Am Samstag feierte die erste Inszenierung der neu angelaufenen Spielzeit 2013/14 Premiere im Theater Trier. Verdis „Rigoletto“ wurde von Regisseur Bruno Berger-Gorski in Szene gesetzt. Die Hauptrolle übernahm Jennifer Riedel, die – frisch von der Uni – ihre erste Gilda singt. Ihr Part wird in wenigen Wochen von Adréana Kraschewski übernommen.
Ein trauriger Clown ist der Rigoletto. Ein Buckliger nach Verdis Vorstellungen, ein Ausgestoßener aus der Gesellschaft, so ausgestoßen, dass er sein Leben als Hofnarr verdingen kann. Der Gesellschaft so fremd, dass man über jedes seiner Worte und jede seiner Gesten lachen kann. Ein – wenn nicht der – positive Nebeneffekt dieses Daseins ist die Narrenfreiheit. Sagen können, was man will, es wird ja eh nicht ernst genommen. Das macht bitter. Bei Rigoletto ist dieser Punkt schon längst überschritten, während er der dekadenten Hofgesellschaft bei ihren orgiastischen Festivitäten zusieht, wächst die Bitterkeit und der Ekel vor den feinen Herrschaften. Nur in seinem eigenen Reich fühlt er sich noch als Mensch; der Grund dafür: sein Töchterlein Gilda. Eine junge Frau in der Blüte ihrer Jugend. Und in ihrer Pubertät.
Sinnlich…
Vom Vater im Haus eingesperrt, nur einmal in der Woche darf sie es verlassen: zum Kirchgang. Und ausgerechnet auf diesem kurzen Weg begegnet sie der Liebe, einem jungen Mann, hoffentlich ein armer Student. Kein armer Student, dafür ein wohlhabender, wenn auch nicht gerade monogam lebender Herzog. Die Gesellschafterin/Putzfrau verschafft dem liebestollen Adeligen gegen ein geringes Entgeld Zugang zu der weggesperrten Schönheit. Doch so leichtes Spiel wie sonst hat der Womanizer nicht mit der jungen Dame. Die verweigert sich ihm erstmal, lässt ihn dafür aber ein Liebesgeständnis ablegen.
Der Herzog geht, Gilda bleibt, beide liebestrunken und auf Wolke Sieben schwebend, da der Vater naht. Doch er kommt nicht alleine, die Herren und Damen der feinen Gesellschaft wollen sich einen kleinen Spaß erlauben und das zarte Wesen entführen, von dem sie gehört haben, dass es in Rigolettos Haus leben soll. Sie erwarten eine Geliebte und finden eine Tochter, entführen sie und legen sie zum Herzog ins Bett. Das (Un-)Glück nimmt seinen Lauf: Gilda verliert nicht nur ihre Jungfräulichkeit, sondern auch ihr Herz an den Herzog.
Der erweist sich als nicht besonders treu, weder was seine Worte, noch was seine Taten anbelangt. Rigoletto will seiner Tochter die Wahrheit vor Augen führen, verkleidet sie als Mann und nimmt sie mit auf eine der nächtlichen Eskapaden des Herzogs. Und der gibt sich alle Mühe die Frauenherzen höher schlagen zu lassen und zu brechen. Darunter auch das Herz von Rigolettos Tochter, darauf kann es in den Augen eines grollenden Vaters nur eine Antwort geben: Mord.
…und brutal
So die Vorlage von Giuseppe Verdi; was hat das Theater Trier und Regisseur Bruno Berger-Gorski zum Auftakt der neuen Spielzeit nun daraus gemacht? Eine Interpretation, die manch althergebrachten Theatergänger vielleicht etwas schrecken wird: So viele Strapse und Reizwäsche sieht man im Theater sonst nur zu einer Rocky Horror Show. Berger-Gorski greift mit seiner Inszenierung den Grundgedanken Verdis auf: Korruption, Ausschweifungen und die Überheblichkeit, dass das Leben eines „gewöhnlichen“ Menschen für höhere Kreise manchmal nicht mehr wert ist als ein Lacher. Mächtige Männer, die mit Frauen im besten Fall umgehen wie mit einer Puppe, ein Gebrauchsgegenstand zur Verbesserung des körperlichen Wohlbefindens. Bleiben wir erstmal bei dem, was wir sehen, denn es gibt viel zu sehen: Das Bühnenbild von Thomas Dörfler zeigt ein mehrstöckiges Gebäude, oben die Gemächer des Adels, darunter Wohnungsflure, ein Zwischengeschoss auf dem – abgesehen von ein paar zufälligen Begegnungen – nichts passiert. Ganz unten die Ausgestoßenen, der Bucklige und seine weggesperrte Tochter. Oben Himmelbett, unten zerrissene Palmentapete, oben Strapse und Prosecco, unten Kopftuch und Gebetsteppich. Womit wir schon bei den Kostümen wären: Gera Graf entwarf hier ein klares, dafür sehr düsteres Bild: Erotik und Gewalt sind die beiden Pfeiler, auf denen das Flair dieser Inszenierung und auch die Kostümierung gebaut ist. Schwarz mit Spitze, kurz und knapp, Lack und Leder, Mini-Rock und High Heels sind hier Pflichtprogramm.
