Ja, es war wieder so weit: Der Zirkus war in Town, der Papst boxte im Kettenhemd, der größte Musikrummel in Europa war im Fernsehen. Also den Mettigel gemästet, Trauben und Gouda mit Zahnstochern gepfählt, den Söhnlein Brilliant aus der Kühlung geholt und Eurovision Song Contest geschaut.

Gruß aus der Küche
Es gab erwähnenswerte Besonderheiten dieses Jahr. Beispielsweise stand nicht die eine Hard´n Heavy Band im Finale, die sich sicher sein konnte, dass die rock-affine Community für sie votet – was Deutschland denke ich auch den Kopf gekostet hat. Es gab erstaunlich wenige Feelgood-Songs, generell versuchten sich die Künstler eher zwischen Schwermut und Awkwardness zu platzieren. Bei manchen Songs wirkten die Videos wie eine Netflix Mystery Serie, die Live-Auftritte unterdessen wurden entsprechend entschärft.
Vorspeise
Gleich zu Anfang dachte ich, ich hätte aus Versehen den Fernsehgarten angeschmissen und Kiwi hätte einen ihrer berühmten Wutanfälle oder einfach einen Nasenespresso zu viel – aber nein, es war Frau Schöneberger (draußen vor dem Studio), erwartungsgemäß im bemerkenswerten Fummel. Sie musste es letztlich auch erklären: Das Kleid war bedruckt mit Macarons, für mich sah es aus wie Cheeseburger auf Rosa Tuch, als wäre das Kleid aus Servietten von FiveGuys genäht, dazu Kreolen in den Ohren, die wie gigantische Zwiebelringe anmuteten. Wie das wohl alles riecht.
Warum ist das Ganze eigentlich nicht in Hamburg gestiegen? Stattdessen sendete man direkt aus Liverpool, wo man einen derart kleinen Raum bekam, dass die Ganze Einstiegsfete den bitteren Geschmack von Budgetkürzung hatte. Vielleicht 30 Zuschauer, Jubel auf Zeichen und Max Mutzke, der stimmlich super und schön spontan mit einem Akustikgitarristen auftrat, versprühte insgesamt den Charme von Billig. Kein Geld für ne Band. Auch kein Geld für anständiges Catering – Schöneberger kann sich den einen oder anderen Seitenhieb da nicht verkneifen, wirkt generell nicht so gut gelaunt, erinnert mich an den heutigen Gottschalk. Da helfen auch die Witze, die offensichtlich das Lachsalven-Fach-Team von „7 Tage – 7 Köpfe“ geschrieben hat, nichts. Bissl Zeit totschlagen, Einspieler in die Backstage , kleines Quiz , bliblablubb. Einziger Lichtblick: Thomas Hermanns war nicht dabei.
Hauptgang
Die eigentliche Show jedoch hatte sich gewaschen. Die Bühnen werden echt jedes Jahr fetter, kaum zu glauben. Großbritannien als Zweitplatzierter des letzten Jahres griff der Ukraine, die (aus Gründen) derzeit kein Gastgeber sein kann, unter die Arme und haben das mit so viel Respekt, Charme und Einsatz betrieben, dass es einem das Herz wärmte. Somit war der Einstieg in die Show bereit dermaßen ein Zirkus, dass es danach hätte rum sein können und mir wäre es egal gewesen. Die Hosts hingegen fand ich bis auf eine Dame recht unspektakulär: Schauspielerin Hannah Waddingham tat sich durch extrem gestelzte Grimassen und auswendig gelerntes Stimmungsgetue hervor, Barbara Schöneberger hätte ihr sicher gerne ein Fleißkärtchen gegeben. Oder sich was abgeschaut, wer weiß.
Die Musik ist halt immer Geschmacksache, aber es gab – bis auf den polnischen Beitrag – keinen Song oder Künstler, bei dem mir der Mettigel im Hals steckengeblieben wäre. Polens Beitrag fand ich fast schon dreist. Wie offensichtlich man „Nossa“ und J-Lo Vibes nach so vielen Jahren noch auswalzen kann – musikalischer Enkeltrick. Viele Acts, die meine Sympathie hatten, sind leider schon im Halbfinale gescheitert, z.B. Dänemark und Malta, dafür (Spoiler Alert) fand ich den schwedischen Sieg komplett unberechtigt. Weder war der Song wirklich gut, noch war die Präsentation outstanding. Ich weiß nicht, was da dran ist, den letzten Siegersong einfach noch mal zu kopieren, aber der hatte wenigstens noch Ohrwurmcharakter. Gut – als Deutscher sollte man wahrscheinlich spätestens dieses Jahr zu allen anderen Songs besser nichts mehr sagen.
