Am Sonntag fand mit „Galileo Galilei“ von Bertolt Brecht die zweite Premiere für diese Spielzeit statt und soll als „moderner Klassiker“ das ausgesuchte Schulstück werden. Doch ist es wirklich ein Schulstück? 5vier.de sprach mit Regisseur und Hauptdarsteller.
Brecht selbst bezeichnete es als Stück, welches aus der Reihe schlägt. Aus der brechtschen Reihe. Keine Musik, keine Effekte, die den Zuschauer an den Rand führen, fast klassisch mutete es ihm an. Entweder sein schlechtestes oder das bestes Stück: Galileo Galilei. Sein Inhalt ist denkbar klar: Galileo Galilei, seines Zeichens einer der größten Denker, Wissenschaftler und Künstler aller Zeiten hat das kopernikanische Weltbild entdeckt und will mal eben schnell das bestehende Paradigma ablösen. Demzufolge steht die Erde (noch) im Mittelpunkt des Universums, nach Galileo wird dies bald die Sonne sein. Dass das einigen, meist hochrangigen kirchlichen Vertretern gar nicht in den Kram passt, ist klar, Galileo soll also seine Thesen widerrufen, ansonsten droht ihm fürchterliches. Der Druck wächst. Galileo widerruft und muss sich im hohen Alter mit seinen Entscheidungen auseinandersetzen.
(K)ein klassischer Brecht
Galileo wird gespielt von Peter Singer, eine Paraderolle wie er selbst sagt und in die er besonders gut passt, weil er sich auch schon so manches Mal gegen bestehende Ordnungen aufgelehnt und den Mund aufgemacht hat, so Regisseur Horst Ruprecht. Den Mund aufzumachen ist allerdings auch oft mit Unannehmlichkeiten verbunden, im schlimmsten Fall drohen gewalt(tät)ige Konsequenzen, im nicht ganz so schlimmen Fall eckt man einfach an. So wie Galileo dies getan hat. Er ist mit seinen Thesen angeeckt und bekam prompt die Quittung dafür, er widerrief im Wissen, dass er aber doch recht hatte und muss sich zum Ende seines Lebens hin der eigenen Inquisition stellen. Peter Singer sieht seinen Galileo wie folgt: „Er war ein Genussmensch, er genoss das Denken, aber auch das Leben. Nur bekam er für beides zu wenig Geld.“ Deshalb ging er nach Florenz, das reicher war, aber auch um einiges unfreier durch die Nähe zum Vatikan. Er schlug alle Warnungen in den Wind. Gleichsam naiv wie hochnäsig, kam er sich doch so vor, als könnte er gegen die stärkste Apparatur andenken. In den Mühlen der Kirche hatte er allerdings seinen Meister gefunden. Am Ende plagten ihn vor allem die Zweifel: Was hätte er noch alles leisten können? Wieviel für die Wissenschaft? Wieviel für die Gesellschaft? Welche Bilanz kann er unter sein Leben ziehen?
Der Zweifel ist es auch, den Regisseur Ruprecht in den Mittelpunkt seiner Inszenierung stellen will. Besser, in einen der drei Mittelpunkte.’Leben des Galilei‘, ‚Lob des Zweifels‘ und ‚Oh Lust des Beginnens‘. Dies sind die drei „Formeln“ unter die er seine Inszenierung gestellt hat; Formeln deshalb, weil er in ihnen mehr sucht als eine bloße Überschrift oder Zusammenfassung. Er will eine Formel herauskristallisieren, eine Formel für die Gesellschaft. „Gerade heute ist der Zweifel durchaus unerwünscht, man soll nicht mehr zweifeln, sondern in erster Linie begeistert sein. Zweifel ist bitte nicht das erste was wir heute brauchen.“ Dabei ist es gerade der Zweifel, der Dinge voranbringen kann. Galileo zweifelte daran, dass sich die Sonne um die Erde dreht, viele Menschen zweifelten gleichzeitig an der DDR, einige zweifelten an Stuttgart 21. Aber wenn man denn mal genug gezweifelt hat folgt meist etwas noch viel unangenehmeres. Nämlich der Neubeginn. Doch auch hier sieht Ruprecht wiederum etwas ganz menschliches. „Immer wieder mit Lust von neuem beginnen, dass macht den Menschen aus.“
Verantwortungsvoll Denken und Zweifeln
Was kann man nun aus diesem Stück mitnehmen? Das leider so oft in den Schulen etwas platt durchgekaut wird, obwohl es in jeder Zeit immer wieder alte Ordnungen und Strukturen gefunden hat, denen es den Spiegel vorhalten konnte. Dass gerade jungen Menschen in ihrer Selbstfindung so viel mit auf den Weg geben kann. Zum Beispiel verantwortungsvoll handeln, mit sich, mit den anderen, mit der Gesellschaft, aber auch mit den eigenen Ideen und Vorstellungen. „Das Theater kann hier keine Antworten geben und soll es auch gar nicht,“ so Singer,“ aber es soll zum Nachdenken anregen. Zum Zweifeln. Aber bitte nicht zum Verzweifeln.“
Ob dieser „Galileo Galilei“ zum produktiven Zweifeln oder zum Verzweifeln sein wird, kann man selbstverständlich hier auf 5vier.de lesen. Wir wünschen allen Beteiligten ToiToiToi und bedanken uns für das tolle Gespräch.
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