Am Samstag, 22. Juni, schloss die Spielzeit 2012/13 mit der Premiere von „Minna von Barnhelm“ ab. Inszeniert wurde der Klassiker von Intendant Gerhard Weber, der mit Maria Stuart bereits sein Händchen für Klassiker bewies.
Nach sieben langen Kriegsjahren herrscht nun endlich Frieden in den Ländern. Nur in Major von Tellheim will kein rechter Frieden Einzug halten: den rechten Arm durch eine Schussverletzung verloren hat er sich in einem Gasthaus einquartiert und hadert dort mit dem Leben. Doch nicht der Verlust seiner Gliedmaße macht ihn so betroffen, der Verlust seiner Ehre geht ihm mehr an die Nieren. In Kriegszeiten hat er Gelder nicht so hartnäckig eingetrieben, wie er es hätte tun sollen, mehr noch, er hat sogar welches verliehen, aus seinem eigenen Privatvermögen. Diese noble Tat wird ihm nun als Bestechungsversuch vorgeworfen, seine unehrenhafte Entlassung folgte auf dem Fuße. Das Vermögen futsch, der militärische Rang futsch, die Zukunft als Bettler gewiss.
Doch seine Probleme häufen sich weiter: Der Wirt, der schon seit Monaten auf seine Miete wartet, räumt ihm heimlich das Zimmer aus, um es einer feinen Dame und ihrer Zofe zu geben. Niemand ahnt, dass sich hinter eben diesen Damen das Fräulein Minna von Barnhelm und ihre Jungfer Franziska verbergen. Erstere ist oder vielmehr war die Verlobte von Telheim, die nun schon jahrelang auf seine Rückkehr aus dem Krieg und ihre baldige Eheschließung wartet. Doch seit seiner unehrenhaften Entlassung, von der Minna nichts weiß, hat Tellheim sich nicht mehr gemeldet. Er hat die Beziehung aufgegeben und will Minna nicht mit einem „Krüppel und Bettler“ belasten. Doch Minna hat die Beziehung noch lange nicht aufgegeben, durch einen Zufall findet sie ihren Tellheim wieder und will nun alle Tricks anwenden, um aus ihm auch wirklich „ihren“ Telheim zu machen.
Liebe und Ehre
Ein Mann sitzt auf der Bühne, hinter ihm ein gewaltiges Gemälde, eine Kriegsszenerie. Soldaten werden verwundet, getötet, fallen. Seine Miene spiegelt mehr als alles andere die Folgen dieses Bildes wieder: Verzweiflung, Lethargie, Lebensmüdigkeit, In-Sich-Versunken-Sein, unerreichbar für die Außenwelt. Eine Bandansage zitiert einen Heimkehrer aus dem Afghanistan-Einsatz: „Wer im Krieg war und sagt, dass sich nichts verändert habe, der lügt.“ Die Frau des Mannes empfängt Gäste, mit Bestürzung reagiert man auf den fremd gewordenen Heimkehrer, die Traumatisierung macht betroffen, lässt erstarren, lässt den ignorieren, der doch dringend Aufmerksamkeit bräuchte.
Lessings End-Dialog gleich zu Beginn, umgedeutet und entromantisiert spiegelt er die Wirklichkeit wieder. Das Stück danach bleibt aber der gute alte Lessingsche Klassiker. Minna, gespielt von Barbara Ullmann, kämpft und trickst um ihren Tellheim (Michael Ophelders), das schroffe „Frauenzimmerchen“ Franziska (Alina Wolff) stemmt burschikos die Arme in die Hüften und macht dem Wachtmeister (Tim Olrik Stöneberg) schüchtern ihre Aufwartung.
Die Frauen sind und bleiben die Stars dieses Stückes und dieser Inszenierung: Barbara Ullmann als gestandene Minna von Barnhelm, Alina Wolff als forsche Zofe Franziska. Die beiden sächseln, tänzeln und kokettieren über die Bühne. Die eine frech und abgeklärt, die andere verliebt bis über beide Ohren und für ihre Liebe zu allen Schandtaten bereit. Dabei bekommt die Inszenierung von Weber durch seine beiden Hauptdarsteller einen ganz besonderen Moment: Weder Tellheim noch Minna sind über die Jahre des Krieges jung geblieben, sie lernten sich kennen, da waren sie „fast noch Kinder“, der Krieg hat ihnen wertvolle Jahre des Zusammenseins genommen. Minna kämpft nicht nur um ihre Liebe zu Telheim, sondern auch um die Beziehung, die sie sich über Jahre erhalten hat.
