Wer alte Sachen nicht mehr braucht, der kann sie wegwerfen – oder verschenken. 5vier besucht Andrea Kockler, eine der Moderatorinnen der Facebookgruppe „Free Your Stuff Trier“.
Trier. Jeder kennt das Problem – man hat sich einen neuen Fernseher gekauft und nun steht das alte Röhren-Monstrum im Weg herum. Bei ebay oder über Kleinanzeigen wird man solche alten Dinger kaum los, wenn man zehn Euro dafür bekommt, hat man schon Glück gehabt. Also kann man den liebgewonnenen Fernseher, Schrank oder Mantel doch eigentlich nur noch wegwerfen – oder? Dank der sozialen Netzwerke gibt es eine echte Alternative. In der Facebookgruppe „Free Your Stuff Trier“ (kurz auch „FYS“ genannt) können die Bewohner der Moselmetropole ihre überschüssigen Besitztümer ganz einfach verschenken. Die Gruppe umfasst bereits fast 12.000 Mitglieder (das ist immerhin im Schnitt immerhin jeder zehnte Trierer), es gibt andere FYS-Gruppen unter anderem in Paris, Mainz, Kopenhagen, Kaiserslautern, Berlin, Budapest, Malmö und Stuttgart. Schaut man sich die Mitgliederzahlen dieser Gruppen an (zum Beispiel Stuttgart rund 3.700, Kaiserslautern gut 1.000 und Berlin circa 19.000 Mitglieder), so kann man nur von einem ausgesprochenen Erfolg der Moselaner Gruppe sprechen. Entstanden ist die Idee nur wenige Kilometer von Trier entfernt, nämlich in Luxemburg. Der rumänische Student Radu Burtescu erdachte dort 2011 das Konzept, welches der immer akuter ausgeprägten Konsumgesellschaft etwas entgegensetzt: einfach mal was verschenken.
In Trier wird fleißig verschenkt
„Es ist ganz wichtig: Free Your Stuff ist keine Tauschbörse“, erklärt Andrea Kockler, eine von insgesamt zehn Moderatoren der Trierer FYS-Gruppe, „Man erhält keine Gegenleistung für seine Sachen. Manchmal bringt der Beschenkte eine Tüte Gummibärchen oder so etwas mit, aber es geht bei Free Your Stuff darum, dass man etwas bewusst verschenkt.“ Das System ist denkbar einfach: Die Mitglieder der Gruppe stellen bei Facebook die Sachen ein, die sie verschenken wollen und kennzeichnen ihren Post mit dem Wort „GIVE“. Sucht jemand etwas, kennzeichnet er seinen Post mit dem Wort „NEED“.
Das Konzept geht auf. Hunderte von Gegenständen, darunter vor allem Elektronikgeräte wie alte Fernseher und Stereoanlagen, aber auch Möbel, Kleidung, Küchengeräte und alles, was Mensch so nicht mehr braucht, hat dank Free Your Stuff bereits seinen Besitzer gewechselt. Aber hinter FYS steht mehr, als nur einfach Sachen loswerden.
„Die Energie, die in die Produktion dieser Güter investiert wurde, wird nicht verschwendet“, erklärt Kockler; „Die Gruppe hat zudem auch einen klaren sozialen Aspekt. Man geht die Sachen abholen, trifft die Menschen, die verschenken – nicht selten entstehen Bekanntschaften oder sogar Freundschaften. Man entdeckt, dass man ein gemeinsames Hobby hat oder lernt einfach nette Leute kennen.“ Der Aspekt des Verschenkens wird sogar über das Internet hinaus getragen. Es gibt ganz reale „Free Your Stuff“ Märkte, wo sich die Verschenkenden und Beschenkten zu einem Flohmarkt treffen, bei dem keiner etwas bezahlen muss. Für die 35-jährige Moderatorin gehörte ihr erster FYS-Markt zu den Highlights des Projektes: „Es war toll, die ganzen Menschen zu sehen, die dort zusammengekommen sind, um ihre Besitztümer zu verschenken. Es war eine sehr positive Erfahrung.“ Der nächste FYS-Markt findet am 6. September ab 15:00 Uhr im Schammatdorf zusammen mit dem dortigen Sommersfest statt.
Alles findet Abnehmer
Es ist manchmal schon seltsam, was auf Free Your Stuff so angeboten wird: halbleere Duschgel-Flaschen und benutztes Makeup tummelt sich zwischen Schätzen wie Konzertkarten und echten Antiquitäten.
„Alles findet einen Abnehmer“, weiß Andrea Kockler zu berichten, „Das mag auch daran liegen, dass die Grenze zwischen ‚ich kann mir das nicht leisten‘ und ‚ich will mir das nicht leisten‘ in der Gruppe zunehmend verwischt. Wir haben Hobby-Schnäppchen-Jäger dort, genauso wie echte Bedürftige.“ Ganz ohne Probleme geht ein solches Unterfangen mit rund 12.000 Beteiligten natürlich nicht ab, aber nach Kocklers Aussage sind Verstöße gegen die Regeln der Gruppe (Stichwort: Tiere sind kein Stuff!) oder ein zu rauher Umgangston bis dato durch die Moderatoren stets lösbar gewesen.
Viele der Angebote werden von den einzelnen Gruppenmitgliedern sehr unterschiedlich bewertet. Was die einen als Müll ansehen (zum Beispiel ein kaputter Kühlschrank), ist für den erfahrenen Bastler ein willkommenes Ersatzteillager.
Wer noch nicht Teil der „Free Your Stuff Trier“ Gruppe ist, wird sich noch ein wenig gedulden müssen, da die Gruppe derzeit aufgrund des starken Zulaufs keine neuen Mitglieder aufnimmt.
Free Your Stuff trifft einen Nerv
Das Prinzip der aktiven Konsumverweigerung ist ein Trend, der sich nicht nur in FYS-Gruppen immer deutlicher zeigt. Die Ökonomie des Teilens ist ein wachsendes Phänomen, mit dem sich bereits viele Trendforscher und Wissenschaftler beschäftigen. Ähnliche Systeme, wie zum Beispiel Car Sharing, lassen klar erkennen, dass die Menschen in Deutschland und in der gesamten westlichen Welt immer deutlicher darauf achten, welche Ressourcen wie eingesetzt werden. „Sharing Economy“ nennt sich das in Fachkreisen und birgt laut einer Studie der Heinrich-Böll-Stiftung und des Naturschutzbundes aus dem Jahr 2012 „das Potenzial, den Ressourcenverbrauch eines jeden Einzelnen zu senken und gleichzeitig die Lebensqualität zu halten oder sogar zu erhöhen.“
Ob dieser Gegentrend sich tatsächlich dauerhaft gegen die Konsum- und Wegwerfkultur der westlichen Industrie behaupten kann, sei dahingestellt, aber ein Zeichen setzt es auf alle Fälle – nur weil etwas für den einen keinen Wert oder Nutzen mehr hat, muss das nicht heißen, dass es nicht für andere noch nützlich sein kann.
Oskar Thul meint
Muss / kann man nur als Facebbook-Mitglied teilnehmen?