Der Kader der deutschen Nationalmannschaft, in Insiderkreisen auch Jogis Jungs genannt, steht seit gut einer Woche. Wie jedes Jahr lösten die Entscheidungen von Joachim Löw Diskussionen unter dem Fußballvolk aus, dabei änderte sich im Vergleich zur WM 2010 nicht viel. 5vier-Redakteur Alexander Heinen nahm den Kader der Deutschen Adler unter die Lupe.
Die Torhüter:
Können sie sich an eine deutsche Mannschaft erinnern, die ein Torwartproblem hatte? Nein? Gut, ich auch nicht. Deutschland bringt schon seit Ewigkeiten hervorragende Torleute hervor, und das zeigt sich auch bei dieser EM. Dieses Jahr haben es Manuel Neuer, Ron-Robert Zieler und Tim Wiese in den Kader geschafft, Marc-Andre ter Stegen wurde kurz vor der WM zum Streichkandidat. Dabei könnte Deutschland die beiden Ersatztorleute auswechseln, ohne einen wirklichen Unterschied feststellen zu müssen. Der Deutsche Meister Roman Weidenfeller schaut ebenso vom Fernseher aus zu wie das einstige Toptalent Rene Adler. Weiterhin tummeln sich in der Bundesliga mit Sven Ulreich, Bernd Leno und Oliver Baumann drei weitere junge Torhüter, die in so manch anderer Nation gern gesehene Kadergäste wären. Zur Info: In England wurde ein Torwart eines Zweitligaaufsteigers nominiert. Das wäre in etwa so, wie wenn Jogi Löw einen jungen Daniel Ischdonat berufen würde. Verrückte Fußballwelt.
Manu, Tim und Ron-Robert
Mit Manuel Neuer hat Deutschland einen der stärksten Torhüter des Turniers. Obwohl er keine komplett fehlerfreie Saison spielte, zählt der Ex-Schalker als Garant für Zuverlässigkeit und Sicherheit. Der mittlerweile auch „dahoam“ in Bayern angekommen Keeper überzeugt nicht nur durch seine blitzschnellen Reflexe, sondern besticht auch mit fußballerischem Können. Im Champions-League-Finale gegen den FC Chelsea musste er sogar seinen verunsicherten Kollegen beim Elfmeterschießen helfen. Neuers Ehrgeiz war dabei schon in sehr jungen Jahren recht ausgeprägt:
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Die Nummer zwei in der Nationalelf ist Tim Wiese. Wiese, der im Sommer zu einem Verein „der dauerhaft um Titel mitspielen wird und finanziell nicht am Hungertuch nagt“ wechseln wird, ist neben Miroslav Klose der „Opa“ der Mannschaft. Mit seinen 30 Jahren ist er der zweitälteste Nationalspieler. Das sollte mal jemand den Italienern erklären! (Sofern sie mitspielen…) Der Ex-Bremer kam bislang auf sechs Partien im DFB-Trikot, eine perfekte Nummer Zwei. Immer wenn er gebraucht wurde, war er da und verhielt sich stets fair und ruhig. Dazu hat er viel internationale Erfahrung mit Werder Bremen gesammelt.
Ron-Robert Zieler von Hannover 96 ist Torwart Nummer drei. Durch konstant gute Leistungen in der Bundesliga verdiente sich der gebürtige Kölner seine Nominierung. Dabei war Zieler vor zwei Jahren noch ein totaler Nobody. Zur Saison 2010/2011 wechselte der Jungspund von der Reserve von Manchester United in die niedersächsische Landeshauptstadt, wohlgemerkt als Nummer Zwei hinter Florian Fromlowitz. Am 16.01. schlug seine große Stunde und er absolvierte seine erste Bundesligapartie gegen den 1.FC Nürnberg. Seitdem ist Zieler nicht mehr aus dem 96er-Tor wegzudenken, Fromlowitz flüchtete nach Duisburg.
Fazit: Im Tor sind die Deutschen zusammen mit Spanien die wohl bestbesetzte Mannschaft im Turnier. An unseren drei Torleuten sollte ein Ausscheiden nicht liegen!
