Ich denke gerade nach über die Grenzen der Resilienz. Letzteres ist so ein in Mode gekommenes Wort in der Wirtschaft, eigentlich ist es ja nichts als ein sexy Wort für „wie viel Mist man so ertragen kann bevor man genug hat“. Dennoch haben wir wohl alle zu wenig davon – oder?
Resilienz
Wenn ich das Wort Resilienz google dann erscheinen sofort Tipps und Tricks wie ich meine Resilienz, also mein seelisches Immunsystem (oder den „antidepressiven Schutzwall“?), stärken, schulen, stählen kann. Offensichtlich sind wir von der Natur mit zu wenig Widerstandskraft gegen die oft vermeidbaren und nicht immer begründeten Attacken unserer Arbeitskolleginnen und Vorgesetzten ausgestattet. Seltsam oder?
Nun gibt es ja schon seit meiner Kindheit den Begriff des sogenannten „Sensibelchens“. Meist wurde dieser mit einer jovial höhnischen Geste für Menschen verwendet die sich Dinge sehr zu Herzen nehmen, sei es aus einer starken Empathie heraus oder weil sie sich selbst zu ernst/wichtig nehmen und gar nicht bis wenig über sich selbst lachen können. Man ist dann natürlich auch schnell beleidigt. Nun ja, so war er halt der Schulhof.
Milch von glücklichen Kühen
Mir kommt es vor als würde im Zuge der Welle der „Achtsamkeit“ und der „mental health“ auch das Thema Resilienz immer stärker Einzug im Arbeitsleben vieler Menschen halten. Erstmal ist das ja was gutes, gegen Achtsamkeit ist erst mal nichts zu sagen. Ebenso wenig dagegen dass man auf seine psychische/seelische Verfassung genau so Acht geben soll wie auf die körperliche Gesundheit. Geschenkt!
Was hat der Arbeitgeber davon? Liegt auf der Hand: zufriedene und glückliche MitarbeiterInnen liefern dauerhaft zuverlässiger gute Arbeit ab (Man kennt das Konzept bereits sehr lange aus der Werbung: Milch von glücklichen Kühen). Die Human Resources verbrauchen sich nicht so schnell… „Menschliche Ressourcen“ ist übrigens auch so ein fragwürdiger Begriff- für mich steht er eine Stufe unter „Kanonenfutter“.
Die blutige Nase
Wieso habe ich nur das Gefühl dass da was stinkt sobald das Resilienz-Thema sich da mit reinschleicht?
Wieso brauchen ArbeitnehmerInnen denn seit neuestem ein dickeres Fell wenn man doch gleichzeitig in die Verantwortung genommen wird auf seine mentale Gesundheit zu achten? Und zwar nicht um dem Betrieb kein schlechtes Gewissen zu machen sondern um schlicht und ergreifend arbeitsfähig zu bleiben.
Es scheint als wird der Ton rauher, der Druck höher und das ganz bewusst, natürlich alles im Sinne der Produktivität und der Gewinnmaximierung. Und wer das moniert hat per Definition seit neuestem ein Resilienzproblem. Echt jetzt? Hat was von: wer nach einem linken Haken mitten in die Visage eine blutige Nase hat der hat ein Problem mit seiner „nasalen Resilienz“.
Nein es wird nicht gefragt warum geboxt wurde und ob das Not tat. Der Schläger (bzw. die Schlägerin) ist seit neuestem nicht mehr das Problem sondern der/die Geschlagene. Was kann der Schläger(bzw. die Schlägerin) dafür wenn die Nase zu schnell bricht?
Arbeiten wir doch lieber daran vernünftig, empathisch und grundsätzlich freundlich und vor allem ehrlich miteinander umzugehen.
Geben wir doch bitte die Schuld den TäterInnen, anstatt den Opfern einzureden sie seien einfach nur zu weich für’s normale Leben.
Hauen wir uns nicht aufs Maul, dann bluten auch keine Nasen.
Dickes Fell
Will sagen: Fragt euch, besonders im Sinne der Achtsamkeit, ob das schlechte Gefühl, der Frust, die Niedergeschlagenheit die ihr eventuell am Arbeitsplatz verspürt tatsächlich nur an der eigenen mangelhaften Resilienz liegt (was dann oft dem Selbstbewusstsein den finalen Gnadenstoss verpasst). Oder wird euch das nur eingeredet, gegebenenfalls sogar von euch selbst?
Kann es nicht sein dass es einen guten Grund gibt dass ihr mit der auslösenden Situation nicht gut umgehen könnt? Einfach weil es eine Situation ist die man Menschen nicht zumuten sollte? Ich kenne viele solcher Situationen, sei es aus Erfahrung oder durch Erzählungen und ich weiss echt nicht ob es ein guter Weg ist, sich ein dickeres Fell (oft auf Kosten sehr sympathischer Wesenszüge wie eben die erwähnte Empathie) anzutrainieren. Zäumt man da das Pferd nicht von hinten auf? Mich erinnert das an einen „Titanic“ Cartoon in dem das Satire-Magazin als Lösung gegen die Gewalt gegen Immigranten Helme für people of color vorschlug.
Vielleicht ist es sinnvoll einfach mal dazu zu stehen dass eine gewisse Situation im beruflichen Umfeld einen verletzt hat. Ich halte das oft keineswegs für unprofessionell sondern für sehr achtsam, gerade auch im Sinne des Arbeitgebers (und der glücklichen Kühe). Meiner Meinung nach sollte mehr mit den TäterInnen gearbeitet werden anstatt den potentiellen Opfern einzureden sie bräuchten ein dickeres Fell.
Seid sensibel, freundlich, wohlwollend und ehrlich – dann werdet Ihr automatisch nicht zum Täter/zur Täterin und keiner braucht diesen neumodischen seelischen Schutzhelm.
Euer Senf hierzu interessiert mich natürlich sehr – also kommentiert was das Senfglas hergibt. Mehr Senf von mir gibt es hier!
Mehr Sempf und weitere Themen von Johannes‘ bekommt ihr in seinem Podcast „Discöföx“, in dem er zusammen mit Philipp Godart das Weltgeschehen kommentiert. „Schier sein Podcast“ ist schier gut. Weitere Infos findet ihr zudem auf den Websites der Boys:
Jöhännes www.johanneschier.de
Philipps: www.philippgodart.de
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