67 Trierer haben am Montag, 8. Oktober, in der Europäischen Rechtsakademie mit Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) zur Zukunft Europas diskutiert. Beim von der Volkshochschule Trier organisierten Bürgerdialog wurden Themen wie Migration, Steuerpolitik, Grenzgänger, Fachkräftemangel und Pflegenotstand angesprochen. Die Ergebnisse des Tages sollen in Brüssel ausgewertet werden und in die Europapolitik einfließen.
Volkshochschulen sind Partner der EU- Bürgerdialoge der Bundesregierung
Trier. Mit großer Freude hat der Deutsche Volkshochschul-Verband (DVV) die Einladung der Bundesregierung angenommen, als Partner die Reihe der Bürgerdialoge zur Zukunft Europas mitzutragen. „Wir betrachten dies als Anerkennung dafür, dass Volkshochschulen das Thema Europa stets lebendig halten“, sagt der DVV-Vorsitzende Dr. Ernst Rossmann anlässlich der Dialog-Veranstaltung mit Angela Merkel.
30 Volkshochschulen aus zehn Bundesländern beteiligen sich an der Aktion, die im Mai gestartet war und noch bis Ende Oktober läuft. Dass die Bundeskanzlerin nach Trier kommt, ist Zufall – wohl aber aufgrund der geografischen Lage der ältesten Stadt Deutschlands bewusst gewählt. Trier ist für Merkel der vierte und letzte Bürgerdialog der diesjährigen Kampagne. Nach 5vier.de-Recherche hätten die Teilnehmer beim Bürgerdialog in Trier nicht nur mit der Bundeskanzlerin, sondern auch mit Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron diskutieren sollen. Aber der Termin mit Macron habe in Trier laut Merkel leider zeitlich nicht gepasst, weshalb sie mit ihm ein anderes Mal über Europa sprechen wolle.

Wer diskutiert mit Merkel?
Die ausrichtende VHS Trier hat für die Auswahl der Bürger ein zweistufiges, aufwendiges und faires Verfahren gewählt, um ein möglichst breites Publikum anzusprechen. Rudolf Fries, Leiter der Trierer VHS, erklärt dies wie folgt: „Ich bin stolz, dass die Kanzlerin zu uns nach Trier kommt. Wir hatten die nicht ganz einfache Aufgabe, die knapp 70 Teilnehmer auszusuchen. Unsere Idee war, mit den Teilnehmern die Zivilgesellschaft abzubilden. Die eine Hälfte wurde nach dem Zufallsprinzip aus dem Kreis von unseren Kursteilnehmern ausgelost.
Die andere Hälfte setzt sich aus Organisationen zusammen, die teils Kooperationspartner der VHS sind. Auf unsere Anfrage hin haben diese Partner der VHS interessierte Bürger vorgeschlagen. Einzige Bedingung war, dass diese Personen keine politischen Amtsträger sein dürfen, weil die Bürger im Mittelpunkt stehen.“

„Mich hat die VHS Trier vor drei Wochen angerufen und gefragt, ob ich Interesse am Gespräch mit Merkel habe. Da mir europäische Werte wichtig sind, habe ich zugesagt und finde es gut, dass ganz verschiedene Themen diskutiert werden“, sagt Vincent Maron aus Trier.
Schülerin Johanna Domingues (17) ist begeistert von der Offenherzigkeit der Kanzlerin: „Mir hat die Veranstaltung insgesamt sehr gut gefallen, da Frau Merkel offen war und gut auf die Fragen eingegangen ist. Ich fand sie nett und recht locker.“
Kritik an „ausgewählten Bürgern“
Angesprochen auf die Kritik am „Auswahlverfahren“ zeigt Fries zwar Verständnis, betont aber auch: „Wenn wir 70 Trierer einladen, laden wir damit aber auch 99.930 Trierer aus. Es ist klar, dass die Teilnehmerzahl stark begrenzt ist, von daher haben wir ein sehr aufwendigen Verfahren angewendet, um unterschiedliche Altersstrukturen verschiedenen Geschlechts und Weltanschauung dabei zu haben. Meine Erwartungen an den Tag sind, dass sich die Bürger von Trier in den Fragen wiederfinden.“

