Eigentlich konzentrieren wir uns beim Music Monday vor allem auf lokale Bands und Konzerte und stellen immer wieder fest: die lokale Musik-Szene strotzt nur so vor Talent, bekommt aber kaum Chancen um aufzutreten, geschweige denn um im größerem Ausmaß erfolgreich zu werden. Was der deutsche Satiriker Jan Böhmermann und 5 Schimpansen im Gelsenkirchener Zoo damit zu tun haben, soll der heutige Music Monday klären…
„Der ECHO – der wichtigste Preis der sehr guten deutschen Musikindustrie – wird leider auch in diesem Jahr wieder verliehen. Wie zu erwarten, regen sich alle auf: FREI.WILD sitzen in der ECHO-Jury, die Onkelz sind sogar nominiert – es ist alles noch mehr Nazi, noch rechter, noch schlimmer als in den Jahren zuvor. Dabei sind die deutschnationalen Norditaliener von FREI.WILD und die Geh-Deinen-Weg-auch-wenn-er-falsch-ist-und-alle-Dich-scheiße-finden-Rock-Onkelz zwar das offensichtlichste, nicht aber das eigentliche Problem des ECHO und der deutschen Musikindustrie.
Wir müssen reden – über Menschen, Leben, Tanzen, Welt, über „einen von 80 Millionen” sowie seine Kunst und das große Missverständnis in der deutschen Popmusik.“
Dass der 36-jährige Böhmermann kein Blatt vor den Mund nimmt, bekam schon der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan zu spüren, der sich prompt mit einem Strafantrag zur Wehr setzte. So weit wird der 28-jährige Max Giesinger wohl nicht gehen, der sich in der letzten Woche im Fadenkreuz des Komikers wiederfand. Er reagierte in einem Interview mit dem Kölner Boulevard-Blatt Express mit deutlich mehr Humor auf die Verbal-Attacken: „Ich kann über das Video lachen. Es war ja nur eine Frage der Zeit, bis sich jemand mal über mich lustig macht!“
Dabei ist Böhmermann’s mittlerweile durchaus viral gegangenes Video durchaus mehr als nur ein „sich lustig machen“. Es zeigt deutliche Missstände im deutschen Musikzirkus auf, der mit Interpreten wie eben dem genannten Max Giesinger mit einer authentischen Songwriter-Bewegung Erfolge feiert, die laut Böhmermann gar nicht so authentisch ist. Dass die bodenständigen neuen Künstler von der Industrie genau so gesteuert werden wie alle anderen Pop-Sternchen belegt der Satiriker mit einem Blick in die Songwriting-Credits auf Giesingers CD, der laut einem Radio-Interview alle Songs selbst schreibt mit ein bisschen Hilfe von einem Kumpel. Im Booklet der CD finden sich aber gleich drei zusätzliche Namen, u.a. Alexander Zuckowski, Sohn von Rolf Zuckowski. Der wiederum ist als Musikproduzent nicht nur Songwriting-Kumpel von Max Giesinger, sondern auch von Patrick Nuo, Roger Cicero, Santiano, Anett Louisan, Udo Lindenberg, Adel Tawil, Ina Müller, Sasha, Yvonne Catterfeld, Sarah Connor und Christina Stürmer.
So demontiert Böhmermann das sympathische Songwriter-Image von Giesinger & Co recht schnell und entlarvt die gleiche industrielle Großproduktion wie im restlichen Pop-Business. Songs werden nicht mehr individuell erdacht, geschrieben, verworfen, sondern aus einem leeren, immer gleichen Wort-Portfolio zusammengestellt. Musik entsteht nach Schablonen, auch wenn der Künstler boden- und eigenständig vermarktet wird. Diese Geisterhaftigkeit zeigt sich nicht nur bei Giesinger: der melancholische Beginn mit Akustik-Gitarre, der behutsam einfadende Beat, der die Nummer tanzbar macht und Texte über Menschen, Leben, Tanzen und Welt.