Besonderen Spaß macht es den Freundinnen Minna und Franziska untereinander zuzuschauen. Frisch und keck schmieden sie Pläne, halten sich gegenseitig den Rücken frei, machen Scherze mit, aber auch übereinander. Gemeinsam gegen die (Männer-)Welt, die roh und starrköpfig daherkommt: ein lüsterner Wirt (Klaus-Michael Nix), ein raubeiniger Diener (Peter Singer), ein ehrgeiziger Wachtmeister und ein verstockter, verbitterter Verlobter. Mit Charme und Tricks werden die Männer aus der Reserve gelockt oder gekonnt in ihre Schranken verwiesen.
Mit ebenso viel Charme kommen die Szenen rüber, Extra-Applaus für Ullmann und Ophelders nach ihrem Wortgefecht; viele kleine Details machen die Inszenierung sehens- und die Charaktere liebenswert. Minna und Telheim sind keine blutjungen Verliebten mehr, die vom Sturm der Gefühle mitgerissen werden. Minna, eine gestandene Frau, die weiß, was sie will und nicht umsonst gewartet haben möchte, Tellheim ein Mann in der Lebenskrise, der alles verloren hat und das Letzte was ihm geblieben ist auch noch aufgeben möchte. Tabula rasa machen und alleine im eigenen Sumpf versinken, statt jemand anderen noch mit hineinzuziehen. Eine wenig heldenhafte Heldentat, wie Minna findet. Sie kämpft um die Beziehung und die erträumte Zukunft, wo Tellheim bereits kampflos aufgegeben hat, seine Suche nach der verlorenen Ehre ist eine Suche nach dem eigenen Selbstwert, ohne den er sich vor Minna wertlos vorkommt.
Verzweiflung und Zurückweisung
Inszenierung und Schauspiel sind gelungen, diese „Minna“ kommt nicht als hochtrabender und stolzer Klassiker daher, sie ist leicht und neu anmutend. Die Charaktere frech und lebendig, die Krisen aktuell und menschlich. So balanciert auch die Inszenierung zwischen Witz und Tragik, komische Elemente und die nötige Schwere des Themas wechseln sich in einer verträglichen Mischung ab. Die Schauspieler, besonders süß ist hierbei Alina Wolff als kecke Zofe, schaffen den Balanceakt mit Bravour. Die beiden Publikumslieblinge Ullmann und Ophelders machen ihrem Ruf alle Ehre.
Die Inszenierung von Weber geht einen neuen Weg, weg von der romantischen Verstocktheit des männlichen Geschlechts und der verliebten Anhänglichkeit der Damen, hin zu tieferen Emotionen: Verzweiflung, Verwirrung, Zurückweisung, Unverständnis. Dementsprechend das „Happy“ End, Tellheim weiß vor lauter Trickserei gar nicht mehr, wie ihm geschieht. Sichtlich überrannt ergibt er sich dem unbeugsamen Willen seiner Verlobten, nur das Frauenzimmerchen Franziska und der Wachtmeister scheinen sich ihrer Sache sicher.
Besonderen Wert haben in dieser Inszenierung das Bühnenbild von Gerd Friedrich und die Kostüme von Carola Vollath. Feldbetten und aufgerissene Dächer, ein vom Krieg gezeichnetes Wirtshaus, ein billiges Himmelbett. Kein Luxus in Zeiten des Krieges, soviel wird klar. Die Kostüme historisch anmutend mit Reifrock und preußischem Armeemantel, dennoch entstaubt mit Minirock und Bundeswehr-Outfit. Auch hier ein Balanceakt zwischen Alt und Neu, zwischen Komödie und Ernsthaftigkeit.
Fazit: Ein würdiger Abschluss für eine gelungene Spielzeit. Die, leider nur wenigen, Vorstellungen bis zum Beginn der Spielzeitpause sollten ausgenutzt werden.
Fotos: Theater Trier
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