Doch nicht nur „Sex sells“, in Berger-Gorskis „Rigoletto“ wird nebenher noch allerhand getrunken, gekokst und gespritzt. Geschlechtsverkehr neben Mülltonnen betrieben, junge Frauen auf der Bühne halb ausgezogen, ein Mensch leichtfertig abgestochen, weil der „Kunde“ ja schon zur Hälfte für jemand anderen angezahlt hat. Und ganz nebenbei wird fantastisch gespielt und gesungen. Man bemerkt kaum, dass man eine Oper vor sich hat und auch noch eine, die einige Jährchen auf dem Buckel hat.
Berger-Gorskis Inszenierung besticht durch ihre Detailverliebtheit, durch die gelungene Übersetzung in die Gegenwart, ohne dabei die Zeitlosigkeit des Themas aus den Augen zu verlieren, durch Oppulenz auch in den leisen Tönen. Was bei all der Optik manchmal zurückbleibt ist das Herz. Mitleiden kann man kaum mit der armen, gelinkten Gilda oder dem vom Leben gezeichneten Rigoletto, einzig der schmerzvolle, sehnsüchtige Blick des Herzogs ganz am Ende rührt an. Dass der Herzog unerkannt der sterbenden Gilda beiwohnt, schafft eine Synergie, die rückwirkend auf die gesamte Inszenierung hallt.
Eine gelungene Mischung
Man würde gerne ein besonderes Lob an Svetislav Stojanovic für die Darstellung seines Herzogs aussprechen, wenn das nicht bedeuten würde, dass die anderen Sänger etwas hinter ihm zurückstehen würden. Was sie nicht tun. Zwar verleiht Stojanovic seinem Herzog etwas so gekonnt Casanovahaftes, dass man den ekelhaften Macho dahinter glatt übersehen könnte. Beauty und Beast in einem. Mit einer Selbstsicherheit verführt er die Damenwelt auf der Bühne, wie sie nur den ganz besonderen Fieslingen gegeben ist.
Aber in seinem Spiel sticht er nicht alleine hervor. Vielleicht kann man an Nachwuchstalent Jennifer Riedel ein „besonderes Lob“ aussprechen, dafür, dass sie sich so exzellent in die Reihe ihrer erfahrenen Kollegen einreiht, dass man gar nicht glauben kann, dass sie die Uni gerade erst abgeschlossen haben soll. Sie gibt eine Gilda, die am Ende ihrer Pubertät angelangt ist, sich aus dem väterlichen Griff herauswinden will. Der ihr (Frei-)Tod glückverheißender scheint, als die Rückkehr ins liebevoll väterliche Gefängnis. Eine junge Islamistin, die unter ihrem Kopftuch ihren ganz eigenen Kopf und auch ihr ganz eigenes Herz trägt. Dann noch Kristina Stanek, als Maddalena, fein, zerbrechlich und abgeklärt zugleich. Ein blonder Engel. Jacek Strauch als Rigoletto gibt den traurigen Außenseiter mehr als überzeugend, der Moment, in dem er als schwarzer Harlekin verschminkt mit einem Kasperle und einem Luftballon aus dem Untergrund zur lustigen Gesellschaft hinaufsteigt, wo seine Tochter gerade beim Herzog im Bett verweilt, lässt den Zuschauer hart schlucken. Doch diese vier bilden nur die Spitze des Eisbergs. Gemeinsam schaffen Sänger, Chor und Statisterie ein Bild, welches von raffinierten Einzelheiten so gespickt ist, dass ihre gesanglichen Qualitäten dahinter fast zurücktreten. Schade bloß, dass Pawel Czekala wegen Krankheit seinen Premierenauftritt als Mörder Sparafucile an den Saarbrücker Kollegen Hiroshi Matsui überlassen musste.
Berger-Gorskis Inszenierung ist etwas fürs Auge, die musikalische Leistung etwas fürs Ohr. Nicht zuletzt wegen Generalmusikdirektor Victor Puhls straffem Regiment, das sein Orchester zu größter Sorgfalt antreibt. Durch einen einzigen Kunstgriff schaffen Berger-Gorski und seine Sänger, dass die Inszenierung auch etwas fürs Herz wird. Das „Rigoletto“ etwas rührendes bekommt.
Fazit: Eine faszinierende Mischung, aktuell und zeitlos vom Thema her, dabei zart und derb zugleich. Brutalität und Sinnlichkeit in einer gekonnten Mischung. Unbedingt ansehen, auch wenn es manchmal nicht jugendfrei bleibt.
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