Am Ende seines Videobeitrags formt Böhmermann daraus seinen eigenen Chart-verdächtigen Hit: „Menschen, Leben, Tanzen, Welt“. Sein Team lässt fünf Schimpansen aus dem Gelsenkirchener Zoo Früchte auswählen, die jeweils für eine Textzeile stehen, die willkürlich aus Werbe- und Poptexten, sowie Tweets von Youtubern wahllos in einen Topf geworfen wurden. Heraus gekommen ist ein Song, der genauso klingt wie die Werke von den deutschen Vorzeige-Songwritern. Melancholischer Beginn, einsetzender Beat, eingängige Hookline. Textzeilen wie „Was du hast, können viele haben, aber was du bist, kann keiner sein“, gaukeln in ihrer Sinnfreiheit Tiefgründigkeit vor…da schleichen sich selbst Werbe-Slogans unbemerkt rein: „Ich brauch‘ mal wieder Zeit mit dir, das Schwarze mit der blonden Seele.“ Bierwerbung für Schwarzbier….Prost!
Das heimliche Ziel damit 2018 einen Echo-Preis abzuräumen ist gar nicht mal so unrealistisch, haben Böhmermann und seine fünf Schimpansen doch schon wenige Stunden nach der Veröffentlichung die iTunes-Charts sowie die Amazon-Download-Charts geentert. In den offiziellen Charts kam der Affen-Hit immerhin auf Platz 7. Bei der GEMA wurden laut Recherchen von diepresse.com übrigens Jim Pandzko als Texter, sowie Bono Beau und Olaf Utan als Komponisten angegeben. Hinter den Pseudonymen verstecken sich allerdings tatsächliche Menschen, denn Tiere dürfen nicht als Urheber angemeldet werden.
Schimpansen beim Echo 2018 hin oder her, die Problematik, die Böhmermann sichtlich überspitzt aufzeigt, lässt sich nur schwer wegdiskutieren. Dass Singer-Songwriter, die bisher eine der letzten wirklichen Bastionen für Künstler waren, die ihre eigenen Texte schreiben, nun genauso durchproduziert werden, wie die Stangenware aus dem Pop-Regal, ist ein Problem, für alle kreativen Künstler dieses Genres. Ob Bob Dylan (das definitive Urgestein dieses Genres), Leonard Cohen oder in Deutschland Reinhard Mey, die Karrieren dieser Herrschaften fußen auf einem eigenen Stil und eigenen Geschichten. Künstler wie Damien Rice, Tina Dico, Rocky Vololato, Frank Turner zeigen in ganz verschiedenen Stil-Ausprägungen, dass es diese Disziplin auch heute noch gibt, aber gegen den auf Hochglanz-polierten Songwriter-Dance-Pop von Max Giesinger & Co haben die meisten selbst schaffenden Künstler zumindest in den Verkaufszahlen keine Chance. Ein im Fußball-Freudentaumel „Ein Hoch auf Uns!“ gröhlendes Stadion verkauft sich eben besser, als ein einsamer Künstler mit Gitarre auf einer schwarzen Bühne. So wird ein weiteres Genre von der Musikindustrie übernommen und auf künstlichen Hochglanz poliert. Das ist nicht das erste Mal in der Musikgeschichte, aber die Pseudo-Authentizität, mit der die top gestylten Dreitagebart-Abziehbilder vermarktet werden, gab es in der Form noch nicht…
Am subtilsten und gleichzeitig dramatischsten wirkt sich das möglicherweise auf den musikalischen Nachwuchs aus, der unbewusst darauf getrimmt wird, dass tiefgründige Songs von „Menschen, Leben, Tanzen, Welt“ handeln sollten und eine einfache Gitarren-Begleitung nicht ausreicht. Ein Beat sollte schon dabei sein und wenn dann noch eine eingängige „Oh Heyoo“-Hookline reinpasst, fördert das den Sing-Along-Faktor, egal ob thematisch passt oder nicht. So wird Songwriting ganz langsam und schleichend zum Baukasten-Prinzip und irgendwann klingt dann wirklich alles gleich. Auf das die zahlreichen talentierten Musiker der Region uns vom Gegenteil überzeugen!
Titel-Foto: Henry Burrows ; https://flic.kr/p/dCRtU6 (Creative Commons)
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