Seit gut einem Jahr ist Katarina Barley Vizepräsidentin des EU-Parlaments. „Dass es so turbulent werden würde, hatte ich mir nicht ausgemalt“, sagt Barley und spielt auf die Corona-Krise an. Aber auch auf die massiven Probleme in der Wertegemeinschaft.
In Teil 3 des Interviews geht es um die Europapolitik. Hier gibt’s das Interview in voller Länge zum Nachhören. Die wichtigsten Aussagen auf einen Blick:
Reaktion der EU auf die Proteste in Belarus
„Das ist eine sehr knifflige Situation. Die EU muss die Demokratie unterstützen und gleichzeitig eine Eskalation vermeiden. Die EU hat sehr klar gesagt, die Wahl war nicht in Ordnung. Russland spielt eine große Rolle in diesem Konflikt.“
Wie geht man in dieser Situation richtig mit Putin um?
„Indem man ihn ernstnimmt. Politik hat viel mit Emotionen und Eitelkeiten zu tun. Das ist in manchen Kulturen wichtiger als in anderen. Man muss Putin das Gefühl geben, dass man weiß, dass er wichtig ist. Das hört sich banal an, aber das ist nicht zu unterschätzen.
Das zweite ist, ihm klarzumachen: Die internationale Staatengemeinschaft hat da ein Auge darauf. Dass wir nicht nach zwei Wochen wieder zur Tagesordnung übergehen. Er steht unter Beobachtung. Und dass die Sanktionen auch nochmal verschärft werden können, wenn sich nichts ändert.“
Überraschungen im EU-Parlament
„Die größte Überraschung war vielleicht, dass die Vorurteile, die ich eigentlich nicht habe und haben will, sich doch hin und wieder bestätigen. Dass die Mentalitäten auch durchschlagen bei sowas.
Klar, viele Leute vereinen, wie ich, verschiedene kulturelle Hintergründe. Man kann das auch nicht über einen Kamm scheren. Aber, ich überspitze jetzt mal: Sitzungen, die von Spaniern oder Italienern geleitet werden, da braucht man nicht pünktlich da sein. Wenn ich 15 Minuten später komme, bin ich immer noch locker rechtzeitig. Wenn das eine Estin oder ein Finne ist, sieht man zu, dass man pünktlich da ist.
Das ist aber auch das Liebenswerte am EU-Parlament. Auch einer der Gründe, warum ich mich darauf gefreut habe, da zu sein. Die unterschiedlichen Mentalitäten sind ein Reichtum.“
Digitalsteuer
„Europa hat keine Kompetenz in Steuerfragen. Man braucht also eine Einigung der Mitgliedsstaaten. Im nächsten Haushalt wird die EU erstmals auch eigene Steuern erheben können. Da sind verschiedene Steuern im Spiel, zum Beispiel eine Umwelt-Steuer auf Importe.
Die Digitalsteuer gehört auch dazu, damit man europaweit die großen Tech-Giganten heranzieht zur Finanzierung des Gemeinwesens. Das ist, glaube ich, jetzt deutlich realistischer, als es die letzten Jahre war.“
Kein Fan von Satire-Politiker Martin Sonneborn
„Martin Sonneborn erlebe ich als einen sehr klugen, witzig, scharfsinnigen Menschen. Ich finde trotzdem, dass er Schaden anrichtet. Das kann ich ihm auch nur schwer verzeihen.
Dass er abwechselnd abstimmt, ist für einen Moment ein ganz guter Gag, aber es sagt, es ist egal wie ich abstimme. Und das ist es nicht. Viele Entscheidungen gehen knapp aus. Die Wahl von Ursula von der Leyen zum Beispiel. Dieses Verächtlichmachen von Demokratie finde ich schädlich.
Es ist dumm und es ist gefährlich. Auch wenn man es klug macht. Gerade wenn man es klug macht.
Ich finde, das ist insgesamt eine gefährliche Entwicklung, dass Menschen Politiker wählen, die sagen, wir wollen eigentlich nicht Politik machen in einem gescheiten Sinne. Demokratie ist etwas sehr Zerbrechliches. Wir haben das in der Geschichte gesehen, Wir sehen das auch jetzt in Polen und Ungarn.
Die Kritik, die er übt, ist oft sehr pointiert. Aber da ist null Konstruktives dabei. Das ist mir zu billig. Ich kann so leicht was kaputt machen. Was Konstruktives ist so viel schwieriger.
