Gerade mal ein Jahr ist es her, dass Netflix mit der Serien-Verfilmung des Jugendromans „Thirteen Reasons Why“ des US-Schriftstellers Jay Asher einen viel diskutierten Hit landete. Auch bei 5vier haben wir damals über den Hype berichtet: Suizid in Serie? – Tote Mädchen lügen nicht. Nun ist die zweite Staffel seit knapp 2 Wochen online abrufbar, zu der es eigentlich weder Roman-Vorlage, noch Daseinsberechtigung gibt. Wir haben uns das abermals auf viele Tabuthemen zurückgreifende Stück moderner Popkultur vorgenommen.
Achtung, wer Staffel 1 noch nicht kennt, wird hier zumindest grob etwas über den Inhalt erfahren. Allzu große Spoiler versuchen wir zu vermeiden.
Der Selbstmord der jungen Schülerin Hannah Baker war der Dreh- und Angelpunkt der ersten Staffel von „Tote Mädchen lügen nicht“, der durch von ihr aufgenommene Tapes für Freund und Feind rückblickend aufgearbeitet wurde. Das funktionierte gut und war ein in sich geschlossener Handlungsbogen mit einem verstörenden Finale: dem Selbstmord eines Mädchens, dass durch Mobbing und Vergewaltigung zu dieser dramatischen Handlung getrieben wurde. Staffel 1 lässt nur wenig offen und benötigt eigentlich kein Sequel. Doch so funktioniert die Filmindustrie natürlich nicht – neue Streaming-Dienste hin oder her. Wenn ein Produkt einschlägt, ist es nur nahe liegend, dass die Geschichte weitergesponnen wird, auch wenn dort gar nichts mehr weiterzuspinnen ist.
Und letztendlich funktioniert die zweite Staffel von „Tote Mädchen lügen nicht“ genauso. Es wird weiter erzählt, wo eigentlich schon alles erzählt ist. Statt die Geschichte weiterzuspinnen und andere Charaktere in den Fokus zu nehmen, die ähnlich wie Hannah in Staffel 1 auf ein drastisches Ende zu steuern, füllt man Lücken in Hannahs Leben im Rahmen der Gerichtsverhandlungen um den Selbstmord mit neuen Geschichten. Dabei werden Lücken gefüllt, von denen man am Ende der ersten Staffel gar nichts wusste. Der Charakter Hannah Baker funktionierte genauso ohne diese Informationen bzw. im Endeffekt sogar besser. Eigentlich schadet die zweite Staffel Hannah Baker mehr, als das sie Licht ins Dunkel bringt, indem sie ein sehr fragwürdiges Bild von ihrem Charakter wirft, ihn mit Männergeschichten unnötig aufbläst und am Ende kurz die Richtung wechselt, um noch einen ganz üblen #metoo-Kommentar rauszuhauen der die gesamte männliche Welt nicht nur als potenzielle, sondern aktive Sexualstraftäter beschuldigt.
Das alles passiert noch vor dem eigentlichen Staffelende. War der Suizid das Tabu-Thema der ersten Staffel, beherrscht er zwar auch große Teile der neuen Season, bekommt aber am Ende Gesellschaft von einem neuen Themenkomplex, der gerade in den USA aktueller denn je ist: Amoklauf. Das dieses Thema ein noch viel heißeres Eisen ist, steht natürlich außer Frage. Umso sträflicher ist der Fakt, dass man es hier nur am Ende anreißt, als es in aller Tiefe zu behandeln und zum Dreh- und Angelpunkt der Staffel zu machen. So wirkt es wie ein schnell nachgeschobener Kommentar zu einer innenpolitischen Diskussion. Man kann sich sicherlich darüber streiten, ob eine Unterhaltungsserie der richtige Ort für so etwas ist, aber vielleicht ist es an der Zeit, dass man auch in der Popkultur offen und ehrlich über diese sich viel zu oft wiederholenden Tragödien spricht. „Tote Mädchen lügen nicht“ wäre hierfür vielleicht die perfekte Plattform gewesen, die es hätte schaffen können, diese Thematik angemessen zu behandeln, ohne eine solche Tat visuell zu verherrlichen und gleichzeitig die lange nötigen Diskussionen noch weiter anzukurbeln. Im vorliegenden Fall funktioniert das leider überhaupt nicht und setzt auf eine schwache Staffel einen noch schwächeren Schlusspunkt.
So bleibt die Fortsetzung einer eigentlich zu Ende erzählten Geschichte, die offensichtlich relevant sein will und dabei umso heftiger auf die Nase fällt. Handwerklich kann man der Produktion dabei nicht mal etwas vorwerfen. Der Cast spielt über weite Strecken gut bis umwerfend, die technische Umsetzung stimmt, die Musik ist wieder ähnlich gut wie in der ersten Staffel. Aber all das ist nichts wert, wenn die Geschichte nicht funktioniert. „Story is king!“, heißt es in Drehbuchautoren-Kreisen und das wurde hier definitiv mehr schlecht als recht berücksichtigt. Bleibt nur zu hoffen, dass nicht noch eine dritte Staffel hinterher geschoben wird, die dann noch weniger zu erzählen hat.
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