Wenn Jean-Pierre Jeunet, Schöpfer der „Fabelhaften Welt der Amélie“, den verspielten Erfolgsroman „The Selected Works of T. S. Spivet“ von Reif Larsen auf die Leinwand bringt, kann man einen filmischen Leckerbissen erwarten. Andreas Gniffke hat sich „Die Karte meiner Träume“ in wundervollem 3-D im Trierer Broadway angesehen.
Der Film erzählt die Geschichte von Tecumseh Sparrow Spivet, einem kleinen Jungen, der mit seiner verschrobenen Familie auf der Coppertop-Ranch im Niemandsland des amerikanischen Westens aufwächst. Mit den Augen eines Universalgenies erforscht er seine Umwelt. Er baut Maschinen, analysiert das Maiswachstum, aber die menschlichen Beziehungen innerhalb der Familie bleiben ihm fremd. Sein Vater (Callum Keith Rennie) ist ein wortkarger Cowboy, seine Mutter (Helena Bonham Carter) eine planlose Insektenforscherin, die in schöner Regelmäßigkeit den Toaster in Flammen setzt. Seine ältere Teenagerschwester würde gerne Schauspielerin oder wenigstens Miss Montana werden, und wirkt dabei auf der Farm ähnlich fehl am Platze wie T. S. Spivet selbst. Lediglich dessen Bruder Layton passt perfekt in die ländliche Umgebung. Ein kleiner Draufgänger, der Kojoten jagt und das Herz seines Vaters im Sturm erobert. Doch der tragische Tod von Layton stellt die Familie vor eine Zerreißprobe. Als T. S. Spivet in völliger Unkenntnis seines Alters vom renommierten Smithsonian Institut in Washington einen Preis für die Entwicklung eines spektakulären Perpetuum mobiles verliehen bekommen soll, reißt der Junge aus und macht sich auf den weiten Weg in den fernen Osten des Landes. “On the road“ beginnt er den Verlust des Bruders zu verarbeiten.
„Die Karte meiner Träume“ ist ein leiser Film, der die Reise seines kleinen Helden in atemberaubend schönen Bildern und ohne in die Kitschfalle zu geraten in einem warmherzig melancholischen Ton erzählt. Bereits das Buch setzt optische Maßstäbe und enthält neben dem Text auch zahlreiche Randskizzen, Karten und sonstige graphische Elemente, die die phantasievolle Geschichte wunderbar ergänzen. In seinem ersten 3-D-Film nutzt Jean-Pierre Jeunet die neuen filmischen Möglichkeiten und so ist die Technik nicht nur Mittel zum Zweck, sondern erschafft in seinen besten Momenten geradezu magische Bildwelten aus der Gedankenwelt des traurigen Ausreißers. Gespielt wird dieser von Kyle Catlett, einem nachdenklichen Sympathieträger, der die Rolle des kleinen Genies ohne altkluge Allüren und im Spannungsfeld von Traurigkeit und Kampfesmut verkörpert. Er ist eine echte Entdeckung in einem sensiblen Film, der die Nöte und Seelenqualen eines vom Schicksal schwer gebeutelten Heranwachsenden ernst nimmt und so ein berührendes Filmkunstwerk erschafft. Erst mit der Ankunft des Jungen in Washington verliert der Film etwas seine Balance und entwickelt sich in Richtung einer grotesken Mediensatire. Doch die Rede des Nachwuchsforschers vor der oberflächlichen akademischen Elite ist wahrlich herzzerreißend.
Für all diejenigen, die am Wochenende dem Trubel von Zurlauben oder der Fußball-Finalhysterie für knapp zwei Stunden entfliehen wollen, ist „Die Karte meiner Träume“ eine hervorragende Wahl, die Auge und Herz gleichermaßen zum Strahlen bringt.
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