins Halbfinale gekommen sind.“ Dann folgt eine ausgeschnittene kicker-Aufstellung. „Da habe ich gegen den Karlsruher SC drei Elfmeter verwandelt – im Tor stand Simon Jentzsch.“ Es geht weiter mit einem Benefizkonzert zur Rettung des Vereins. „Das Insolvenzverfahren, das war beinahe das Aus“, sagt er mit betrübter Miene, die sich schlagartig aufhellt bei dem Foto, auf dem Milosevic mit Fans vor der Porta Nigra die Welle übt. „Der Aufstieg in die 2. Bundesliga“, strahlt der 47-Jährige. Nicht lange nachdenken muss er, wenn er auf den Tag angesprochen wird, der als „Spatzenbeschiss“ seinen Platz in der Vereinschronik gefunden hat. Das Heimspiel gegen den SSV Ulm am 25. Mai 1994. „Daran“, sagt er, „denke ich oft zurück.“
Für Milosevic ist das damalige Spiel in der Aufstiegsrunde nicht nur unvergesslich, weil es wegen verrückten Umständen wiederholt werden musste und bundesweit in den Schlagzeilen stand. Es war für den Restaurantbesitzer der erste Auftritt überhaupt im Moselstadion. Der Serbe wurde extra aus Belgien verpflichtet, um dem Traum vom Profifußball einen Schritt näher zu kommen. Eine Sonderregel ermöglichte den späten Transfer. „Sechs Spiele, dann sehen wir weiter“, signalisierte ihm sein Berater bei der Unterschrift. So war das Abkommen. Er grinst. „Es wurden bestimmt über 400 Spiele für die Eintracht.“ Seinen Einstand in Deutschland gab er im Duell bei Kickers Emden. „Ich erinnere mich noch an die Rasseln“, sagt er. 15.000 Zuschauer in Ostfriesland waren mit den Krachmachern ausgestattet, der Otto-Waalkes-Version der Vuvuzelas. „Es war so laut, das habe ich noch nie erlebt.“ Der Lärmpegel animierte aber eher die Trierer, die 3:0 triumphierten.
„Ich habe schon einen Vertrag für die 2. Liga unterschrieben“
Wenige Tage später folgte das Heimdebüt gegen Ulm. Für Milosevic war es ein traumhafter Einstand. Nach dem 0:1-Rückstand glich Torjäger Marc Volke aus, ehe der Neuzugang per Kopf zum 2:1 traf. Ein Foto von dem Jubel ist im Album sorgfältig eingelegt. „Das werde ich nie vergessen.“ Doch es war ein Tor ohne Wert. Drei Minuten vor dem Ende schoss ein Ordner einen ins Aus gerollten Ball so unglücklich zum Ulmer Spieler Hans-Joachim Seuferlein zurück, dass der sich vor Schmerzen krümmte und nicht mehr auf den Platz zurückkehrte. Schauspieler, schimpften die Trierer. Ulm legte Protest ein. „Für mich war das eine ganz normale Aktion. Ich hätte nie gedacht, dass das Spiel wiederholt wird“, so Milosevic, der damals noch kein Wort Deutsch verstand und sich vom Mannschaftskollegen Jürgen Mohr alle Hintergründe auf Französisch erklären ließ.
In der Vorbereitung auf das Spiel beim FSV Frankfurt ereilte die Spieler die Nachricht, dass es ein Wiederholungsspiel geben sollte. „Ich habe sofort gemerkt, dass was nicht stimmt. Alle waren plötzlich unkonzentriert“, wusste Milosevic. Was kaum jemand weiß: Der Serbe hatte wenige Tage zuvor bereits einen Vertrag für die 2. Bundesliga in Trier unterschrieben. Mit seinem Berater, Sportdirektor Szatmari und Trainer Klug saß er am Tisch. „Wir hatten 6:0-Punkte, keiner sprach mehr von der Oberliga. Zwei Zähler brauchten wir noch. Was sollte da schiefgehen?“
Happy-End in Hoffenheim
Es ging alles schief. Erst setzte es Niederlagen in Frankfurt und Ulm. Das Wiederholungsspiel entschied Markus Osthoff in der 92. Minute für die Eintracht. „Aber ich kann mich daran erinnern, dass das Spiel von beiden Seiten viel Kraft gekostet hat.“ Zu viel für das letzte Heimspiel gegen Emden, in dem Frankfurt vom Torverhältnis her noch überholt werden musste. Doch der FSV siegte 3:0 gegen Ulm – während die ausgelaugte Eintracht mit 1:3 unterlag.
