Jaja die Idylle auf dem Dorf. Ich sitze gerade mit einem Kaffee in der Sonne auf meinem zur Dachterrasse umgebauten Heuboden. Diese Info ist nicht wichtig um anzugeben sondern ist eigentlich ein Bild das die beiden Seiten des Lebens auf dem Dorf im Trierer Umland schön darstellt finde ich. Denn was einst landwirtschaftlich genutzter „form follows function“-Bereich war ist heute oft „Wohnen in ländlichem Charme“. Und wieso auch nicht.
Offene Arme
Ob man es will oder nicht – die Dörfer sind im Wandel. Viele Kinder alt eingesessener Familien ziehen weg, die Bevölkerung wird älter. Denkt man zumindest im ersten Moment. Denn parallel zieht es die jüngere Generation wieder raus aufs Land (oft nicht unbedingt ins eigene Elternhaus aber doch zumindest in die Nähe) und das bleibt natürlich nicht ohne Folgen.
Ich selbst bin sehr froh und dankbar dass ich hier mit offenen Armen empfangen wurde. Dass die Alt Eingesessenen mich wissen lassen dass es schön ist wenn sich Leute der alten Gebäude hier im Dorf annehmen und diese erhalten anstatt sich einfach im Neubaugebiet am Ortsrand ein Fertighaus hinstellen zu lassen (was günstiger und stressfreier wäre). Man ist dankbar dass ich als „Neuer“ (der ich den ungeschriebenen Gesetzen der Dörfer nach wohl auch die nächsten 20 Jahre wohl bleiben werde) am Leben im Dorf teilnehme – wohlwissend dass ich vom Lifestyle her wohl ein Exot bin (ich bin weder Landwirt noch Handwerker).
Was mich auf den Gedanken bringt wie das wohl in der Stadt wäre.
Ecken und Kanten
Was also wenn ich anstatt dieses alten Hofs ein altes Haus in Trier oder vielleicht eine industrielle Immobilie gekauft hätte um sie dann zu bewohnen? Wie offen wären die Arme der Alt Eingesessenen? Man verzeihe mir wenn ich Trier jetzt nicht zu den freundlichsten Städten auf diesem Planeten zähle – ich denke aber man wird mich verstehen. Aber mein Gedanke dreht sich da eher um die Stadt an sich, nicht um Trier im Besonderen.
Wer Individualität sucht und sich verwirklichen will, wer ein städtisches Lebensumfeld mit Ecken und Kanten sucht, wer urbanes Nachtleben und authentische Stadtkultur sucht wird wohl nach Berlin ziehen wollen. Oder nach Kürenz oder Trier Süd wenn man noch gern am Wochenende die Wäsche zu Mutti aufs Land bringen möchte. Petrisberg und Markusberg scheiden in jedem Fall definitiv aus, sowohl aus finanziellen als auch aus kulturellen Gründen (Ecken und Kanten gibt es dort höchstens noch im Dinkelbrot).
Gentrifizierung
Wäre dieses Dorf ein „cooler“ Stadtteil von Trier gäbe es wohl bereits hinter vorgehaltener (eventuell tätowierter) Hand Debatten um Gentrifizierung. „Da kommen diese Leute von außerhalb und schnappen sich die alten Gebäude und sanieren die einfach und wohnen dann darin – Was soll das?“ „Die machen die Preise kaputt weil sie alles so unnötig schön machen“ „Nirgends kann man mehr in Ruhe hin kotzen wenn man morgens um 6 aus der Luke fällt“ – so oder ähnlich könnte ein Gespräch beginnen. Könnte, muss aber nicht … Dennoch scheint der Städter dem Wandel und der Verschönerung und Sanierung alter Gebäude gegenüber weitaus misstrauischer zu sein als der Dörfler.
Wo ist also der Unterschied zwischen einem Klischee-Berlin-Schwaben der am Prenzlauer Berg unter Schimpf und Schelte ein Haus saniert um drin zu leben und dem Klischee-Trierer-Ländler der sich im Umland unter den wohlwollenden Blicken der Nachbarschaft einen alten Bauernhof zurecht macht in dem er nicht gross geworden ist? Ich weiss da ehrlich gesagt nicht wirklich eine Antwort drauf. Ich weiß nur dass ich hier wahrscheinlich besser behandelt werde.
Traktoren und Laptops
Klar, wenn es jetzt nicht mehr um Wohneigentum sondern um Mietobjekte geht (gerade wenn die Mieten nicht gedeckelt sind) ist die Diskussion eine andere, völlig klar. Ich denke es tut den Dörfern gut dass sie sich füllen (was wohl auch den Preisen in Trier geschuldet ist), auch wenn das einiges an Wandel mit sich bringt. Die Zahl der Traktoren pro Kopf wird sicher sinken, dafür steigt die Zahl der Laptops an. Wenn es nur das ist – bitte.
Ich für meinen Teil lebe einfach lieber dort wo man sich noch „Guten Tach“ sagt – und während ich das schreibe fällt mir die Spiessigkeit diese Aussage auf – sei es drum, damit kann ich leben. Und während hier die Geräusche der Traktoren und Rasenmäher das Lied vom schönen Vorgarten singen freue ich mich darüber dass ich vor meinem Eingang parken kann, meine Nachbarn meine Pakete annehmen und der alte Mann an der zentralen Ecke im Ort immer genau weiss was wo los ist.
Seele
Wer gerade überlegt aufs Land zu ziehen , dem kann ich nur dazu raten. Vielleicht überlegt Ihr Euch auch den Kauf eines alten Hauses und die damit verbundene mehr-Arbeit und die Kosten abzuwägen, es bringt einiges an Lebensqualität und durch learning-by-doing wird man auch nicht blöder. Ich habs hinbekommen ohne ein Handwerker zu sein (nein es war keine Spaziergang) und ich bin weder der geschickteste noch der schlauste Mensch den ich kenne. Im Fertighaus in der Siedlung am Ortsrand wird immer eines fehlen was sich mit Geld nicht kaufen lässt – die Seele.
Euer Senf hierzu interessiert mich natürlich sehr – also kommentiert was das Senfglas hergibt! Mehr Senf von mir gibt es hier!
Und wenn Ihr dann noch hungrig seid:
Mehr Sempf und weitere Themen von Johannes‘ bekommt ihr in seinem Podcast „Discöföx“, in dem er zusammen mit Philipp Godart das Weltgeschehen kommentiert. „Schier sein Podcast“ ist schier gut. Weitere Infos findet ihr zudem auf den Websites der Boys:
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