Um ehrlich zu sein: Ich habe ein sehr gespaltenes Gefühl zum Thema „Body Positivity“. Zwar ist es ein zweifelsohne wichtiges Anliegen, unsere so auf unechte Äußerlichkeiten zurechtgefilterte Gesellschaft mal wieder daran zu erinnern, wie Menschen in Wirklichkeit so aussehen, dennoch wird das Thema viel zu oft ironisch von renitenten Gesundheitsverweigerern als Vorschub zum hedonistischen Völlern (nein, nicht Rudi) genommen, oder eben verlogenerweise von Menschen herausgekramt, die nur so lange so tun, als sei ihnen das Aussehen egal, wie sie eben auf der einigermaßen gut aussehenden Seite der Gesellschaft stehen. Oder von mir, ich bin beides. Und kenne beide Seiten der Medaille.

Falsche Anerkennung
Ja, ich war mal ein ziemlicher Brocken – aus vermeintlich „schweren Knochen“ wurden vermeintlich „schlechte Gene“ und schließlich eine reelle ausgewachsene Essstörung. Warum? Gehört nicht hier her, ist halt so. Mir kommt es mittlerweile vor als sei das Jahrzehnte her, aber noch vor 3 Jahren wog ich 55kg mehr als jetzt. Bevor jetzt aber hier die Respektsbekundungen eingehen: ich habe eine Magen-OP machen lassen. Ich würde lieber stolz erzählen, wie ich jedes Pfund weggeschwitzt habe in eisenharter Selbstdisziplin, „Gonna Fly now“ auf den Ohren und Testosteron aus jeder Pore vaporisiert. Wäre aber gelogen. Dennoch bin ich froh, es getan zu haben. Denn ich fühle mich jetzt um einiges besser. Letztlich zählt auch nur das. Ich hätte es auf diesem Weg nicht geschafft. Genau, wie nicht jeder Junkie den kalten Entzug schafft.
Verlogenes Kassensystem
Ich gehe mal davon aus, dass keiner meiner Leser mehr daran glaubt, dass irgend welche Pulver, Medikamente oder ähnliche Scharlatanereien auf Dauer glücklich machen, deswegen erspare ich uns die Litanei. Interessant wird es aber im Gespräch mit Ärzten und Kassen: Bei einem Info Gespräch in einem Krankenhaus in Deutschland wurde mir erklärt, dass ich – sollte ich den Wunsch haben, dass die Krankenkasse das ganze übernimmt – einen ziemlich anstrengenden und z.T. auch entwürdigenden Weg durch diverse Kurse, Therapien etc. zu bewerkstelligen hätte – nicht, dass ich das alles schon seit 20 Jahren versuche. Dazu wäre ich trotzdem sogar bereit gewesen, bis mir dann mitgeteilt wurde, dass das Ziel der Kasse ausschließlich sei, dass mein Übergewicht sich unterhalb des Werts entwickelt, bei dem die Kasse überhaupt noch zahlt. Klingt eigentlich fair. Eigentlich, denn wir reden hier von einer Abnahme im Bereich von 5 BMI Punkten, also immer noch guten 40-45 kg Übergewicht, einer immer noch krankhaften Adipositas und keiner Verbesserung meiner Situation. Als mir dann geraten wurde, die Kurse zu belegen, aber in dem entsprechenden Zeitraum rebellisch dagegen anzufressen, um die OP zu bekommen, war für mich klar, dass ich über die Kasse nicht ans Ziel komme. Mich noch schlimmer zuzurichten, um an die Kostenübernahme zu kommen fand ich ekelhaft, das kam nicht in Frage.
Eigeninitiative
Also erst mal überlegt, wie ich an das Geld kommen könnte. Letztlich fand sich durch einen guten Tipp eine sehr gute Möglichkeit im angrenzenden Ausland und ich versuchte mein Glück mit meinem Grenzgängerstatus bei der Krankenkasse in Luxemburg. Ich kürze ab: Ich habe letztlich die OP selbst gezahlt, da aufgrund des Lockdowns Termindruck herrschte und es keine Zeit für langwierige Genehmigungsprozesse gab. Und wie das so ist: keine Kasse zahlt gern. Erstrecht nicht, wenn man für eine OP das Geld bereits vorgelegt hat. Fazit: für mich gibt es vom moralischen Aspekt her wenig Unterschiede zwischen einem profitorientierten Unternehmen , das Diätpillen produziert, und eine Krankenversicherung. Am Besten bleibt man eben gesund. Schönen Dank auch.