Ein Happy-End gab es dennoch für Milosevic. Wenn auch mit reichlich Verspätung. Der Defensivspieler, der sich schon auf einen Abschied eingestellt hatte, blieb in Trier und wurde dort mit seiner Familie heimisch. Und auch mit dem großen Traum vom Aufstieg klappte es, wenn auch erst im vorletzten Spiel seiner Profi-Laufbahn, dem 2:1-Erfolg in Hoffenheim. Dort wird die momentane Eintracht-Mannschaft nach dem Heimspiel gegen Ulm, das sich Milosevic im Stadion ansehen wird, dann als Nächstes antreten. Für den Serben, der zuletzt den SV Leiwen trainierte, schließt sich durch den Spielplan so in nur sieben Tagen ein Kreis von acht bewegten Jahren im Eintracht-Trikot. „Ich habe immer betont, dass ich geblieben bin, um Trier in die 2. Bundesliga zu führen“, sagt er und klappt das Album stolz zu. Ein Mann – ein Versprechen.
+++Die Schattenseiten der Aufstiegsrunde 1994+++
Erstmals seit der Aufstiegsrunde 1994 treffen Eintracht Trier und der SSV Ulm am Sonntag wieder aufeinander. In den Erinnerungen sind den Beteiligten die Abläufe, die zum Wiederholungsspiel führten, noch mit über 18 Jahren Abstand. Als 5vier den Ordner erreichte, der damals Hans-Joachim Seuferlein den Ball unglücklich in den Unterleib schoss, wollte der sich gar nicht mehr äußern. „Ich will nicht, dass die ganze Geschichte wieder hochkocht.“ Die Wunden sitzen noch tief. Eric Schröder, damals im Trierer Kader und mittlerweile Trainer von Mosella Schweich, kann das verstehen. „Es gab wohl einiges an Bedrohungen in seine Richtung.“ Vito Milosevic bestätigt das. „Für ihn war das keine leichte Zeit.“
Davon berichtet auch Seuferlein. „Es war eins der einprägsamsten Spiele meiner Fußballkarriere“, muss auch der damalige Ulmer nicht lange im Gedächtnis kramen. „Ein Funktionär wollte den Ball wegschießen und traf mich so schmerzhaft, dass ich nicht mehr weiterspielen konnte. So habe ich das damals auch dem Sportgericht erzählt.“ Die hitzigen Reaktionen nach dem Protest erschreckten Seuferlein. „Meine Frau wurde zu Hause angerufen, es gab Beleidigungen und wirklich unschöne Dinge in unsere Richtung.“ Mit der angespannten Atmosphäre, den Transparenten und Beschimpfungen im Wiederholungsspiel hatte der Ulmer dagegen keine Probleme. „Im Stadion kann man Emotionen zum Ausdruck bringen, darauf hatte ich mich eingestellt. Aber ab dann gibt es eine Grenze, die man nicht überschreiten sollte.“ Ein Zeitzeuge von 1994 nimmt auch das höchste Amt in Ulm ein. Präsident Peter Sauter war damals noch Trainer der „Spatzen“.
P. Gascoigne meint
Es ist schon ein Witz, dass auch heute noch die Mär vom verletzten Seuferlein kolportiert wird. Fakt ist: Seuferlein spielte weiter! Und Fakt ist auch, dass er von Trainer Sauter zum Liegenbleiben animiert wurde, was den Spieler zum sterbenden Schwan werden ließ. Der Fisch stinkt auch hier vom Kopf zuerst. Dieses Kapitel ging das große Buch der Unsportlichkeiten ein. ein Treppenwitz der Geschichte, dass die Bilder des Südwestfunks die Beweisführung der Ulmer unterstützten. Naja, den SWR ignoriere ich seit Jahren (und es gibt ja 5vier) und meine Eintracht siegte heute 3:2. Eine kleine, aber schöne Genugtuung.
Kuckuck meint
Ein Super Artikel, da werden echt Erinnerungen wach an die gute, alte Eintrachtzeit. Hoffentlich kommen wir irgendwann mal wieder dahin.