Nicht jeder Mann tut es, aber jede Frau kennt es: Du bist zu Fuß oder mit dem Fahrrad auf den Straßen von Trier unterwegs. Du gehst nichts ahnend und in Gedanken an einer Gruppe vorbei und plötzlich ruft dir Jemand den Satz „Hey Süße, geiler Arsch. Heute schon was vor?“ hinterher. Du bist total perplex und weißt nicht so recht, wie du reagieren sollst.
Dieses Phänomen nennt sich Catcalling. Darunter versteht man das sexuell anzügliche Hinterherrufen oder Nachpfeifen gegenüber fremden Personen in der Öffentlichkeit. Es darf nicht mit Komplimenten verwechselt werden, denn keine Frau will so etwas hören. Das Thema Catcalling wird von vielen in der Gesellschaft belächelt und nicht ernst genommen. Die beiden Studentinnen Miriam Gemmel und Johanna Immig wollen das ändern. Sie studieren im achten Semester Jura an der Universität Trier und stehen kurz vor ihrem ersten Staatsexamen. Zusammen mit ihrem Strafrechtsprofessor Dr. Mohamad El-Ghazi haben sie eine Umfrage entwickelt, deren Ergebnisse sie in einem juristischen Aufsatz veröffentlichen wollen.
„Angefangen hat alles mit der Petition von Antonia Quell mit dem Namen ‚Es ist 2020. Verbale sexuelle Belästigung sollte strafbar sein.’“, erzählt Miriam, „Ich habe sie gesehen und dachte mir, ja sie hat Recht, warum sollte die verbale sexuelle Belästigung nicht strafbar gemacht werden.“ Die Petition ließ Miriam keine Ruhe und sie fragte ihre Kommilitoninnen nach deren Einschätzung. Johanna erklärt: „Mein erster Reflex war erst, dass Catcalling nicht strafbar sein sollte. Man bekommt im Strafrecht erst einmal beigebracht, dass das Strafrecht das schärfste Schwert ist und dass das Eingreifen in die Grundrechte schwierig ist.“ Mit dieser Aussage wollte sich die junge Studentin nicht zufriedengeben und war erleichtert als ihr Professor dieses Thema ansprach. „Bei einem Online-Lehrstuhl-Essen kam das Gespräch auf diese Petition zu sprechen und wir diskutierten darüber.“ Auch hier waren sich die Leute einig, dass es nicht strafbar sein sollte.
Hartnäckigkeit zahlt sich aus
Miriam blieb hartnäckig und entwickelte die Idee mit der Umfrage. Zusammen mit Johanna reifte die Idee weiter aus und Professor Dr. El-Ghazi fand den Enthusiasmus der Beiden großartig. „Er ermutigte uns zu der Umfrage und dass wir am Ende die Ergebnisse zu einem juristischen Aufsatz verfassen und an eine Fachzeitschrift schicken sollen. Und jetzt schreiben wir den Aufsatz“, freuen sich die Beiden.
An der Umfrage haben über 3.000 Menschen teilgenommen. „Es war überwältigend. Wir haben nicht damit gerechnet, dass sich so viele für dieses Thema interessieren. Wir dachten, nur unsere Freunde und Bekannten nehmen aus Mitleid daran teil.“, gibt Miriam freudestrahlend zu. Johanna ergänzt: „Nach der Pressemitteilung der Universität sind die Teilnehmerzahlen nochmal rasant gestiegen. Dadurch haben wir sogar ein Radiointerview gegeben, was eine tolle Erfahrung war.“ Die Rückmeldungen, die sie bekamen, waren positiv und sie fanden Zustimmung. Etwas Kritik mussten die Studentinnen einstecken. „Die war gerechtfertigt und bezog sich nur auf ein paar Formulierungen. Negativ-Kommentare blieben zum Glück aus.“, berichten sie.
