Was ist Tai Chi eigentlich? Ist das überhaupt Sport und was soll man da bitte Neues lernen? Als ich einen Flyer für einen Tai Chi Kurs sah, war ich skeptisch, aber neugierig. Ich stellte mir eine ruhige, spirituelle Disziplin vor, die wenig mit Sport zu tun hat. Doch nach ein wenig Recherche wurde klar, dass diese chinesische Bewegungslehre weit mehr zu bieten hat: Es geht um Selbstfindung, Gesundheit und das Zusammenspiel von Körper und Geist.

Erste Schritte und Vorurteile
Als Handballspieler erschien mir Tai Chi mit seinen langsamen Bewegungen, dem Yin und Yang und der Lebensenergie Qi als völliges Kontrastprogramm. Doch die Neugier siegte – vielleicht würde es ja sogar meinem Handballspiel zugutekommen. Ich fuhr also zum Treffpunkt, dem wunderschönen Trierer Petrispark, in dem ich, zu meiner Schande, noch nie war. Das Wetter war wie bestellt, die Sonne schien, im Park flanierten ein paar Leute, leiteten das Wochenende ein und meine Laune stieg, trotz meiner Zweifel, immer mehr an. Etwa ein Dutzend andere Teilnehmer warteten schon im Park. Eine bunt gemischte Gruppe jeden Alters und Geschlechts und alle super nett und aufgeschlossen.

Das Training
Nachdem wir uns begrüßt und etwas Smalltalk gehalten hatten, begann unser Training mit einem lockeren Warm-up auf der Wiese, gefolgt von einer Einführung durch den Sifu Jürgen Meyer höchstpersönlich. Als Sifu bezeichnet man einen Meister im Tai Chi. Jürgen Meyer wurde von dem traditionellen Meister des südlichen Wu Tai Chi Stils Ma Jiangbao direkt trainiert und hat bereits im Alter von 14 Jahren mit dem Kampfsport begonnen. Begleitet wurde er von seinem Kursleiter und Veranstalter des Workshops Johannes Nett, welcher Tai Chi Kurse in der Region Trier organisiert.

Muskelkraft wird überbewertet
Der Sifu erklärte uns die Prinzipien des Tai Chi, die darauf abzielen, die innere Kraft Qi durch Wirbelsäule und Gelenke zu bewegen, um die Energiebahnen zu öffnen und die Balance zwischen Yin und Yang herzustellen. Bereits die ersten Übungen machten mir klar, dass die Bewegungen alles andere als leicht sind: Sie sind fließend und langsam, ohne jede ruckartige Bewegung, und fordern den gesamten Körper. Beim Tai Chi steht die Muskelkraft an sich nämlich im Hintergrund. Ziel ist es, dass ,,Selbst zum Stehen die Muskulatur immer weniger verwendet wird, bis Sehnen, Bänder und das Skelett sich „selbst tragen„…“ erklärt der Sifu Jürgen Meyer. Bei diesen scheinbar einfachen Bewegungen hatte ich – ganz anders als erwartet – schon Schwierigkeiten. So musste mir die nette Dame neben mir auch ein paar Tipps geben. Trotz meines 24 Jahre jungen Körpers waren meine Bewegungen hölzern und steif und mir wurde bewusst, dass mein Qi noch nicht so richtig fließt. Nun hatte mich aber auch mein Ehrgeiz gepackt und ich wollte mir beweisen, dass ich mehr kann als nur kräftig zu sein.







