Vor der Show versicherte mir Steven Wilson, dass er die Zuschauer an diesem Abend auf eine musikalische Reise mitnehmen will – Sein Plan ging voll auf. Was mehr als 1000 Besucher im Rockhal Club zu hören und zu sehen bekamen, war viel mehr als nur ein Konzert.
Esch/Alzette. Mehr als fünf Jahre liegen seit dem letzten Auftritt Steven Wilsons (damals noch Porcupine Tree Frontmann) in der Rockhal zurück. Dementsprechend groß ist der Andrang vor der Tür: Die Menschenschlange ragt bis zum benachbarten Shopping Center hinaus. Einige Fans, die sich Early Entrance Tickets ergattern konnten, dürfen schon früher in die Halle. Für alle anderen heißt es, bis zum offiziellen Einlass um 20:00h zu warten und sich derweil mit einem Hinweisschild vertraut zu machen: „Der Künstler bittet höflich darum, weder Smartphones, noch Tablets oder ähnliche Gegenstände während der Show für Aufnahmezwecke zu verwenden.“ Tatsächlich sollen später nur zwei Personen auffallen, die dieser Bitte nicht gefolgt sind. Dabei bereitet es doch sichtlich mehr Vergnügen, die Show mit bloßen Augen zu genießen, anstatt sie durch einen Bildschirm zu sehen. Bühnenästhetik spielt heute Abend nämlich eine große Rolle.
Pünktlich um 20:30h ertönen die ersten Klänge des Intros First Regret vom neuen Album Hand.Cannot.Erase. Erinnert sehr an einen Soundtrack, zumal die Musik schon gleich zu Beginn mit Bildern unterlegt wird. Auf einer riesigen LED Videowall werden Wohnblöcke und Hochhäuser gezeigt, die das einsame Leben der Protagonistin von Hand.Cannot.Erase. symbolisieren. Als Adam Holzman (Keyboard) die Bühne betritt, stimmt er die erste (Klavier)melodie an diesem Abend an. Sie wird sofort von Steven Wilson, der mit dem lautesten Beifall empfangen wird, fortgeführt und geht nahtlos in 3 Years Older über. Nun steigen auch die anderen Bandmitglieder ein: Nick Beggs (Bass), Guthrie Govan (Gitarre) und Marco Minnemann (Drums) sorgen für einen druckvollen, aber dennoch transparenten Sound.
Der erste Block der Show besteht fast ausschließlich aus Songs von Hand.Cannot.Erase., die mit aufwendig produzierten Kurzfilmen visualisiert werden. Jedes Lied erzählt seine eigene Geschichte in bewegten Bildern: Perfect Life illustriert die nostalgischen Gefühle zweier Schwestern, die bis zu einem bestimmten Zeitpunkt ein perfektes Leben lebten. Für Routine wurde sogar ein kleiner Animationsfilm produziert, der darstellt, wie der routinierte Alltag eine junge Frau am Leben hält. 3 Years Older beschreibt, dass sich dieselbe Frau von ihrer Umwelt immer stärker isoliert und irgendwann verschwindet. Das Schlüsselwort der neuen CD ist eben Erase. Wie bereits auf dem Album nimmt man auch die Livesongs als musikalisches Ganzes wahr, wobei jeder Song für sich stehen kann. Ab und zu kündigt Wilson seine Stücke an. So erklärt er zum Beispiel auf sehr humorvolle Art und Weise, dass für Routine eigentlich Ninet Tayeb, die den Song im Studio eingesungen hat, auf der Bühne stehen sollte. Sie bekommt aber gerade ein Baby und ist daher auf der Tour nur mittels „Apple Technology“ anwesend. Ansonsten spielen Wilsons Musiker alles live – und das auf höchstem Niveau. Sie scheuen nicht davor zurück, auch zwei Porcupine Tree Lieder (Lazarus; Sleep Together) auszupacken, sodass auch Fans von Wilsons früherer Band auf ihre Kosten kommen.
Neben den Videos sorgt zudem eine neue Lightshow für ein besonderes Erlebnis, die bei The Watchmaker ihren Höhepunkt erreicht: Dazu wird extra ein transparenter Vorhang runtergelassen, auf dem das verlebte Gesicht eines alten Uhrmachers projiziert wird. Von hinten hört man plötzlich ein lautes Uhrenticken: Der Quadrofonie Sound bietet eine exzellente Raumakustik an diesem Abend. Man merkt halt, dass Steven Wilson nicht nur der musikalische Leiter seiner Show ist, sondern auch viel Wert auf eine hochwertige Produktion legt. Nach gut zwei Stunden Musik folgt dann die letzte Zugabe und damit auch die Krönung dieses Konzertes: The Raven That Refused To Sing live zu spielen, ist für Wilson, wie er mir nachmittags beim Interview verriet, jeden Abend ein besonderer Moment. Und tatsächlich ist diese Nummer eine sehr intensive Erfahrung für sowohl den Musiker als auch das Publikum. Sie bildet somit den perfekten Abschluss einer Show, die nicht nur ein Rockkonzert war, sondern den Zuschauer auf eine musikalische Reise in die Klangwelt von Steven Wilson mitnahm. Versprechen gehalten, Mr Wilson!
Fotos: Maximilian Ossweiler
mehr über Steven Wilson hier
zum Weiterlesen: ein Konzertreview von Robin Ono (Two Guys Metal Reviews): http://www.twoguysmetalreviews.com/2015/03/steven-wilson-in-luxemburg-rockhal.html
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