Zypern liegt so seltsam ab vom europäischen Festland, dass schon der Flug dorthin sich nicht wie ein innereuropäischer anfühlt. Sobald man die Balkan-Staaten auf der Karte hinter sich lässt, taucht das schwarze Meer auf, die Türkei…man hat das Gefühl in der Ferne gar auf die Krisen-gebeutelte Halbinsel Krim sehen zu können. Nicht weit weg tauchen Ländernamen wie Syrien, Irak & Co auf der Karte auf. Unbehagen und gleichzeitig Faszination machen sich breit. Zypern wirkt wie die letzte Bastion des westlichen Europas in einem regelrechten Meer von Krisenherden und hat auch selbst noch mit einer schmerzlichen Vergangenheit zu kämpfen.
Trier / Paphos. Wer in Nikosia, der Hauptstadt Zyperns in einem Lokal sitzt, um den berühmt-berüchtigten zypriotischen Kaffee zu trinken, dem kann passieren, dass sich hinter ihm militärische Sandsäcke mit Stacheldraht auftürmen und sich gleich dahinter ein entmilitarisierte Zone der UN verbirgt. Nikosia ist die letzte geteilte Hauptstadt Europas und gehört zur Hälfte der Republik Zypern und zur anderen Hälfte der Türkischen Republik Nordzypern. Letztere, ein stabilisiertes De-facto-Regime, wird bis heute von nur einem Staat weltweit anerkannt: der Türkei.
Wer sich als Tourist nicht gerade in Nikosia und dem beeindruckenden Gebirge Zyperns aufhält, bekommt von der klaffenden, sich 180 Kilometer quer über die Insel erstreckende Narbe nichts mit, die die Insel bis heute ohne wenn und aber in zwei Hälften teilt. Der Großteil der Touristen brät unter der Sonne an schick herausgeputzten Hotel-Pools und mit Liegen und Schirmen übersäten Badestränden.
Hier bekommt man weder was von der tragischen Teilung einer zusammengehörenden Insel, noch von dem von der Ostspitze Zyperns nur 100 Kilometer entfernten Syrien mit. Bevorzugt englische, russische und deutsche Touristen wanken so in schlafwandlerischer Sicherheit morgens aus ihren Betten zum Frühstücksbuffet, reservieren sich dann ihre Liege am Pool, die sie nachmittags für ein Mittagsschläfchen im Zimmer verlassen, bevor es abends wieder ans reichhaltige Buffet geht – gefüllt mit allem, nur nicht mit zypriotischem Essen. Der Pauschal-Tourismus im Standby-Betrieb wird nicht nur den geopolitischen Besonderheiten auf diesem Flecken Erde nicht gerecht, sondern verhöhnt allgemein die unbändige Schönheit der Insel.
Denn Zypern ist mehr als ein geteiltes Eiland und viel mehr als eine oberflächliche Strandschönheit. Über weite Strecken trifft das Mittelmeer hier auf steinige, felsige Küsten. Karibische Traumstände sind entweder künstlicher Natur oder nicht vorhanden. So putzen die Hotelburgen ihre Strandabschnitte mit exorbitanten Pool-Anlagen heraus und verlassen sich darauf, dass die kräftig zahlenden Gäste ihre vollen All-Inclusive-Bäuche nicht über die Grenzen der Anlage hinaus bewegen. In den Touristengegenden ist das nämlich meist keine gute Idee. Zugemüllte Buchten, dreckige Hinterhöfe und wenig einladende Küstenabschnitte.
Wer die Magie dieser Insel erleben will, muss sich schon ein bisschen bewegen. Die geteilte Hauptstadt Nikosia ist mit ihrer klaffenden Wunde und den elektrisierenden Gegensätzen von griechischer und türkischer Kultur nur eines von unzähligen Beispielen. Vor allem die Natur überschlägt sich auf Zypern geradezu mit traumhaften Kulissen und vielen verborgenen Schätzen. Wer sich auf die Suche begibt, findet weitläufige und noch komplett unberührte Berglandschaften, in denen man tagelang umherstreichen kann ohne auch nur einmal etwas doppelt zu sehen. Die Westspitze Zyperns wird dominiert von einem riesigen zusammenhängenden Naturschutzgebiet, dem Akamas Peninsula National Park.
Hier kann man ausgehend vom Bad der Aphrodite, einem kleinen Höhlenteich in einem botanischen Garten wo der Legende nach die griechische Göttin der Liebe regelmäßig ein Bad nahm, in die unberührte Wildnis wandern. Nach nur wenigen hundert Metern lässt man die meisten Anzeichen der Zivilisation hinter sich und bewegt sich in die atemberaubende Bergwelt der Insel mit immer neuen Panoramen über den tiefblauen Ozean.
Wem es nach etwas mehr Abenteuer zu Mute ist, kann etwas weiter südlich in den Avakas Gorge hineinklettern, einen immer enger werdenden Slot Canyon, bei dem man nach Regenfällen garantiert nasse Füße bekommt. Die Einheimischen, die Touristen hier in die versteckten Naturschönheiten Zyperns führen, können den Pauschal-Tourismus in den weiter südlich liegenden Hotelburgen kaum verstehen: „What’s the point?“, fragt einer der Führer Schulter-zuckend.
Und wenn man aus dem Avakas Gorge wieder herausklettert und man auf eine unberührte Küstenlinie ganz ohne Liegen und Schirme blickt, weiß man ganz genau, was der Mann meint. Hier, wo man einen ganzen unberührten Strand für sich allein hat, wo das Mittelmeer sich scheinbar nur für einen selbst Welle für Welle gegen die Küste wirft, ist die Magie des Orts greifbar, der nicht nur von Krisengebieten umringt ist, sondern auch noch mit der eigenen Krise zu kämpfen hat. Mitten in der betörenden Schönheit der zypriotischen Natur lässt sich kaum verstehen, wieso eine kleine Insel im Mittelmeer ihre längst vergangenen Probleme nicht in den Griff bekommen kann. Aber so lange ist die ähnliche Situation in Deutschland ja auch noch nicht her…
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