Da sind jetzt auch ein paar Idioten in diesem Parlament, da sind auch ein paar Arschlöcher in diesem Parlament. Aber da sind so viele Menschen, die versuchen was Konstruktives zu machen.“
Die Probleme in Polen und Ungarn
„Die Wertekrise ist schwer. Weil die EU zu spät angefangen hat, zu reagieren. Es greift auf andere Länder über.
Bisher hat die EU nur zwei Instrumente dagegen. Das eine ist das Artikel-7-Verfahren. Die anderen Staaten können einen Staat bestrafen, die schlimmste Bestrafung ist der Stimmentzug. Aber Einstimmigkeit ist gefragt. Das greift im Moment nicht.
Das zweite ist der europäische Gerichtshof, der sehr wirkungsvoll ist. Er konnte in Polen bei der Justizreform einiges zurückdrehen. Bisher haben Polen und Ungarn die Urteile des Europäischen Gerichtshofs befolgt.
Wir wollen neue Instrumente einführen, eins davon ist ein jährliches Rechtsstaat-Monitoring. Da werden jedes Jahr alle Mitgliedsstaaten überprüft. Wenn man systematisch Rechtsstaatlichkeit verletzt, soll man finanzielle Konsequenzen spüren. Das ist das einzige, was bei Leuten wie Orban oder der PiS-Partei helfen wird.
Wir verhandeln das grade. Aber Polen und Ungarn müssen zustimmen. Das ist schwierig, denn wir wollen etwas, was wirklich Zähne hat und wirklich hilft.“
Was ist die EU ohne Werte?
„Wenn die Wertebasis nicht mehr besteht, dann stirb die EU. Da bin ich fest von überzeugt. Deshalb ist das jetzt eine ganz entscheidende Phase. Die Hoffnung ist: In Polen und in Ungarn gibt es eine sehr proeuropäische Bevölkerung. In Polen hat die rechtspopulistische PiS-Partei nur die eine Kammer gewonnen. Den Senat hat die Opposition gewonnen.
In Ungarn hat Orban die Kommunalwahl verloren. Obwohl die Opposition fast keinen Wahlkampf machen konnte, weil die Medien unter Regierungskontrolle sind.
Es gibt immer Zeichen, die Hoffnung machen. In Polen hätte fast der Oppositionskandidat die Präsidentschaftswahl gewonnen. Am Ende des Tages muss das aus dem Volk selbst heraus kommen. Das kann die EU nicht machen.
Wenn wir diese Wertebasis verlieren, auf die sich alle verpflichtet haben, dann ist die EU auch nichts mehr Wert. Dann wird es sie auch nicht mehr lange geben.“
Ihr persönlicher Antrieb
„Ich bin Juristin mit großer Leidenschaft, da ist genau das Thema Rechtsstaatlichkeit, dafür brenne ich total. Als Justizministerin war ich in Polen, hab mich mit meinem Kollegen getroffen und auseinandergesetzt. Das ist mein Feld. Ich bin auch in dem Ausschuss für bürgerliche Freiheit.
Ich bin in der Rechtsstaatlichkeitsarbeitgruppe, die sich mit Pressefreiheit beschäftigt. Das ist meine Leidenschaft. Das ist das, wofür ich total brenne, wo ich alles, was ich habe, einsetze. Dass wir da wieder hinkommen, zu einem gemeinsamen Grund, auf dem wir alle stehen.“
Das ganze Interview als Podcast hören? Hier entlang.
Das Interview wurde am 25. August geführt.
Attila meint
Solange Frau Barley Werte bei anderen kritisiert, die gleichen Massstäbe der angeblichen Grundwerte in der EU oder in D nicht kritisiert, hat sie für mich keine Legitimation. Im Artikel bestätigt sie ja direkt die unterschiedliche Mentalität und Auffassung in Dingen des Lebens. Südländer kommen also zu spät? Das ist also okay. Freitags nachweislich gar nicht kommen oder sich nur schnell mit Namen in der Anwesenheitsliste einschreiben – somit also das Tagegeld kassieren – scheint dann ja wohl auch okay zu sein. Wenn einzelne Nationen die Missstände der westlichen Nachbarn (No-Go-Zonen, gestiegen Kriminalität durch Migranten, unkontrollierte Einwanderung, Asylmissbrauch, Nichtabschiebung, etc.) nicht wollen und ihre Politik zum Schutz der eigenen Bevölkerung danach ausrichten, dann ist das nicht okay. Welche Werte werden hier eigentlich verteidigt? denken Sie mal nach und kommen sie von ihrem erhöhtem Ross herunter! Es gibt Völker, die wollen die Fehler der westlichen Welt einfach nicht wiederholen. Das ist legitim und sollte respektiert werden.