Die Demo war angemeldet, die Anzahl der Personen auf zehn limitiert. Auch die Uhrzeit war – in Absprache mit der Trierer Polizei – definiert. Pünktlich um 10.00 Uhr hoben die fünf aus Altrip (südlich von Mannheim) auf private Initiative angereisten fünf syrischen Asylantragsteller ihr Plakat mit der Aufschrift: „Haben Sie uns vergessen? Warum sprechen Sie nicht mit uns?“ hochgehalten und – nach unserem Foto – hinter sich abgestellt. Denn sie haben erzählt, viel erzählt, lange erzählt.
Trier / Altrip. Die Aufnahmeeinrichtung für Asylbegehrende Trier (AfA) hat Aufgaben zu erfüllen, die von Menschen und für Menschen – mit all ihren Stärken und Schwächen – ausgeführt werden.
Dieser einleitende Satz hat Symbolcharakter, denn die von Trier in die Kommunen verteilten Asylbegehrenden warten seit sechs Monaten, um „endlich Leben zu können“. – Dies war ein Satz, der mich nach der Begegnung am gestrigen Tag lange beschäftigte.
Wasim (36 Jahre – auf dem Titelfoto in der Mitte) erzählte mir, dass sie alle hier dem Krieg in ihrem Land entfliehen wollten. Sie waren als junge Männer entweder potentielle Soldaten für das al-Assad-Regime oder den IS. Und als solche hätten sie die erschießen müssen, welche ihre Brüder seien. – „Wir konnten nicht anderes als fliehen, als über Schleuser das Land zu verlassen. Ohne diese wären wir von der türkischen Seite erschossen worden.“
„Ich kenne einige Syrer in Deutschland“, meint Wasim, „und aus diesem Grund habe ich als gelernter Chemietechniker dieses Land ausgewählt. Das erste, was ich in Deutschland gemacht habe, war mir einen Block und einen Stift zu kaufen, um Deutsch zu lernen“.
Doch dann kamen sechs Monate Wartezeit
Sechs lange Monate warten die auf unserem Titelfoto abgebildeten fünf Syrer auf Ihre Anhörung in Trier, um neben einer Anerkennung auch eine Arbeitserlaubnis in der Tasche zu haben.
„Wir wollen endlich Leben“, war nicht einfach so dahergesagt. – Karam (der zweite von rechts), der schon gut sich der deutschen Sprache bedienen kann, zeigt mir sein Handy: „Ich habe mir eine deutsche Grammatik auf mein Handy geladen – so lerne ich Deutsch.“
Doch das Warten macht die Syrier verrückt. – Und da kommt Karl-Ulrich Stahl ins Spiel. Er ist in Altrip als freiwilliger Helfer zum „Vater“ der insgesamt acht ein kleines Häuschen bewohnenden Syrier geworden. „Wegen meinem Alter und vor allem wegen meinem grauen Bart“, lächelt der engagierte Straßenbahnfahrer und mit einem mehr als großen Herzen ausgestattete „Rentner“.
Ein Rentner, der sich der Gruppe von Syriern angenommen hat, der diesen – um die Wartezeit zu überbrücken – Praktikumsstellen besorgt hat. – „Wenn Sie nur warten, kommen sie auf dumme Ideen.“, höre ich von ihm. Und mit den Syriern vor mir sprechend, kann ich nicht anders als ganz einfache mit ihnen folgende Information zu teilen: „Wir haben wie jeder Mensch unsere Träume: einen Job, eine Bleibe, eine Familie. Diese Träume gelten, solange Frieden herrscht. Der Krieg hat uns vertrieben, doch unsere Träume haben wir noch. Jetzt ist Deutschland das Land unserer Träume. Nur, solange wir keine Papiere haben, welken diese Träume, verlieren wir die Hoffnung. Sechs Monate sind zu viel. Sechs Monate in denen wir – auf unsere Kosten – mehrmals nach Trier gekommen sind und wieder zurück geschickt wurden. Sechs Monate, in denen wir Einschreiben hierher geschickt haben, Herr Stahl mit seiner Geduld, hier angerufen hat, E-Mails geschrieben wurden, ohne Erfolg“, höre ich von der Gruppe.