Neue Klamotten und verzweifelte Menschen
Dennoch würde ich keine Sekunde zögern und es genau so noch einmal machen, für mich war es der richtige Weg. Ich musste zwar jedes Jahr neue Klamotten kaufen, aber das tut man auch gern, wenn die alten zu weit geworden sind. Und mit den zu weiten Klamotten stieg die Zahl der Menschen, die mich ansprachen auf den Gewichtsverlust, nicht aus Anerkennung, sondern oft aus eigener Verzweiflung. Menschen, denen suggeriert wurde, dass auch sie es schaffen können und dass es ausschliesslich an ihrem schwachen Willen liegt, dass sie es nicht geschafft haben bisher. Was für ein kranker Scheiss. Ebenso wie das Stigma, das – vor allem bei Männern – eine Magen OP zur Gewichtsreduktion trägt. Nein, ich mache keine Werbung dafür, sich gehen zu lassen und es dann den Onkel Doktor richten zu lassen, ich mache Werbung dafür, aus falschen Stolz gegenüber der OP so zu tun als sei einem der eigene Wanst völlig egal.
Hoffnung
Ich richte mich an diejenigen, die verzweifelt sind, wie ich es war, die (vielleicht auch hinter der Maske der Selbstironie und des Humors) mit sich selbst nicht mehr zurecht kommen. Diejenigen, die in dieser Spirale gefangen sind und sich nicht trauen, etwas machen zu lassen, weil sonst die Kumpels lachen oder die Familie mit den Augen rollt – man könne doch auch einfach schwimmen gehen. Diejenigen, die alles in ihrer Macht stehende versucht haben: Lassen Sie sich nicht von außen erzählen, ob es wirklich alles war, was in Ihrer Macht steht, das wissen nur Sie selbst. Wenn Sie sich so mögen, wie Sie sind, dann gratuliere ich Ihnen aufrichtig, falls nicht: Tun sie nicht so, als ob. Tun sie, was in Ihrer Macht steht und mit Ihren Mitteln möglich ist. Das muss nicht immer der 90min Powerwalk morgens um 5 vor einem Frühstück aus Rohkost sein. Für manche kann es auch einen Kredit bedeuten, um mit kleinem Magen neu anzufangen. Mein Weg ist mit Sicherheit nicht der einzig wahre – und funktioniert auch nicht bei jedem, um Gottes Willen – dennoch eine Option, die man guten Gewissens in Erwägung ziehen kann, wenn man sich in der eigenen Haut nicht mehr wohl fühlt.
Und wo bleibt die Body Positivity?
Gehen Sie in sich und fragen Sie sich, ob Sie mit Ihrem Körper zufrieden sind – und falls nicht: welchen Preis Sie zu zahlen bereit sind, um das zu ändern. Ist es kein hoher, dann ist alles Wölkchen. Fragen Sie sich, welche Auswirkungen – positiv wie negativ – Ihr Körper auf Ihr Leben hat. Es gibt hier kein Richtig und kein Falsch – wobei ich eine Sache mit Sicherheit völlig falsch finde: Menschen zu verurteilen, die mit ihrem Körper unzufrieden sind. Wir sind letztlich alle Opfer eines Schauspiels, das wir uns gegenseitig vorgaukeln. Also nicht erst abspecken, dann abspacken!
Ihr Senf hierzu interessiert mich natürlich sehr – also kommentieren Sie was das Senfglas hergibt! Mehr Senf von mir gibt es hier !
Mehr Sempf bekommt Ihr in Johannes´ Podcasts „Discöföx“ (zusammen mit Philipp Godart) und „Schier sein Podcast“ – überall wo es Podcasts gibt und auf den Websites der Boys:
Johannes: www.johannesschier.de
Philipp: www.philippgodart.de
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