Jedenfalls war es, wie erwartet, ein Wahnsinn von einer Show, und ich gebe zu, ich war auch angezündet – jetzt nicht unbedingt vom Deutschen Beitrag, aber ich hatte meine Favoriten, zB. Finnland, Belgien und ganz vorne natürlich Kroatien. Die Kroaten bewiesen, was für abgefahrenes Zeug es immerhin auf Platz 13 schafft, wenn der Radiosender und die für die Künstler zuständigen Mitverantwortlichen mal Mut, Rückgrat und die notwendige Verrücktheit mitbringen. Und ich meine die gute Art Verrücktheit, nicht die, die uns vor ein paar Jahren diese tanzende Hand auf die Bühne gestellt hat.
Dessert
Zurück in den Partykeller. Die 30 Zuschauer saßen mittlerweile sichtlich unbequem auf den auf dem Boden liegenden Sitzwürfeln (das Studio hatte was von „Kinderquatsch mit Michael“, einer Show in der einst Michael Schanze Kleinkinder vorsingen ließ…) und Babsi hatte sich in der Boxengasse passende Ohrringe besorgt. Weg mit den Zwiebelringen, jetzt gibts auch an den Ohren Macarons , zu verlieren ist eh nichts mehr, und man merkt ihr das auch an. Man zeigt sich überrascht vom Ergebnis bezüglich Deutschland und imitiert und lästert über die Beiträge der anderen Länder , die es vermeintlich unverdient weiter nach vorn in der Liste geschafft haben. Wir Deutschen sind eben richtig gute Verlierer. Schalte zu „Lord of the Lost“ , die sich – mittlerweile sichtlich angetankt – durch seltsame Monologe hangeln und versuchen, unverfänglich zu wirken. Danach noch ein bißchen Boomer-Humor mit Tennissocken in Unterhosen, und zum Schluss grüßt Barbara Schöneberger nochmal alle Moderatoren und Kommentatoren der Partnerländer Österreich und Schweiz – wobei sie die dieses Jahr für Österreich kommentierenden Jan Böhmermann und Olli Schulz auslässt – und dann ist auch schon Feierabend. 6 Stunden, 4 davon schön….
Absacker
Was war denn nun faul bei Lord of the Lost? Warum der letzte Platz? Man hat sich doch solche Mühe gegeben! Ich denke, das war auch das Problem. Das ganze Ding war von vorne bis hinten mit Kalkül geschrieben, einstudiert und performt. Sie haben es einfach zu hart versucht. Ich fand es – besonders verglichen mit den anderen härteren Acts, die teilnahmen – völlig unsympathisch. Zu viel Strategie – die Leute sind eben nicht so blöd. Man merkt auch den Unterschied zu zB. Rammstein, die anstatt mit solcher Verbissenheit zu agieren, immer im richtigen Moment die Selbstironie aus der Lederbuxe holen, so dass man auch versteht, dass die Jungs Humor haben. Bei Lord of the Lost war davon nichts zu spüren. Da hilft auch das ewige „auf Tour mit Iron Maiden“ Name Dropping nicht mehr weiter, es nervt nur. Alles völlig unsympathisch.
Wo waren denn Electric Callboy? Leider hat der NDR offenbar nicht die Cohones, die zB. Der betreuende Radiosender in Kroatien hatte. Ich glaube, die hätten einiges gerissen in Liverpool – die Geschichte dazu spare ich mir jetzt, lässt sich ja im Netz lesen. Nur so viel: Ich hatte mal mit Electric Callboy zu tun, als ich eine Bühne auf einem kleineren Festival betreute – und durfte mit ansehen, wie die Jungs im Nieselregen den fast leeren Platz völlig durchdrehen ließen. Was kriegen die erst in einer vollen ESC halle hin? Naja, um Musik geht es hier wohl nicht.
Ich freue mich jedenfalls auch, dass Luxemburg nächstes Jahr wieder mit am Start ist, vielleicht dieses Mal sogar mit einem Luxemburger? Das wär ja mal was!
Jedenfalls kann ich jetzt keine verträumt-melancholischen Piano Intros mehr hören, ohne, dass mein Auge nervös zu zucken beginnt. Genug davon!
Ihr Senf hierzu interessiert mich natürlich sehr – also kommentieren Sie was das Senfglas hergibt! Mehr Senf von mir gibt es hier !
Mehr Sempf bekommt Ihr in Johannes´ Podcasts „Discöföx“ (zusammen mit Philipp Godart) und „Schier sein Podcast“ – überall wo es Podcasts gibt und auf den Websites der Boys:
Johannes: www.johannesschier.de
Philipp: www.philippgodart.de
Kommentar verfassen