Spätestens nach den Nominierungen war klar, was die Kritiker schon lange prophezeit hatten: Birdman (oder die unverhoffte Macht der Ahnungslosigkeit) ist der große Favorit bei den diesjährigen Oscars, die am 22. Februar verliehen werden. Satte neun Nominierungen staubte die Künstlerkomödie von Alejandro González Iñárritu ab, dabei vor allem in den wichtigsten Kategorien. Doch kommt der Kritikerliebling auch bei den Zuschauern an? Seit gestern ist der Film auch in den Kinos der Region zu sehen und Andreas Gniffke hat sich davon im Trierer Broadway überzeugt.
Es ist seine letzte Chance, Riggan Thomson (Michael Keaton) setzt alles auf eine Karte. Einst war er Birdman, Star in drei Superhelden-Blockbustern, reich, beliebt und künstlerisch frustriert. Als er die Unterschrift unter den Vertrag zur neuen Fortsetzung verweigert, geht es mit seiner Karriere steil bergab. Im Theater hofft er nun die nötige Selbstbestätigung zu finden und somit lässt er sich auf ein künstlerisches Himmelfahrtskommando ein. Am Broadway inszeniert er als Autor, Regisseur und Hauptdarsteller Raymond Carvers What We Talk About When We Talk About Love. Aber bereits die Proben kündigen ein Desaster an und erst als durch eine glückliche Fügung mit Mike Shiner (Edward Norton, American History X) ein echter Bühnenstar ins Ensemble kommt, scheint sich das Blatt zu wenden. Doch der extrovertierte Jungstar droht Riggan die Show zu stehlen und es entbrennt ein Zweikampf voller gekränkter Eitelkeit und dem normalen Wahnsinn des Schauspielbusiness.
Ähnlichkeiten mit existierenden Personen sind in diesem Fall alles andere als zufällig. Michael Keatons Rolle als düsterer Superheld in Tim Burtons beiden Batman-Filmen stand Pate. Auch Keaton konnte nach den beiden Blockbustern nicht mehr an seine großen Erfolge anknüpfen, das Birdman-Plakat in der heruntergekommenen Theatergarderobe erinnert an den dunklen Ritter aus Batman Returns. Bezeichnend ist auch die Szene, als Riggan im Fernsehen mit Robert Downey Jr. konfrontiert wird, der als Iron Man die Erfolge feiert, die Riggan nun nicht mehr vergönnt sind. Zu allem Überfluss kommentiert ein zynischer Birdman im Kopf unablässig die Fehlentscheidungen des verzweifelten Künstlers, selbst Yoga kann die das dunkle Ich nicht zum Schweigen bringen. Das Chaos in seinem Leben wird komplettiert durch komplizierte Familienverhältnisse. Nach einem Seitensprung zur Silberhochzeit scheitert seine Ehe mit Sylvia (Amy Ryan, Escape Plan), die gemeinsame Tochter Sam (Emma Stone, Spider-Man 2) stellt er kurzerhand als Assistentin ein, um sie nach einem Entzug von Drogen fernzuhalten. Seine Freundin Laura (Andrea Riseborough, Oblivion), ebenfalls im Ensemble, verkündet ihm kurz vor der Vorpremiere, dass sie ein Kind von ihm erwartet. Denkbar schlechte Voraussetzungen für das ambitionierte Stück und eigentlich kein Stoff für eine Komödie.
Die hätte man von Alejandro González Iñárritu auch nicht erwartet. Der Mexikaner überzeugte die Kritiker bislang mit düsteren Stoffen wie in Amores Perros, 21 Gramm oder dem großartigen Drama Biutiful mit einem fantastischen Javier Bardem in der Hauptrolle. Daher verwundert es nicht, dass Birdman alles andere als eine Komödie vom Reißbrett geworden ist. Der Humor ist subtil, die Freude am Scheitern auf mehreren Ebenen lässt einem das Lachen oft im Hals stecken bleiben. Birdman ist vor allem ein Film über die Schauspielkunst und die Last, die Schauspieler in all ihrer Schizophrenie zwischen Rolle und Ich, zwischen Selbstwahrnehmung und dem Blick von außen zu durchleben haben. Das dürfte die für die Oscar-Vergabe zuständige Jury begeistern, die ja zum großen Teil aus Leuten besteht, die sich in dieser Thematik durchaus wiederfinden werden.
Doch der Film ist trotz seiner teilweise eitlen Kunstfertigkeit nicht nur ein Kritikerfilm. Die Schauspieler sind grandios und Michael Keaton, Edward Norton und Emma Stone gelten völlig zurecht als große Favoriten für die Oscars als beste Haupt- und Nebendarsteller. Auch die Nebenrollen sind hervorragend besetzt, so zum Beispiel auch mit Naomi Watts (zuletzt in St. Vincent) oder Zach Galifianakis (Hangover). Die Inszenierung ist atemlos, Innenleben der Schauspieler und die Außenwelt des Theaters werden elegant in Beziehung zueinander gesetzt. Vorne der große Theatersaal des altehrwürdigen New Yorker St. James Theaters, hinter der Bühne ein klaustrophobisches Gewirr aus endlosen, engen Gängen und heruntergekommenen Garderoben. Vorne der schöne Schein, hinten ein zerrüttetes Innenleben voller Zweifel, Schamlosigkeit und Selbsthass. Vor allem die atemlosen Kamerafahrten prägen den Film, hier hatte man mit Emmanuel Lubezki einen renommiertesten Könner ins Boot geholt, der für Gravity mit dem Oscar ausgezeichnet wurde. Der treibende Schlagzeugsound des mexikanischen Jazz-Schlagzeugers Antonio Sanchez unterstreicht zusätzlich das Getriebene seiner Hauptakteure, ist auf Dauer aber etwas anstrengend. Anstrengend wie der ganze Film, denn entspanntes Mainstreamkino ist Birdman (oder die unverhoffte Macht der Ahnungslosigkeit) nicht. Aber ein Filmereignis, das sich das Kritikerlob redlich verdient hat. Unbedingt ansehen, nicht nur um mitreden zu können!
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