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Die Abwehr:
Die Abwehr ist in diesem Jahr das Sorgenkind der Deutschen, und das nicht zum ersten Mal. Schon bei der EM 2008 war Jogis Abwehr vor allem in der Anfangsphase des Turniers nicht sattelfest. Erinnern sie sich noch, wie Marcell Jansen gegen Kroatien auf der Außenverteidigerposition düpiert wurde? Ähnlich sieht es in diesem Jahr auf den Außenpositionen sein. Mit Phillip Lahm verfügt Deutschland nur über einen Außenverteidiger, der bisher dauerhaft seine Klasse unter Beweis stellen konnte. Sein Partner wird aller Voraussicht nach Jerome Boateng werden. Der Neu- Bayer pendelte in der Bundesliga stets zwischen Innenverteidigung und den Außenpositionen, auf keiner der beiden Positionen konnte er vollkommen überzeugen. Boateng kann vieles gut, aber nichts richtig gut. Dahinter steht Marcel Schmelzer als mögliche Alternative bereit. Der Dortmunder spielte eine überragende Bundesligasaison, doch in der Nationalmannschaft konnte der Blondschopf noch nicht überzeugen.
Auch in der Innenverteidigung bestehen Probleme. Gesetzt sollte Holger Badstuber vom FC Bayern München sein, er spielt sowohl in der Nationalmannschaft als auch in der Bundesliga auf einem konstant hohen Niveau. Neben ihm hat Joachim Löw die Auswahl zwischen Mats Hummels und Per Mertesacker. Bei Hummels verhalten sich die Probleme analog zu denen seines Mannschaftskollegen Marcel Schmelzer. In der Bundesliga nahezu unersetzbar, in der Nationalmannschaft eher nur ein laues Lüftchen. Hummels hat in erster Linie mit der taktischen Ausrichtung Löws Probleme. Beim BVB darf der Lockenkopf das Spiel mit ankurbeln, oft leitet er Angriffe mit öffnenden Pässen ein. Löw hingegen ist diese Spielweise zu riskant, er setzt lieber auf einen behutsamen Spielaufbau über die „Sechser“. Ein mögliches KO-Kriterium für Hummels.
Per oder Mats?
Per Mertesacker wechselte im Sommer 2011 auf die Insel. Der Ex-Bremer wurde schnell zur festen Größe bei Arsenal London, ehe ihn eine schwere Bänderverletzung stoppte. „Merte“ kämpft seitdem um Anschluss und um seinen Platz in der Innenverteidigung. Trotz der langen Verletzungspause könnte er den Vorzug vor Mats Hummels aus den oben genannten Gründen bekommen. Eine weitere Alternative in der Abwehr ist Benedikt Höwedes. Der Schalker kann nahezu jede Position in der Viererkette spielen und blickt auf eine erfolgreiche Saison mit den „Knappen“ zurück.
Fazit: In der Abwehr fehlen den Deutschen die herausragenden Spieler. Hier sind die Konkurrenten wie Spanien oder Frankreich deutlich besser aufgestellt.
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Das Mittelfeld:
Das Mittelfeld ist das Prunkstück der Nationalmannschaft. Die Qualität, über die Deutschland dort verfügt, ist in diesem Jahr wirklich herausragend. Die Fünf, die wahrscheinlich in der Stammelf stehen werden, sind allesamt bei einem europäischen Topverein unter Vertrag. Thomas Müller und Toni Kroos verdienen ihr Geld in München, Mesut Özil und Sami Kedhira sind Mourinhos Lieblinge bei Real Madrid. Lukas Podolski geht ab der nächsten Spielzeit für Arsenal London auf Torejagd.
Schweini oder Toni?
Ein echter Härtefall könnte Sebastian Schweinsteiger werden. Mittlerweile hat ihm sein Teamkollege Toni Kroos etwas den Rang abgelaufen. Der 22-jährige kommt bei den Bayern immer besser in Fahrt und ist in Sachen Offensive die torgefährlichere Wahl. Schaut man auf die Saisonwerte, so steht Kroos mit vier Toren und zehn Vorlagen deutlich besser da als „Schweini“. Dazu wurde Schweinsteiger im Laufe der Saison immer wieder von Verletzungen heimgesucht, auch die EM-Vorbereitung musste der Bayer über weite Strecken aussetzen. Es dürfte wohl vom Gegner abhängen, welcher der beiden Akteure zum Einsatz kommt. Bei offensiver Spielweise ist Kroos die bessere Wahl. Setzt Löw auf Defensive, so hat Sebastian Schweinsteiger Vorteile.