Überraschende Erkenntnisse durch Partnerübungen
Dann ging es mit den Partnerübungen weiter. Bei diesen sind die flüssigen Bewegungsabläufe, das gegenseitige Spüren und Reagieren auf die Bewegungen des Partners essentiell. Deshalb nennt man diese Übung auch ,,Tuishou/ Pushing hands“. Es geht aber nicht darum, den Partner zu besiegen und zu gewinnen. Statt zu blockieren oder anzugreifen, soll die Kraft des Partners aufgenommen und weitergeleitet werden. Als Anfänger sollte man sich noch langsam bewegen, um auf die korrekte Ausführung achten zu können. Bei Fortgeschrittenen sind die Abläufe allerdings schnell, trotzdem kontrolliert und man merkt, warum Tai Chi auch eine Kampfkunst ist. Wichtig dabei ist immer die richtige Körperhaltung: Ein Schulterbreiter Stand, das Becken bleibt gerade und der Oberkörper sollte leicht nach vorne geneigt sein, um Stabilität zu gewinnen und trotz allem locker zu bleiben. Zu meiner Überraschung halfen diese kleinen Tipps enorm und ich spürte, wie wichtig Haltung und Balance sind. Diese Übung zeigte mir, wie viel Präzision und Feinfühligkeit Tai Chi erfordert und wie sehr es die Körperwahrnehmung schult.

Gesundheitliche Vorteile
Wenn man diese Körperhaltung und die Bewegungen durch tägliches Wiederholen verinnerlicht, kann das im Alltag oder bei anderen sportlichen Betätigungen helfen. Deshalb kann Tai Chi besonders bei älteren Menschen Sturzrisiken minimieren und Gelenkprobleme lindern. So sagt auch Jürgen Meyer: ,,Tai Chi ist grundsätzlich für jeden Menschen geeignet. Es geht im Tai Chi nämlich nicht um die Extreme „höher, schneller, weiter“, sondern um das richtige Maß. Die Stände sind nicht extrem tief und Arm- und Schrittbewegungen sind nicht extrem weit, sondern genau richtig. Es werden lockere Dehnungen geübt, die die Muskulatur entspannen und die Energie zum Fließen bringen.„.
Nicht ohne Grund bezuschussen Krankenkassen die Tai Chi Einsteigerkurse von Jürgen Meyer mit bis zu 80% der Kosten. Trotzdessen kann Tai Chi durchaus zur Selbstverteidigung angewendet werden, auch wenn dies nicht im Vordergrund steht. Mit diesen dazu gewonnenen Erkenntnissen stand ich also am Petrisberg, die Abendsonne schien mir ins Gesicht, ich folgte Johannes bei seinen Bewegungen und ich konnte mich endlich wirklich entspannen. Die Übungen brachten meine Knöchel, Knie und Schultern zum knacken, was mich darin bestätigte, dass der Sifu Recht hatte und Tai Chi wirklich hilft, die Gelenke geschmeidig zu halten und zu ,,ölen“.

Fazit: Ein unerwarteter Perspektivwechsel
Tai Chi war eine ganz neue Erfahrung für mich. Ich kam mit vielen Zweifeln an und verließ den Petrisplatz mit vielen neuen Erkenntnissen und interessanten Eindrücken. Die Lehre von Yin und Yang, davon, dass es ein Gleichgewicht und Miteinander zwischen zwei Kräften geben sollte, kein Gegeneinander, sollten wir in vielen Bereichen des Lebens und der Gesellschaft mehr beherzigen. Auch gesundheitlich konnte ich lernen, dass schonende, aber korrekt ausgeführte Bewegungen helfen, den eigenen Körper besser wahrzunehmen und ihn zu pflegen. Es lohnt sich, altbekannte Wege zu verlassen und auch mal neue, unbekannte Wege zu beschreiten. Wer also auch mal die Pfade des Tai Chi beschreiten möchte, meldet sich am besten bei Johannes Nett. Dort findet man ein breites Kursangebot mit verschiedenen Standorten in der Region.
Vielen Dank an Jürgen Meyer und Johannes Nett, dass ich bei dem Tai Chi Kurs zu Gast sein durfte.
Weitere Infos und Termine für Kurse unter: wu-taichi-trier.de und wu-taichi-saar.de, bald auch mit neuen Kursangeboten ab 2025 im kanso – Zentrum für Körper, Geist und Seele in Konz.
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