So nu isses rum das Jahr. Gut so, war nicht der Brüller – glaube das fasst es ganz gut zusammen. Wobei ich jetzt nicht in den (durchaus berechtigten) Tenor der Kunstschaffenden und der damit zusammenhängenden Industrie einsteigen möchte – schließlich hatte es für mich auch ein paar gute Seiten, z.B. brachte mich die Krise zum Schreiben – und das tu ich richtig gern. Deswegen möchte ich in dieser Zeit zwischen post-weihnachtlichen Magenkrämpfen und Grabenkämpfen sowohl ein versöhnliches Fazit für 2021 ziehen als auch gute Vorsätze für´s neue Jahr finden – und zwar welche die es sich einzuhalten lohnt. Ich will mal 3 Erkenntnisse und 3 Vorsätze auswählen.
Erkenntnis Nr.1: Sodbrennen ist als Weihnachtsritual völlig überbewertet
Da freut sich die Durchschnittskartoffel (für die ich mich halte) das ganze Jahr darauf, sich über Weihnachten sich den Ranzen voll zu knallen mit allen süßen, herzhaften, heißen, kalten und flüssigen Leckereien die der Handel hergibt, und wenn Weihnachten dann da ist ist man schon am 25.12. abends völlig appetitlos. Wohl dem der dann neben ausgeprägtem Sportsgeist bezüglich der folgenden Mahlzeiten („jetzt wird gegessen, wir sind schließlich nicht zum Spaß hier“)auch noch Rennie, Gaviscon, Kaiser Natron, Immodium und Alka Seltzer im Haus hat.
Hippie-Tum und Achtsamkeit
So oder so erscheint mir die eigene Maßlosigkeit an den Feiertagen zunehmend widerlich – vielleicht hab ich mich mit Hippietum (neudeutsch „Achtsamkeit“) angesteckt oder so, sind halt infektiöse Zeiten. Und ein gesunder Schuss Hippietum schadet auch nicht. Worauf ich raus will: Fressen ist im vorweihnachtlichen Stress eine verklärte Vorfreude, die letztlich nur enttäuscht werden kann. Das allweihnachtliche Sodbrennen weiß davon ein saures Lied in der Speiseröhre zu spielen. Aua!
Erkenntnis Nr.2: Der Zusammenhang zwischen der Größe des KFZ und der „Größe“ des Fahrers ist nicht vollständig nachzuweisen
Mir ist das Thema ein wenig peinlich, jedoch muß ich dies im Dienst wissenschaftlicher Erkenntnis hinten an stellen: In SSS2 erwähnte ich ja mein heiss geliebtes altes SUV als Beispiel für nachhaltiges Fahren (ich rolle das Thema jetzt nicht mehr neu auf, lesen Sie einfach nach). Und natürlich habe ich die Klappe zu weit aufgerissen, denn Anfang November hat dieses Fahrzeug trotz heißer Liebe und intensiver Pflege durch seinen Besitzer das Zeitliche gesegnet (ich sehe Ihnen das hämische Grinsen bereits an) und einen würdelosen Tod am Rand der Autobahn hingelegt. Nun bin ich jemand der nach vorne schaut und nach kurzer Trauerphase stand die Überlegung an wie meine persönliche Beförderung denn nun in Zukunft aussehen soll. Nachdem ich mir oft auf allen Kanälen anhören musste dass der gemeine SUV Fahrer etwas an „Länge“ zu kompensieren hat habe ich beschlossen die Gegenprobe und mit ihr den Gegenbeweis zu erstellen, auch um meinem inneren 8-Jährigen ein wenig „food for thought“ zu geben.