Und dann steht da ein Countdown im Raum
„Die Papiere werden gesichtet“, höre ich Karl-Ulrich Stahl die Ringbücher mit den Ausweiskopien, den Papieren und – sofern vorhanden – Zeugnissen von der Gruppe übernehmen. – Vor allem ist Wasim geradezu übernervös in Bezug auf seine Anhörung und seine Erlaubnis: am 19. März darf seine Frau mit seinen zwei Kindern in der Türkei die Deutsche Botschaft aufsuchen darf und – sofern Wasim eine Aufenthaltserlaubnis vorweisen kann – nach Deutschland weiterreisen. „Sollte das scheitern“, erfahre ich von Karl-Ulrich Stahl, „besteht die nächste Möglichkeit erst wieder in anderthalb Jahren“. – Und Wasim zeigt mir die Fotos seiner Kinder auf dem Handy.
Es sind Menschen, die nach Deutschland kommen
Ohne Zweifel sind es Menschen, die nach Deutschland kommen. Menschen, die tatsächlich Krieg erlebt haben, die Bilder von IS-Exekutionen ihrer Nachbarn oder gar ihrer Familie nicht mehr aus ihrem Kopf löschen können. „Wir können uns das nicht vorstellen, wir haben über siebzig Jahre Frieden. Aber wenn Du zuschauen musst, wie andere vor Deinen Augen exekutiert werden, wenn Deine Wohnung, Dein Haus, Deine Familie mit Bomben, Kranaten und Maschinengewehrsalven beschossen wird, dann prägt sich dies ein,“ erzählt Karl-Ulrich Stahl. – „Wir waren in Technikmuseum in Mannheim. Als ein Hubschraubergeräusch ertönte floh Amer [, der Bruder von Wasim – auf dem Titelfoto ganz links] und versteckte sich unter einem LKW.“
Es sind Menschen, die in Deutschland arbeiten wollen
„Amer und sein Bruder Wasim lieben den Fußball – da leuchten geradezu ihre Augen“ erklärt Karl-Ulrich Steil: „Ich konnte sie in unseren Sportverein vermitteln“. Und gefragt erklärt mir Amer (24 Jahre), dass er an der Universität Handelskaufmann studiert hat. Adel (der zweite von links, dessen Frau und zwei Kinder bereits in Deutschland sind) ist mit seinen 32 Jahren gelernter Schuster. Karam (23 Jahre, der zweite von rechts) kommt zwar aus dem IT-Bereich, will aber Krankenpfleger werden. Und Yasser (27 Jahre) hat bereits bei einem Praktikum das fortsetzen können, was er in seinem Land gut konnte: Obst verkaufen.
Ein gutes Ende der Demo in Trier
Am Ende – nach etwa eineinhalb Stunden, die mit dem Kennenlernen und dem Rundreichen von getrockneten Pflaumen ganz kurz wurden – kommt Karl-Ulrich Stahl mit zwei Schreiben zur Anhörung von Wasim und Amer. – Und dem Versprechen, dass die anderen unmittelbar bearbeitet wurden.
Wasim kommen Tränen, denn ein Ufer erscheint am Ende der sechs Monate Wartezeit. Ein Ufer, das seine Frau und seine Kinder wieder zu Ihm bringt. – Karl-Ulrich Stahl wird ihn auch zu der Anhörung begleiten und sicherlich werden alle von ihm betreuten Syrier am kommenden Wochenende zu einem Essen geladen werden. – Erfolgsmeldungen sind immer ein Grund zum Feiern! – Und bei der Rückfahrt von Trier nach Altrip erhalte ich einen kurzen Anruf: „Wasim wird jetzt noch intensiver Deutsch lernen, jetzt hat er wieder Hoffnung!“
Foto: C. Maisenbacher
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