Nightcrawler mit einem grandiosen Jake Gyllenhaal bietet alles andere als Gute-Laune-Kino. Die Geschichte eines Kameramanns ohne Moral konfrontiert den Zuschauer mit seinen eigenen ethischen Grundsätzen und selten hat man Los Angeles so düster gesehen. Andreas Gniffke hat sich den Film im Trierer Broadway angesehen.
Unfälle und Morde sind das Tages- bzw. Nachtgeschäft von Lou Bloom (Jake Gyllenhaal), je blutiger, desto besser. Der einsame Wolf streifte zuvor als Gelegenheitsdieb durch die Stadt der Engel. Doch als er während einer dieser Touren zufällig einem Verkehrsunfall und dem Einsatz eines Kamerateams beim Filmen der Opfer beiwohnt, glaubt er endlich seine Berufung gefunden zu haben. Ein Gerät zum Abhören des Polizeifunks, eine Kamera und ein günstiger Praktikant sind schnell gefunden und Lou erwirbt sich schnell den Ruf, noch näher an die Opfer heranzukommen, noch blutigere Bilder zu liefern und die Privatsphäre von Opfern und sonstigen Beteiligten mit Füßen zu treten. Alles im Sinne eines ausgefeilten und wahnsinnigen Businessplans, irgendwie muss sich der im Internet gefundene BWL-Onlinekurs ja auszahlen. Durchaus von Vorteil ist dabei, dass Lou ein Soziopath ohne Skrupel ist, dessen positive Gefühle sich auf das sorgfältige Gießen seiner Grünpflanze beschränken. Schnell steigt er so in der Hierarchie der journalistischen Schmeißfliegen auf. Seine Geschichten, die er exklusiv an einen kriselnden Lokalsender verkauft, erzielen immer bessere Preise. Je blutiger die Story, je reicher (und weißer) die Opfer, desto besser die Quote. Das weiß auch die Nachrichtenchefin Nina (Rene Russo), deren Moral ebenfalls irgendwo in ihrer walllenden Mähne verloren gegangen ist. Als Lou selbst Einfluss auf die Entstehung der Nachrichten zu nehmen beginnt, gerät die Situation außer Kontrolle.
Boulevardmedien bedienen sich ohne Rücksicht auf die Privatsphäre an den Facebookprofilen von (Verbrechens-) Opfern und Tätern, andere Bilder werden wenn überhaupt nur zurückhaltend verpixelt. Warum auch, wenn überhaupt droht eine Rüge des Presserats. Und je reißerischer die Überschrift, je blutiger die Bilder, desto besser die Quote, was so etwas wie die mediale Entsprechung eines durch Gaffer verursachten Staus ist.
Lou Bloom ist ein Widerling, ein arroganter und altkluger Unsympath, der sich mehr und mehr als absoluter Psychopath entpuppt. Der 33-jährige Jake Gyllenhaal beweist einmal mehr, dass er einer der talentiertesten Darsteller in der an Talenten nicht armen Riege junger Hollywoodstars ist. Bereits im harten Polizeithriller End of Watch und vor allem in Prisoners spielte er in beeindruckender Intensität brüchige Charaktere. Doch diesmal erreicht er einen neuen Level, wie es Lou Bloom ausdrücken würde. Würde es einen Oscar für das größte Kinoekel des Jahres geben, Jake Gyllenhaal hätte ihn wohl sicher. Doch Nightcrawler bietet dem Zuschauer keinerlei positive Alternative, denn bei aller Bösartigkeit des „Helden“, die anderen sind in keiner Weise besser. Wer moralische Skrupel hat, fällt von der Karriereleiter, die Zuschauer gieren dabei nach immer härterem Stoff und befeuern so eine Industrie der Unmenschlichkeit. Der 55-jährige Regisseur Dan Gilroy, bisher vor allem als Drehbuchautor tätig, gibt in seinem Erstlingswerk Jake Gyllenhaal allen Raum zur Entfaltung und liefert darüber hinaus grandiose Bilder einer Stadt, die man so noch nicht gesehen hat.
Wer einen gemütlichen Kinoabend mit Popcorn und leichter Kost erwartet, ist bei Nightcrawler sicher falsch. Der Film ist hart, mit sehr dosiert eingesetzter expliziter Gewalt gnadenlos und mitreißend. Wer danach noch die Bild-Zeitung liest, dem ist auch nicht mehr zu helfen.
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