Zu geringe Reichweite, lange Ladezeiten, unpraktisch, zu wenige Ladestationen. Die Liste der Vorurteile gegen Elektroautos ist lang. Aber wie weit kommt man wirklich mit einem elektrischen Auto, das auch noch semiautonom fahren kann? Eine Testfahrt mit dem Tesla Model X und ein Rückblick auf die Situation im Jahr 2012.
„Mein“ erstes Elektroauto hatte ich bereits vor sechs Jahren. Ich war Praktikant bei einem großen Medienunternehmen im Trierer Umland, das bereits über einen Citroën C-Zero inklusive Ladesäule verfügte. Ich nervte meinen Chef so lange, bis er mich ein paar Runden mit dem C-Zero drehen ließ. Von den Reifen bis zum mit lieblosen Hartplastik verkleideten Innenraum war an dem Auto alles klein. Da der Wagen seine Leistung von 49 kW, die in etwa 66 PS entsprechen, im Gegensatz zu einem Verbrennungsmotor direkt und ohne Verzögerung auf die Straße brachte, lies sich der Franzose wie ein Go-Kart agil durch die Stadt steuern. Nur auf der Autobahn wurde es problematisch, da der Citroën nicht schneller als 110 km/h fahren konnte und sich als extrem windanfällig erwies. Das größte Problem bestand darin, dass es 2012 noch keine Ladeinfrastruktur für Elektroautos in Trier gab. Jede Fahrt musste also vorausschauend geplant werden, auch Heizung und Klimaanlage blieben ausgeschaltet, da dieser Komfort sich massiv auf die Reichweite auswirkte. So kam ich mit einer Ladung etwa 60 Kilometer weit. Trotz der Probleme war ich begeistert von dem Kleinstwagen und hätte mir einen zugelegt, wenn der Neupreis nicht bei 30.000 Euro gelegen hätte. Mit einem unbezahlten Praktikum ließ sich diese Summe logischerweise nicht auftreiben.
Mit dem Autopilot über die Autobahn
Das Tesla Model X, vor dem ich sechs Jahre später in Kaiserslautern stehe, hat mit allem etwas zu tun. Nur nicht mit einem Go-Kart. Es ist riesig und wirkt mit seinen Flügeltüren wie eine Kreuzung aus Raumschiff und real gewordenem Computerspiel. Der Innenraum, der Platz für sieben Personen bietet, wird von einem großen Touchscreen dominiert, über den sich das gesamte Auto steuern lässt. Im Gegensatz zu deutschen Oberklassefahrzeugen, deren Cockpits immer mit einer unübersichtlichen Vielzahl von Druck- und Drehknöpfen ausgestattet sind, lässt sich der Tesla erstaunlich intuitiv und ohne dreistündige Einweisung durch einen Experten bedienen. Sitze, Spiegel, Radio, Federung und Heizung sind schnell eingestellt. Startknopf oder Zündschloss gibt es nicht, mit einem Druck auf das Bremspedal schließen sich alle Türen von Geisterhand, ich lege mit einem Hebel an der rechten Seite des Lenkrads den Vorwärtsgang ein und fahre fast geräuschlos in Richtung der Autobahn nach Trier, lediglich das Abrollgeräusch der Reifen und ein elektrisches Surren beim Beschleunigen sind zu hören. Um die Reichweite muss ich mir keine Gedanken machen. Der Tesla ist zwar nicht voll aufgeladen und ich habe sämtliche Komfortfunktionen (Heizung, Sitzheizung, Radio) aktiviert, trotzdem reicht die Energie für 200 Kilometer. Zur Not sucht das Navigationssystem automatisch den nächsten Ladepunkt.
Dank der 244kW (332PS), die der Tesla allradgetrieben und ohne Verzögerung mit drei Elektromotoren auf die Straße bringt, merke ich nicht, dass ich mit meinem rechten Fuß knapp 2,5 Tonnen Menschen und Material bewege. Die Federung schluckt Unebenheiten weg und wegen des nicht vorhandenen Motorengeräuschs und der hohen Sitzposition habe ich das Gefühl über die Straße zu fliegen.
Auf der Autobahn angekommen, ziehe ich einen kleinen Hebel, der links neben dem Lenkrad angebracht ist, zweimal zu mir heran aktiviere den Autopiloten. Der Autopilot ermöglicht aktuell semiautonomes fahren, das Fahrzeug ist aber so ausgestattet, dass es nach einem Softwareupdate völlig alleine und ohne menschliche Unterstützung fahren kann. Aktuell hält der Autopilot die zuverlässig die Spur und sorgt für genügend Abstand zum Vordermann. Eine Autobahnfahrt lässt sich so ohne großes Eingreifen absolvieren. Die Hände muss man hin und wieder an das Steuer legen, damit das Auto merkt, dass man nicht eingeschlafen ist.
