Es ist der denkbar beschissenste Moment um eine Kolumne mit Kommentaren zu starten.
„Schreib was unterhaltsames“ haben sie gesagt.
„Was mit Kante“ haben sie gesagt.
Und dann sowas. Was für ein Start… Darf ich darüber klagen? Nein.
Heute ist Freitag der 16. Juli 2021 und die Region steht teils unter Wasser.
Menschen haben ihr Zuhause, ihre Existenz, teilweise ihr Leben verloren. Da kannst du nix witziges zu schreiben. Da willst du auch nix witziges schreiben. Vielleicht schreib ich besser gar nichts dazu? Einfach ignorieren und leichte Kost servieren, Ablenkung von der Misere. Geschriebener Schlager zum Festplatte formatieren oder zumindest zum vorübergehenden Stand By Modus im Kopf – Ist das angebracht? Vielleicht, in jedem Fall verständlich.
Und Ist es angebracht ein neues „Je suis“ aufs Social Media Profilbild zu klatschen? Helfen tut das allein nichts, außer vielleicht dem eigenen Image.
Ich muss dennoch sagen ich habe mit großer Freude verfolgt wie die Katastrophe Leute zusammenbringt; die Welle der Hilfsbereitschaft ist derzeit sehr groß und das fühlt sich irgendwie gut an. Ich hoffe inständig dass sie keine dieser Instagram-Scheinwelten ist und die Menschen die Situation nicht nur nutzen um sich öffentlich als hilfsbereit und großherzig zu gerieren.
Jedoch bin ich hoffnungsvoll dass diejenigen die wirklich anpacken möchten in der Mehrzahl sind. Ich werde morgen auch anpacken und wünsche mir sehr dass ich dort mehr Schaufeln als Foto-Handys sehe. Dass keiner unnütz denen die helfen im Weg steht, sei es aus Voyeurismus oder sei es aus blindem Aktionismus, einfach um selbst das gute Gefühl zu haben mit zu helfen. Davon schließe ich mich selbst nicht aus und werde mich daran erinnern müssen. Helfen hat immer einen egoistischen Kern. Das ist auch völlig OK so denn dieses gute Gefühl ist die beste Belohnung für die getane Arbeit. Schaufel-Selfies fände ich trotzdem mehr als geschmacklos.
Erinnerungen an die Schulzeit
Gefühlsmäßig fühle ich mich in die Schulzeit versetzt wo ich als Schulsprecher einen Hilfstransport für das nach Generalsekretär Nicolae Ceaosescu´s Tod durch Lynch Mob arg gebeutelte Rumänien, genauer gesagt für ein Kinderheim dort mit eingesammelten Gütern füllen durfte und die tolle Gelegenheit bekam diesen Transport auch persönlich zu begleiten um die Güter zu übergeben. Mit 16 echt ein Abenteuer. Voller fast schon westlich herablassender Vorfreude auf die grenzenlose Dankbarkeit „dieser armen Menschen aus dem Ostblock“ (die eigentlich nur noch getoppt wurde als man nach dem Mauerfall die aus den neuen Bundesländern einströmenden neuen BRD-Bürger mit Bananen bewarf) musste ich vor Ort mein Bild vom Helfen um ein paar bis heute für mich geltende persönliche Grundregeln erweitern bzw. korrigieren
Frag vorher was gebraucht wird und warum. Es kostete unendliche Überredungskunst und Engelszungen um den Heimleiter zu überzeugen dass die mitgebrachten Spielsachen keine wegzusperrenden Wertgegenstände waren sondern einfach Spielzeug. Letztlich half es nichts, die Sachen wurden als Wertanlage weggesperrt. Ausserdem stand an jeder zweiten Strasse ein offener Kleidercontainer aus dem sich die Leute bedienten und ihre dreckige Wäsche in den Müll warfen statt sie zu waschen. Klarer Fall von zu viel zu schlecht koordinierter Hilfe.
Es geht nicht immer nur um das gute Gefühl für den Helfer. Viele Menschen nahmen die von mir als Warmherzigkeit empfundene Haltung als sehr herablassend wahr. Mir wurde schnell klar dass Helfen auch mit Würde und deren Wahrung zu tun hat. Auf die Gefahr hin dass ich mich wiederhole: kein Mensch braucht Elendstourismus.
Der Zweck heiligt die Mittel?
Der Zweck heiligt manchmal die Mittel. Ich glaube es war am Zoll von Ungarn nach Rumänien als mich eine der mitreisenden Nonnen(!!!) zur Seite nahm und mir einen der bizarrsten Aufträge gab die ich in meiner halbherzigen Kirchenlaufbahn bis dato erhalten hatte: „Du gehst jetzt in die Tankstelle, da kaufst du 5 Pakete Kaffee, 5 Zeitungen und 5 Playboy Hefte. Ich habe hier eine Tüte Haushaltsgummis, dann machen wir daraus schöne Pakete um die Zöllner zu bestechen.“ Ich muss gestehen aus heutiger Sicht hätte ich mich weigern sollen. Es hätte diese Anekdote um einiges aufgewertet wenn die Gute die Playboys selbst gekauft hätte. Und ja: es war vor den Zeiten der digitalen Fotografie.
Wow, das war ja eine fast amüsante Anekdote , geht ja doch irgendwie. Genau wie es immer irgendwie (weiter) geht. Ich wünsche allen betroffenen dass die Hilfe zielgerichtet, schnell und sinnvoll ankommt. Es braucht Zusammenhalt, Zivilcourage und die Bereitschaft den Schritt mehr zu tun. Ganz ohne Selfies. Und ich weiss dass die Region das kann.
Euer Senf hierzu interessiert mich natürlich sehr – also kommentiert was das Senfglas hergibt!
Und wenn Ihr dann noch hungrig seid:
Mehr Sempf und weitere Themen von Johannes‘ bekommt ihr in seinem Podcast „Discöföx“, in dem er zusammen mit Philipp Godart das Weltgeschehen kommentiert. „Schier sein Podcast“ ist schier gut. Weitere Infos findet ihr zudem auf den Websites der Boys:
Jöhännes www.johanneschier.de
Philipps: www.philippgodart.de
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