Was hat Deutschlands Bundeskanzlerin zu sagen?
Angesprochen auf den Entwicklungsstand bei Forschung und Wirtschaft sagt Angela Merkel: „Es dauert manchmal in Europa ziemlich lange, aber wir sind aufgewacht und müssen das Tempo hoch halten.“
Sie wolle sich für behinderte Menschen einsetzen, etwa in Sachen Barrierefreiheit oder der größeren Akzeptanz von Gehörlosendolmetschern.
Der Fachkräftemangel in der Altenpflege sei ihr bewusst: „Wir müssen auf allen Ebenen arbeiten, um den Pflegeberuf attraktiver zu machen. Das betrifft zum Beispiel die Bezahlung und Arbeitszeiten. Gerade im ländlichen Raum ist es oft schwierig, Menschen für die Pflege zu finden. Und in Trier aufgrund der Grenznähe zu Luxemburg müssen die Bedingungen verbessert werden, damit Fachkräfte nicht für 1000 Euro mehr im Monat abwandern.“
Eine Finanztransaktionssteuer sei in Europa schwierig, aber in Planung. Jedenfalls komme in naher Zukunft wohl nur die Börsensteuer.
Viele Pendler wollen mehr über harmonierte Steuersysteme in Europa erfahren. Dazu formuliert die Kanzlerin eine Positition: „Wir brauchen in Europa ein einheitliches Steuersystem. Problematisch ist, dass dies Einstimmigkeit erfordert. Jedoch wäre eine einheitliche Unternehmensbesteuerung gut für Europa.“
Flüchtlingspolitik und Klimaschutz
Merkel nimmt auch zur Flüchtlingspolitik Stellung und räumt mit einem Missverständnis auf:
„Menschen, die zu uns kommen, werden nicht besser gestellt! Den Deutschen wird auch Nichts weggenommen. Ich sage ausdrücklich, dass es keine Legitimation für Hass gibt. Wir wollen ein Kontinent sein, der sich nicht vollkommen abschottet – aber wir müssen auch unsere Grenzen sichern und legale Wege der Einwanderung finden. Es kann nicht jeder kommen. Der Ton ist in diesem Kontext oft sehr schroff, was ich sehr bedaure. Wir müssen hier wieder zurück zur Sachdiskussion.“
Eine klare Meinung hat die seit 2005 im Amt befindliche Bundeskanzlerin auch zur Energiepolitik: „Klimaschutz ist sehr wichtig. Wir müssen den CO2-Ausstoß verringern. Jedoch waren unsere Ziele wohl zu ehrgeizig und zeitlich nicht zu erreichen. Der Pfeiler erneuerbare Energie ist die größte Säule unserer Energiegewinnung.“
Jugendlichen will die CDU-Chefin Europa zeigen und wieder mehr für Europa begeistern: „Kulturelle Vielfalt ist eine Chance für Europa. Es wäre wünschenswert, dass alle 18-jährigen von der EU ein Interrail-Ticket geschenkt bekommen.“
Wie sah der Tagesablauf aus?
Während die Bundeskanzlerin am Montagvormittag noch bei Wahlkampfterminen in Hessen beschäftigt war, trafen sich 67 Leute zum Vorbereitungsworkshop. Von 11 bis 13 Uhr durften die an neun Tischen sitzenden Teilnehmer ihre Gedanken dazu aufschreiben, wo ihnen Europa im Alltag begegnet, welche Rolle Europa für die Lebenswirklichkeit in Deutschland spielt und wie Europa in Zukunft aussehen sollte. Alle waren engagiert bei der Sache und erfuhren von Caroline Thielen-Reffgen vom Bildungs- und Medienzentrum der Stadt Trier, dass sie später alle Fragen stellen könnten und nicht eingeschränkt seien.
„Ich bin schon nervös, schließlich hat man nicht jeden Tag die Chance, der Bundeskanzlerin eine Frage zu stellen. Es ist sehr interessant und man gewinnt viele neue Eindrücke“, fasste Schüler Jan Lauterbach (18) die Vorbereitungsstunden zusammen. Am Nachmittag stellte er Angela Merkel die Frage, warum bei der in 2019 stattfindenden Europa-Wahl die Unionsbürger nicht direkt die EU-Kommission wählen dürften, sondern nur das EU-Parlament.

Einschätzung OB Leibe
Gegenüber 5vier.de zog Triers Oberbürgermeister Wolfram Leibe ein positives Fazit und freute sich über den hohen Besuch: „Ich habe mich gefreut, dass Europa das Hauptthema war. Trier ist durch seine Lage eine besondere Stadt, in der man tagtäglich mit Europa in Kontakt kommt. Von bin ich froh, dass Europa positiv gesehen wird.“
Um Punkt 15 Uhr betritt Angela Merkel den in ein Fernsehstudio mit einer Art Wahlarena umgebauten Saal. Kurz zuvor hatte der an der Eingangstür positionierte OB Leibe den Trierern zugeflüstert: „Sie ist da“.
Lief alles nach Plan?
Der Bereich um die Europäische Rechtsakademie war weiträumig abgesperrt und glich dank Polizei und Sicherheitskräften einem Hochsicherheitstrakt. Auch wer eine Zugangsberechtigung hatte, musste durch eine Sicherheitskontrolle (wie am Flughafen). Auch dank dieser Vorkehrungen verlief der Bürgerdialog nach Plan und reibungslos. Laut Trierer Polizei sei eine kleine Gegenkundgebung der NPD vor der ERA mit einer Handvoll Teilnehmern ohne besondere Vorkommnisse abgelaufen.
Das neben der ERA angesiedelte Hotel sei laut einer Hotelmitarbeiterin durch die Politik-Veranstaltung nicht benachteiligt und der Hotelbetrieb ganztägig gewährleistet gewesen.
Was bleibt nach 90 Minuten mit Angela Merkel?
Eine Zusammenfassung zum Bürgerdialog zur Zukunft Europas gibt Angela Merkel am Ende selbst: „Europa wird nicht grundsätzlich in Frage gestellt. Jahrzehnte von Frieden gab es nie, weshalb wir in einer wilden Welt gemeinsam Haltung annehmen müssen. Europa lohnt sich!“
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