Bei Baustellen und an Verengungen der Fahrbahn muss der Fahrer allerdings noch eingreifen, deshalb sollte man die Straße noch immer mit Aufmerksamkeit beachten, auch wenn man mit Autopilot fährt. Berührt man das Lenkrad nicht häufig genug oder reagiert nicht auf eine erkannte Gefahrenstelle, bremst der Tesla. Das Fahrgefühl lässt sich sicherlich wortreich umschreiben. Kurzgefasst lässt sich aber sagen, dass der Autopilot funktioniert, man aber trotzdem aufmerksam den Straßenverkehr beobachten muss. Ein bleibender Eindruck bleibt für mich das Gefühl, als das Auto zum ersten Mal mit 140 km/h auf eine Kurve zusteuerte und ich keine Hände am Lenkrad hatte.
Neben dem Autopiloten bietet der Tesla noch alle erdenklichen Spielzeuge. Da der Wagen auch ohne ein eigenes Handy mit dem Internet verbunden ist, kann man über den Touchscreen in der Mittelkonsole im Internet surfen, das Display als Malpad nutzen und viele verstecke Funktionen finen. Die einstündige Fahrt von Kaiserslautern nach Trier verging wie im Fluge.
Auf dem Alleenring fuhr ich noch ein wenig mit Unterstützung des Autopiloten, gab das Steuer wegen der dichten Verkehrssituation aber nicht aus der Hand. Der Tesla kann zum Beispiel noch keine roten Ampeln erkennen, hängt man sich aber hinter einen Vordermann, der an einer Ampel bremst, tut ihm der Tesla dies gleich und fährt wieder los, wenn das vordere Auto losfährt. Der Abstand zum Vordermann wird zuverlässig automatisch eingehalten.
Rathaus statt Blaue Lagune
Zeit zum Laden. Ich habe zwar noch 93km Reichweite, möchte aber das städtische Ladesystem ausprobieren. Vorbei an der als „Blaue Lagune“ berühnt gewordenen ARAL-Tankstelle in Richtung Innenstadt, wo es weder Benzin- noch Spätkaufmöglichkeiten, aber mehrere Lademöglichkeiten gibt. Da die Parkplätze an der Ladesäule vor der Konstantinbasilika von normalen Autos blockiert werden, fahre ich weiter zum Rathaus, parke den Tesla an der dortigen Ladesäule. Hinter mir röhrt ein Lamborghini mit nach Aufmerksamkeit bettelnder hoher Drehzahl am Viehmarkt vorbei. Krach machen kann der Tesla mangels Auspuffanlage nicht, aber Aufmerksamkeit erregen ist mit dem Auto einfach. Sobald man hinter das Steuer steigt oder aus dem Auto heraus klettert, wird man praktisch zum Markenbotschafter für Tesla. Bereits auf der Autobahn zog der SUV viele neugierige Blicke aus vorbeifahrenden Autos auf sich.
Kurz nachdem ich den Wagen vor dem Rathaus geparkt habe, ist er von einer Gruppe Schaulustiger umgeben, die interessiert Fragen stellen, während ich das Ladekabel aus dem Kofferraum hole. Bevor ich das Auto anstöpsele, muss ich die Ladesäule aktivieren. Hier gibt es zwei Optionen. Zum einen lässt sich die Säule mit einer Chipkarte aktivieren, die ich allerdings nicht besitze. Ich wähle die zweite Option und aktiviere die Säule über das Internetportal ladenetz.de. Für das Laden ist eine Grundgebühr von 3,50€ fällig, die erste Stunde ist kostenlos, die zweite Stunde am Stecker kostet zusätzliche 3,50€. Ich zahle 7€ via Paypal und verbinde unter ständiger Beobachtung der Schaulustigen den Tesla mit der Ladesäule.
Leider erweisen sich die städtischen Ladestationen als ziemlich lahm. Eine Stunde Laden an der Station bringt nur 36 Kilometer neue Reichweite. Zusätzlich besteht bei ladenetz.de nicht die Möglichkeit, dass weitere Ladezeit hinzugebucht werden kann, sobald das Auto einmal eingestöpselt und die gebuchte Zeit abgelaufen ist. Für weitere Ladezeit nach meinen zwei Stunden hätte ich zum Auto laufen, es ausstecken, erneut die Grundgebühr zahlen und den Rest des Ladevorgangs wiederholen müssen. Nach Informationen auf der Homepage von Ladentetz gibt es auch die Möglichkeit zum schnelleren Laden gegen Aufpreis, diese lässt sich über ladenetz.de allerdings nicht buchen. Die Hotline der Stadtwerke kann auch nicht weiterhelfen. Ich packe das Ladekabel und meine Mitfahrer ein und fahre weiter.