Auch die Alternativen lassen sich durchaus sehen. So muss sich das neue „Wunderkind“ Mario Götze nach verletzungsreicher Saison hinten anstellen, sein zukünftiger Teamkollege Marco Reus spielte bei Borussia Mönchengladbach eine überragende Saison und kann im Offensivbereich nahezu jede Position spielen. Dazu steht mit Andre Schürrle einer der besten Joker seit Jahren bereit. Der vielseitige Leverkusener spielte zwar nur eine durchschnittliche Saison, zeigte aber in den letzten Testspielen vor der EM seinen ausgeprägten Torriecher. Ilkay Gündogan und Lars Bender sind im stark besetzten Mittelfeld eher die Außenseiter und wurden vor der EM als Streichkandidaten gehandelt. Bender ist eher der Mann fürs Grobe. Unermüdlicher Einsatz, enormes Laufpensum und „Wadenbeißer-Qualitäten“ sind die Attribute, mit denen Bender punkten kann. Ilkay Gündogan hingegen ist ein komplett anderer Spielertyp. Der Deutsch-Türke, der 2011 von Nürnberg zum BVB wechselte, hatte in Dortmund Startprobleme und fand sich in der Hinrunde öfters auf der Tribüne wieder. Zu wenig für den aufstrebenden Jungstar. Doch ab der Rückrunde konnte „Ily“ zu alter Stärke wiederfinden und wurde zur unverzichtbaren Größe im Dortmunder Spielaufbau. Sowohl Gündogan als auch Bender gelten als Alternativen in der Zentrale.
Fazit: Das deutsche Mittelfeld ist nicht nur gut bestückt, sondern vor allem eingespielt! Hier verhält es sich wie bei den Torleuten: In diesem Mannschaftsteil zählen wir zu den besten des Turniers. Wenn da diese verflixten Spanier nicht wären…
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Der Sturm:
Im Angriff der Deutschen finden sich dieses Jahr nur zwei echte Stürmer, Miroslav Klose und Mario Gomez. Dazu können Lukas Podolski, Marco Reus und Andre Schürrle im Angriff aushelfen, sobald Not am Mann ist. Wieder heimgeschickt wurde der Germano-Brasilianer Helmut, der schon bei seiner Nominierung zum erweiterten Kader Diskussionen auslöste. Nicht wenige hätten gerne Patrick Helmes gesehen.
Trotz der geringen Auswahl: Deutschland besitzt hier Klasse statt Masse. Miroslav Klose ist der älteste im Team, gleichzeitig aber auch der erfahrenste und einer der torgefährlichsten Stürmer die das UEFA-Turnier je gesehen hat. Auch in seiner neuen Heimat Rom konnte der bei Bayern ausgemusterte Klose an alte Stärke anknüpfen und wurde in Italien schnell zum Publikumsliebling. Im Gegensatz zu Gomez ist er der spielerisch bessere Stürmer. Nur noch fünf trennen ihn vom Rekordtorschützen Gerd Müller, der die Liste der Torjäger mit 68 Toren anführt.
Klose auf Gerd Müllers Spuren
An seinem Sturmpartner Mario Gomez scheiden sich die Geister. Manche sehen in ihm einen „Stolperer“ oder auch einen „Chancentod“. Fakt ist, dass Gomez in der letzten Saison 42 Pflichtspieltore erzielte. Das kann kein Zufall sein! Auch wenn Gomez spielerische Defizite hat: Mit seiner Torquote zählt er zur Elite in Europa. Ob nun Klose oder Gomez Stürmer Nummer Eins wird, dürfte wie bei den Alternativen Kroos/Schweinsteiger von der Taktik des Gegners abhängen. Beide Spieler genießen bei Jogi Löw hohes Ansehen, beide haben in ihrer individuellen Spielweise ihre Vorteile.
Fazit: Auch im Sturm ist Deutschland sehr gut besetzt, auch wenn eine dritte Alternative mit Sicherheit diskutabel ist. Dennoch: Es gab Turniere, da standen Kevin Kuranyi, Thomas Brdaric oder Carsten Jancker im Aufgebot. Also kein Grund zur Sorge, liebe 5vier-Leser!
Hier gibt es die deutsche Mannschaft noch einmal in musikalischer Form als A cappella-Aufstellung von Monaco Cherry:
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