Den Reflex der Abneigung hat Johanna schnell abgelegt. „Wenn man sich mit Catcalling kritisch auseinandersetzt, dann fängt man erstmal an das Ganze zu hinterfragen. Wir haben uns Umfragen und Studien aus anderen Ländern angeschaut, in denen ging es dann um den psychologischen Einfluss. Da ging es dann um die Frage „Was macht die Belästigung auf der Straße mit den Menschen? Und die Ergebnisse sind teilweise schon heftig.“ Seit sich die beiden Frauen mit dem Thema auseinandersetzen, nehmen sie aktiv wahr, wie oft sie in solche Situationen geraten. „Vielleicht ist es Zufall, dass es in letzter Zeit vermehrt passiert, weil wir uns aktiv mit dem Thema auseinandersetzen. Es ist wirklich schockierend für alle, die das schon immer belastet.“
Catcalling darf kein Tabu-Thema sein
Große Aufruhr bekam das Thema, durch die 15-Minuten-Show „Männerwelten“ moderiert von Sophie Passmann. Treiber der Show waren Joko Winterscheidt und Klaas Heufer-Umlauf. Schon damals wurde viel über Catcalling gesprochen und auf die Wichtigkeit dieses Themas hingewiesen. Miriam und Johanna wünschen sich, dass sich die Menschen mit dem Thema auseinandersetzen. „Es ist wichtig, dass man darüber spricht, Catcalling darf kein Tabu-Thema sein. Es ist ein aktuelles Thema, wie man gerade auch an der Me-Too-Debatte sehen kann.“
Nicht nur Frauen sind Opfer von Catcalls, auch Männer können in eine solche Situation geraten. 3% der Frauen und 16% der Männer haben in der Umfrage angegeben, dass sie selber schon einmal gecatcalled haben. Über 70% der Frauen wurden schon Opfer eines Catcall. „Das ist schon ein krasser Unterschied, zwischen denen die sagen, sie haben schon gecatcalled oder wurden gecatcalled. Das kann irgendwo nicht sein.“, sind die Beiden einer Meinung. Es sind auch überwiegend junge Mädchen betroffen. Die Umfrage hat gezeigt, dass die meisten im Alter von 15 Jahren zum ersten Mal gecatcalled wurden. „In diesem Alter lernt man selber seine eigene Sexualität kennen und muss dann auch noch lernen mit solchen Grenzüberschreitungen umzugehen. Da muss man nicht Psychologie studiert haben um zu sehen, dass Catcalling vielleicht einen negativen Einfluss auf die Persönlichkeit von jungen Menschen haben kann.“
Die Ankreiden-Aktion hilft
Menschen, die Opfer eines Catcalls werden, raten die Beiden, darüber zu sprechen. „Meistens ist man selber erstmal perplex und kann keine schlagfertige Antwort geben. Was auch völlig verständlich ist. Es ist jedoch wichtig, sich selber nicht die Schuld zu geben und mit anderen darüber zu sprechen.“ Abhilfe leistet die Instagram-Seite „cat.callsoftrier“. Die Organisation nimmt Catcalls auf und schreibt sie mit Straßenkreide an den Ort, wo sie passieren. Dadurch wollen sie die Bevölkerung auf das Thema aufmerksam machen.
Mit ihrer Umfrage und ihrem Aufsatz wollen die beiden Studentinnen der Gesellschaft einen Denkanstoß geben. In Portugal, Frankreich, Belgien und der Niederlande ist Catcalling im Gesetz verankert und strafbar. Diese Erkenntnis nehmen die Beiden in ihrem Aufsatz auf und wünschen sich, dass sich der deutsche Gesetzgeber an seinen Nachbarländern ein Beispiel nimmt und sich mit dem Thema befasst. Für Miriam und Johanna ist es wichtig, dass sich die Gesellschaft mit diesem Thema auseinandersetzt.
Ihren Aufsatz wollen Miriam und Johanna in den nächsten Wochen beenden und hoffen, auf eine Veröffentlichung in einer juristischen Fachzeitschrift. Wir sind gespannt und drücken den Beiden die Daumen, denn Catcalling ist ein ernstes Thema und es betrifft jeden von uns.
Zurück zur Startseite geht’s hier – 5vier.de
Wir suchen Prakikanten (m/w/d) und Redakteure (m/w/d).
Melde dich einfach unter [email protected].
Motivation ist wichtiger als Erfahrung
Uwe Gross meint
Respekt…. Ein TabuThema das schon längst zum Handelt ansteht!
Die Hemmschwelle in unserer Gesellschaft ist so gut wie nicht mehr da. Meiner Ansicht nach ist das auch ein Stück Erziehungssache, welches man vorleben sollte, in der Oeffentlichkeit genau so wie in den solizalen Netzwerken.