Das Experiment
Also habe ich mir ein kleines, billiges, unspektakuläres Auto gekauft. Ein Auto dem die anderen Autos täglich das Pausenbrot rausprügeln und es für sich tanzen lassen zur Belustigung. Ein Auto das im Schulbus mit dem Scout Ranzen auf dem Rücken direkt hinterm Fahrer sitzt. Ein Auto das einen Tintenkiller besitzt. Sie verstehen …
Der Versuchsaufbau war also bereit und die Vorfreude groß, denn wenn der SUV Fahrer Salami-technisch etwas zu kompensieren hat, wie muss dann der Kleinwagen Fahrer voller Stolz in Radlerhosen durch die Innenstadt laufen als hätte er einen Ring Fleischwurst in den Taschen. Die Bifi sollte ein Rollbraten werden. Jedoch bringt die Empirie eine herbe Enttäuschung mit sich, denn leider kompensiert das kleine Auto nicht den Umstand dass durch dessen Anschaffung kein Millimeter an horizontaler Länge hinzu kam. Zum einen ist dies der Beweis dass die Schelte der vergangenen Jahre durch die SUV – Hasser grundlos war, zum anderen die Enttäuschung dass man am Geiz von Mutter Natur manchmal nichts ändert, egal welches Auto man fährt.
Erkenntnis Nr.3: Ich hasse Menschen weitaus weniger als ich bisher annahm
Eigentlich fühle ich mich sehr zu Hause in meiner Rolle als zynischer Arsch, von dem man nicht immer weiß ob er es gerade ernst oder satirisch meint. Aber „eigentlich“ ist auch ein blödes Wort. Wenn ich dran denke dass die meisten Berliner Kellner „eigentlich“ Regisseure sind … nun ich will nicht abdriften. Ich muss dennoch völlig Ironie-frei gestehen dass es schon sehr schön sein kann wenn man keine Menschen um sich hat, vor allem dann wenn dieser Zustand selbstgewählt ist. Das war vor Corona. Die Pandemie hat aber tatsächlich ein reelles soziales Bedürfnis in mir geweckt (auch wenn das nach der familiären Invasion über die Feiertage gerade nicht so sehr in mir bohrt) und mich dazu bekehrt netter zu sein. Das mag banal klingen, schließlich ist „nett“ die kleine Schwester von „scheiße“, aber ich meine es schon so wie ich es schreibe: Nett sein ist echt cool. Auch wenn man dadurch ein wenig Edgyness verliert – ein Mensch von Welt kann das ab.
Guter Vorsatz Nr.1: Lerne die Mischbatterie besser kennen
Ja jetzt kommt das Thema Wasserdruck – war das schon mal Thema in irgend einem Jahresrückblick? Ich glaube nicht. Jedenfalls haben wir hier in meinem Haus eine echt fiese Mischung aus schlechtem Wasserdruck und einem etwas veralteten Durchlauferhitzer. Das stellt mich täglich vor die gleiche unlösbare Aufgabe: Finde genau den „Sweet Spot“ der Mischbatterie in der Dusche. Den paradiesischen Punkt zwischen lebendig gekocht werden wie ein Hummer im Lieblingsrestaurant von Robert Geiss und der eiskalten Dusche die sich fette Skandinavier nach der 5.Büchse Starkbier in der Gartensauna antun. Beide Zustände unterscheiden sich nur in der Tonhöhe des Aufschreis und das auch wieder abhängig von der Tagesform. Mehr Fingerspitzengefühl beim Duschen verhindert zukünftig Brandblasen und Frostbeulen. Banal aber essenziell.
Guter Vorsatz Nr.2: Akzeptiere dass – egal was Du tust – es immer einen 10jährigen Asiaten auf YouTube gibt der es besser kann
Speziell die Musiker werden es kennen: man übt sich den Wolf und hat das Gefühl sein Instrument (es könnte auch ein Sportgerät oder allgemein das Leben sein) im Griff zu haben. Dann kommt eine Information zu viel von außerhalb der eigenen Bubble rein und man erkennt niedergeschlagen an dass der schmale eigene Horizont mit dazu beiträgt dass man sich doch zu Unrecht recht gut fühlte was die eigene Performance angeht. Meine Mutter sagte dazu immer „Die Nr. 1 im Dorf ist nicht die Nr.1 in der Stadt“.
