Man kann nicht mit, man kann nicht ohne: soziale Medien. Als Mitglied der Puffergeneration zwischen Boomern und Millenials ist man genauso regelmäßig von ihnen angezogen wie angewidert. Dabei sind wir doch jetzt auch schon weit über eine Dekade dort am Start und sollten es doch langsam gelernt haben.

Morgenzeitung
Sind wir mal ehrlich: für einige von uns beginnt der Tag mit einem Update von Facebook, Instagram und co spätestens mit dem ersten Kaffee, wenn nicht schon vorher – ein Umstand, der mich abwägen lässt, ob sich bei der nächsten Bad-Sanierung eine USB Steckdose neben der Toilette rentieren würde.
Für mich ist dieser Blick ins Handy das Update von allem, was ich wissen muss:
1. Wie ist das Wetter? (Ja, es geht schneller, als Rolläden hochziehen. Irgend jemand postet immer, wenn es regnet oder schneit),
2. Verkehrslage (auch hier: irgend jemand schiesst immer ein Bild von roten Rücklichtern, wenn sich ein Stau bildet),
3. Was gibt es neues bei den Leuten, deren Updates mich interessieren?
4. Was sagen die Zeitungen und anderen traditionellen Medien so zum Geschehen in der lokalen und globalen Umgebung – und wie komt es bei „den Leuten“ an?
Also quasi meine ganz individuelle Morgenzeitung, die ich in meinem ganz individuellen Tempo lesen kann, und die mir nur zeigt, was mich auch interessiert. Fluch und Segen – denn ich denke, man sollte nicht nur die Inhalte zu sehen bekommen, die man sich aktiv sucht, sonst dreht man sich im Kreis. Alles nix neues, ich weiß.
Total Recall
Seit jedoch z.B. meine Zeit bei Facebook die 10-Jahres-Grenze überschritten hat, stelle ich mit großem Unbehagen fest, was für ein Vollhonk ich in der ersten Zeit meiner Präsenz in den sozialen Medien gewesen bin. Facebook reibt es mir täglich unter die Nase. Heute an diesem Tag vor 10 Jahren postete ich :“Geil, Nachos, Bier und Dmax“. Shame on me.
Auch stolze Fotos von mir und meinem damals noch sehr kleinen Nachwuchs tauchen da auf, völlig unbedarft – heute käme das nicht mehr vor. Hier und da auch mal ein Joke, der mir heute immer noch gut gefällt und den ich dann wieder aufnehme oder erneut teile (z.B. „Curryking ist doch der Gitarrist von Slayer oder?“ – sorry an alle Nicht-Metalfans… Google ist Euer Freund), jedoch ist das Meiste ein höchst kruder Mix aus belangloser Scheisse, dem Herrenwitz-Humor eines 12jährigen, der Romantik mittlerweile zerstörter Beziehungen und dem subtilen Betteln um Anerkennung in Form von Likes für die überromantisierte Darstellung von völlig normalen Dingen in meinem Leben, zB. Gassi Gängen, Heimgewerke oder Ausflügen mit dem Nachwuchs. Da treibt es mir oft schneller die Schamesröte ins Gesicht als es den Morgenkaffee wieder raus treibt.
Nachsicht
Ich bin dann froh, dass ich diese unrühmlichen geltungsbedürftigen Momente der Vergangenheit mit einem Knopfdruck nicht erneut in die Öffentlichkeit defäkiere – dennoch bleibt das Geschmäckle, denn ich weiß genau: In einem Jahr schwappt es wieder hoch. Alter Dreck im Netz wird nicht kompostiert, er bleibt uns Erhalten wie der Inhalt der Fässer in Gorleben, nur dass diese nicht einmal im Jahr durch den Regen an die Oberfläche gespült werden (Ich sag mal Toi Toi Toi für die Zukunft). Wenn ich aber darüber nachdenke, dass ich als Teilnehmer der digitalen Gesellschaft durchaus Fortschritte im Bereich Etikette, Anstand und klugem Verhalten im Netz gemacht habe, dann zeigen mir diese frühen Fehler natürlich auch, wie sehr ich dazugelernt habe. Wer bisher nachfühlen kann, wie es mir geht, der wird sich vielleicht über den Gedanken freuen – so wie ich. Deswegen habe ich beschlossen, mich nicht für alte Sünden zu bashen. Das Internet-und gerade die sozialen Medien erheben eh einen viel zu hohen Anspruch, dass alles Gesagte ewig seine Gültigkeit behält.
Gedächtnisschwund
Das kann sehr unschöne Ausmaße annehmen, gerade wenn sich -z.T. selbsterklärte- Randgruppen heute beleidigt fühlen von dem, was ein anderer Mensch vor über 10 Jahren z.B. bei Twitter gepostet hat. So z.B. geschehen im Fall Kevin Hart (US-Comedian), der wegen 10 alter Tweets die Moderation der Oscars verlor. Man kann jetzt lange drüber diskutieren, wie und wann jemand aufgrund seiner Aussagen ein Recht auf Rehabilitation nach einer gewissen Karenzzeit hat – das hängt sehr stark von dem ab was gesagt wurde. Jedoch weiss ich aus eigener Erfahrung im Bereich „Fresse aufreissen vor dem Nachdenken“, dass Menschen durchaus im Laufe ihres Lebens Meinungen, Haltungen und Gesinnungen und ihr Niveau ändern, und dass es nicht immer fair ist, eine Sau wegen ihrer Ferkelzeit durchs Dorf zu treiben.
Leider scheint im Netz kein Platz für Ambivalenz zu sein. Alles ist digital im eigentlichen Sinn: Du hast 2 Möglichkeiten – Du bist für etwas oder dagegen. Sorry, aber auch da behalte ich mir vor, das analoge zu schätzen und mich in Grauzonen zu bewegen. Bewegen ist auch so ein Wort – wer sich bewegt steht nicht still und kommt vielleicht auch mal an Orte, die sich nicht als gastlich erweisen. Hat man dann erstmal den sprichwörtlichen Stempel im Visum, kommt man nirgends anders mehr rein. Verrückte Welt. Ich drifte ab, Verzeihung.
Deshalb fordere ich hiermit eine Sozialmedien-Generalamnesie zum 1.1.2023. Alles was bis dato gepostet wurde könnte man doch einfach von den Servern löschen und gut. Wir wissen ja jetzt wie´s geht. Wir sollten auch gelernt haben, uns verantwortungsvoll im digitalen Raum zu bewegen und und nicht manipulieren zu lassen.
Saubere, leere Server, alles auf Null. Einmal die Klärbecken frisch durchgespült. Von da an alles anders machen . Wäre das nicht herrlich? Denken Sie mal drüber nach!
Ihr Senf hierzu interessiert mich natürlich sehr – also kommentieren Sie was das Senfglas hergibt! Mehr Senf von mir gibt es hier !
Mehr Sempf bekommt Ihr in Johannes´ Podcasts „Discöföx“ (zusammen mit Philipp Godart) und „Schier sein Podcast“ – überall wo es Podcasts gibt und auf den Websites der Boys:
Johannes: www.johannesschier.de
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