Grundsätzlich ist das Trierer Ladenetz gut ausgebaut. Nur bei der Benutzerfreundlichkeit muss noch nachgebessert werden. So sollte die Webseite von Ladenetz intuitiver werden, damit Ladezeiten nachgebucht und Schnelllademöglichkeiten, die beworben werden, auch genutzt werden können. Hätte ich den Tesla „volltanken“ wollen, hätte ich ihn fast sieben Stunden vor dem Rathaus parken müssen. Das geht aber auch schneller.
Zum Tanken Laden nach Luxemburg
Tesla bietet mit den „Superchargern“ auch ein eigenes Ladenetz an, das weltweit so ausgebaut wird, dass man auf Autobahnfahrten seinen Tesla innerhalb von 40 Minuten soweit aufladen kann, dass man von einem zum nächsten Supercharger kommt und so lange Strecken kofortabel zurücklegen kann. Mit 59 Standorten ist das Netz in Deutschland schon relativ gut ausgebaut. Der von Trier aus nächstgelegene Supercharger befindet sich in Münsbach, Luxemburg. So werde ich am Abend des Tages zum Ladetouristen.
Nach einer halben Stunde „fahren“ auf der Autobahn – der Autopilot übernahm fast wieder sämtliche Arbeit – komme ich mit 70 Kilometern Restreichweite am Supercharger an, der sich auf dem Parkplatz eines Hotels befindet. Der Ladevorgang ist denkbar einfach. Am Supercharger selbst ist ein Kabel befestigt, das ich in den Tesla stecke. Der Ladevorgang startet und ich gehe mit meiner Begleitung einen Kaffee trinken. Eine Stunde Ladezeit bringt dem Tesla am Supercharger bis zu 400 Kilometer Reichweite. So kommen wir nach 45 Minuten zu dem fast vollständig geladen Fahrzeug zurück, ziehen den Stecker und fahren nach Hause. Gekostet hat der Ladevorgang nichts, da alle Tesla Model X und S, die vor dem 15. Januar 2017 bestellt worden sind, an den Superchargern gratis aufgeladen werden können.
Fazit
Das Tesla Model X ist ein phänomenales Auto, da es drei Dinge beweist. 1. Mit einem Elektroauto lassen sich ohne Probleme weite Strecken zurücklegen, ohne dass an Fahrkomfort eingebüßt werden muss. 2. Der Ladevorgang kann schnell, einfach und benutzerfreundlich durchgeführt werden, wenn die Bedinungen dafür existieren. 3. Autos können intuitiv sein und sich der Zeit anpassen. So lädt der Tesla Aktualisierungen, die neue Funktionen beinhalten, automatisch aus dem Internet. Bei konventionellen Autos, auch im Premiumsegment, geht das meistens nicht.
Einzig problematisch ist der Preis des Tesla. Ohne Vergünstigungen hat das gefahrene Modell einen Neupreis von über 115.000 Euro. Aber jede neue Technologie hat am Anfang ihren Preis und wird mit der Zeit günstiger. So ist der anfangs erwähnte Citroën mittlerweile ab 21.800 Euro zu haben. Der Preis ist in den letzten sechs Jahren also stark gefallen. Mit den vielen neuen Herstellern, die aktuell auf den Elektroautomarkt drängen, ist also zu erwarten, dass die Preise noch weiter sinken. Auch Tesla führt mit dem Model 3 aktuell ein Modell ein, das mit einem Preis ab circa 32.000 Euro in den vergleichsweise bezahlbaren Bereich rückt. Wir dürfen auf die nächsten 6 Jahre und die Zeit danach gespannt sein und hoffen, dass auch die Ladeinfrastruktur sich weiterentwickelt.
Ein herzliches Dankeschön gilt der MoD Holding GmbH, die den Tesla zur Verfügung gestellt hat. Mehr Infos über das Startup aus Kaiserslautern gibt es unter
mobility-on-demand.com
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Motivation ist wichtiger als Erfahrung!
cspirit meint
„das Fahrzeug ist aber so ausgestattet, dass es nach einem Softwareupdate völlig alleine und ohne menschliche Unterstützung fahren kann“
Schön wär’s. Nachdem Tesla dieses Software-Update schon seit 2016 mehrmals angekündigt und verschoben hat, ist mittlerweile in jedem Fall auch noch ein Hardware-Upgrade vonnöten, und selbst dann kann das Auto noch bei weitem nicht ohne Aufsicht des Fahrers fahren.
Mittlerweile ist man mit einem Auto der deutschen Hersteller, z.B. Mercedes oder Audi, in Punkto Autopilot besser bedient. Diese können zwar auch nicht mehr als der Autopilot von Tesla, haben aber wenigstens die ganzen tödlichen Unfälle von Tesla nicht gehabt.