Demut
Es ging mir schon mehrfach so dass ich (buchstäblich) als Nr.1 vom Dorf in der Stadt gänzlich versagte – und das bevor YouTube mir zeigte was ich bisher erfolgreich zu verdrängen wusste: Was auch immer Du kannst – irgend wo in Asien gibt es ein Kind dass es besser kann. Es lohnt sich gar nicht mehr überhaupt noch zu üben, denn diese Wunderkinder sorgen dank Ihrer Handy-Kameras für weltweites Staunen. Wie geht man jetzt damit als Erwachsener und als Musikprofi um? Und sollte man sich gedemütigt fühlen? Soll man hoffen dass diese Fingerfertigkeit das Ergebnis von elterlicher Züchtigung ist? Ich denke nicht. Nach reiflichen Überlegungen in den weihnachtlichen Sodbrenn-Nächten habe ich mich gefragt weshalb diese Kinder außer den YouTube Videos nicht anderes haben oder können oder veröffentlichen. Dann fiel mir wieder ein was letztlich der Ur-Antrieb meiner Zunft sein sollte: sie berühren mich nicht. Lassen Sie mich es so erklären: es gibt verschiedene Stufen der Unterhaltung. Ich zähle diese aufsteigend gemäß des Anspruchs vollkommen subjektiv bewertet auf:
Die schier´sche Entertainment Pyramide
Ganz unten steht das Beeindrucken, das Spektakel. Wenn etwas spektakulär ist oder beeindruckend dann unterhält es uns auf der niedrigen Ebene dass es unsere bisherige Vorstellung sprengt. Zauberkünstler arbeiten z.B. hiermit, auch Zirkusartisten bedienen sich dessen. Und auch viele Instrumentalvirtuosen. Das zu können erfordert viel Disziplin und Übung und hat weniger mit Talent zu tun. Und man braucht wenig Hirnschmalz um es geil zu finden…
An mittlerer Stufe steht der Witz – das „witzig sein“, denn es appelliert an einen gewissen Intellekt. Dieser kann sehr stark variieren – von Mario Barth bis Volker Pispers geht da einiges. Fakt: je schlechter die eigene Bildung desto weniger Witz kapieren wir und desto weniger sind wir unterhalten.
Das „Berühren“ unseres Publikums ist meiner Meinung nach das was am ehesten echtes Talent voraussetzt also nicht erlernbar ist und höchstens geweckt werden muss da der Künstler sich nicht traut – man macht sich schließlich in dieser Situation selbst sehr verletzbar und zeigt sich wie man ist. Das muss nicht immer schön sein, kann es auch nicht, jedoch ist es eben die höchste Form von Kunst in meinen Augen.
Ich weiß ich bin abgedriftet und hoffe Sie nicht gelangweilt zu haben, aber hier schließt sich der Bogen zu den tausenden YouTube – Akrobaten: sie berühren keinen (und natürlich sind es nicht nur Asiaten – bevor schon wieder böse Post kommt). Menschen beeindrucken, mit Witz zu unterhalten und zu Berühren möchte ich mir für nächstes Jahr vornehmen. Gleich 3 Wünsche auf einmal – ob das nun wirklich nicht geht? Spannung, Spiel und Schokolade wäre einfacher.
Guter Vorsatz Nr.3: Nicht zu viel schwafeln
Deshalb mache ich es jetzt kurz.
Ich wünsche Ihnen allen nur vom Feinsten für 2022 – Bleiben Sie gesund und bleiben Sie treu! Danke für´s Lesen, Kommentieren und die Mails 2021, ich hoffe dass es dort wo das her kommt noch mehr gibt.
Ihr Senf hierzu interessiert mich natürlich sehr – also kommentieren Sie was das Senfglas hergibt! Mehr Senf von mir gibt es hier!
Mehr Sempf und weitere Themen von Johannes‘ bekommt ihr in seinem Podcast „Discöföx“, in dem er zusammen mit Philipp Godart das Weltgeschehen kommentiert. „Schier sein Podcast“ ist schier gut. Weitere Infos findet ihr zudem auf den Websites der Boys:
Jöhännes www.johanneschier.de
Philipps: www.philippgodart.de
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