Seit vielen Jahrzehnten ist der Hambacher Forst Symbol des Widerstands. Es gibt zwei Lager, die sich unversöhnlich gegenüberstehen. Die RWE AG betreibt dort Braunkohleabbau – Arbeitsplätze und Energieversorgungssicherheit für die einen, Klimawandel und nur auf Profit bedachten Kapitalismus für die anderen. Seit 2012 ist der der noch übrige Wald besetzt und somit medial europaweit bekannt geworden. Mittlerweile ist er jedoch etwas von der Bildfläche verschwunden, die Aufmerksamkeit liegt jetzt bei Fridays for Future als Zeichen des Protests. Allerdings hat sich die Lage dort nicht beruhigt. 5vier.de hat eine Person aus der Region Trier besucht, die im Hambacher Forst aktiv ist.
Trier/Morschenich. Wunderschön ist es im Hambacher Forst, wenn man an einem sonnigen Samstag hindurch spaziert. Allerdings kann man nicht behaupten, an der freien Natur zu sein. Zum einen sind auf den Wegen Barrikaden, an denen man sich vorbei schlängeln muss. Auch an den Bäumen hängen Schilder und Tafeln, die von den Besetzern angebracht wurden. Zum anderen endet man irgendwann an einer Grenze, hinter der riesige Bagger Kohle abbauen. Diese technisch faszinierenden Ungetüme in einem riesigen Loch, das an eine Mondlandschaft erinnert, sind Zeichen für eines der kontroversesten Themen in unserer Gesellschaft. Rechtsstaatliche Prinzipien gegen die Zukunft unserer Lebensgrundlagen. Zwei Dinge, die man eigentlich nicht gegeneinander ausspielen möchte.
Gesetze oder ziviler Ungehorsam?
Allerdings scheint es in diesem Fall nicht anders zu gehen. Für die Menschen, die sich im beziehungsweise um den Wald versammelt haben, dürfte die Antwort klar sein, welche Priorität es geben sollte. Beim Spazieren kommen wir mit Menschen ins Gespräch. Natürlich sei es schwierig gegen Gesetze zu verstoßen. Doch manche Gesetze müssten nun mal überdacht werden. Das wäre in der Vergangenheit (Homosexualität, Vergewaltigung in der Ehe usw.) auch so gewesen. Viel wichtiger sei doch die Erhaltung der Lebensgrundlagen. Wenn diese zerstört würden, bräuchte man auch keine Gesetze mehr.
Unterstützung für die Besetzer im Hambacher Forst
Ein Mann schaufelt gerade fleißig an einem Weg. Er sei kein Besetzer, er wohne nur in der Gegend und unterstütze das Vorhaben der Klimaaktivisten. RWE habe zusammen mit der Polizei hier Einiges kaputt gemacht. Offiziell haben sie Waldfremdes entfernen müssen. Aus seiner Sicht wäre es Schikane gewesen, Vieles hätten sie dort liegen lassen.
Ein Anderer bringt gerade Lebensmittel von der Mahnwache zum Kochplatz. An Essen fehle es nicht, es gebe viele Spenden. Tofu gäbe es tonnenweise, er könne es kaum noch sehen, man ernähre sich nur vegan. Er sei KFZ-Mechaniker, bietet uns an unentgeltlich am Auto rumzuschrauben. Außerdem arbeite er gerade an einem Pumpsystem, damit weniger Autobatterien genutzt werden müssen. Auf dem Parkplatz neben dem Camp sieht man Kennzeichen aus ganz Europa.
Menschen aus der Region Trier und ganz Europa im Hambacher Forst aktiv
Wir treffen im Hambacher Forst eine Person aus der Region Trier, die zu den Aktivisten gehört. Sie möchte unerkannt bleiben, weshalb sie weder das Alter, das Geschlecht, den persönlichen und beruflichen Werdegang, noch ihren Heimatort im Bericht lesen möchte. Wir nennen hier die Person Kim.
Die Meisten halten es so mit der Anonymität. Es wird sich mit Kosenamen angesprochen, Einige laufen trotz Hitze vermummt rum. Warum, fragen wir Kim: „Es ist ganz einfach, wir tun das zur Repressionsvorsorge. Die Gründe können aber total variieren. Manche vermummen sich durchgehend, zum Beispiel als Zeichen der Solidarität zu anarchistischen Gruppen in Mexiko. Und Viele möchten einfach nicht von Kameras gefilmt werden.“ Die Polizei ist allgegenwärtig, auch in vermeintlich ruhigeren Zeiten. Immer wieder fahren Busse langsam auf den Wegen um die Camps, ob sie Kameras auf den Dächern haben ist aus der Distanz nur zu erahnen.
Doch die Vermummung ist nicht nur ein Werkzeug zur Gesetzesuntreue: „Für mich ist der soziale Aspekt entscheidend. Es interessiert hier Niemanden wo du herkommst, ob du hübsch bist, Mann oder Frau.“ Eine homogene Gruppe sei man allerdings überhaupt nicht. Die Motivationen, Hintergründe, politischen Einstellungen seien viel unterschiedlicher, als es oft dargestellt würde. Bezeichnungen wie „die Linksradikalen“ oder „die Ökoterroristen“ führten ins Leere, es gäbe keinen Konsens. Jeder sei als Individuum hier, daher könnte das für Einige zutreffen, für Andere nicht. Kim selbst kann mit Begriffen „links“ und „rechts“ nicht viel anfangen. Kritiker werfen den Aktivisten vor, Gewalttätige gewähren zu lassen.
Der „Hambi“ ist schon längst ein Politikum
Kim lebt über längere Zeiträume im Jahr im Hambacher Forst. Viele leben auf einem Stück Wiese, die ein privater Unterstützer zur Verfügung stellt. Doch es gibt auch die Waldbesetzer in ihren Baumhäusern, deren Räumungen eine Menge Aufmerksamkeit mit sich brachten. Es war der größte Polizeieinsatz in der Geschichte Nordrhein-Westfalens. Diese Personen befinden sich auf RWE-Gelände und somit unrechtmäßig dort. Auch an anderer Stelle campieren Menschen auf Gebieten des DAX-Konzerns.
Wir unterhalten uns an der „Kante“, eine Erhebung kurz vor der 30 Quadratkilometer großen Grube. Kontrollfahrzeuge fahren hier entlang, wenn sich Menschen hier hin „verirren“. Man wird gefragt was man hier so tue. Die Mitarbeiter treten freundlich auf, ihre Präsenz wirkt dennoch abschreckend – was vermutlich genau das Ziel ist. Nach einem kurzen Dialog lassen sie uns wieder alleine. Währenddessen ist der riesige Bagger durchgehend in Betrieb. Ein faszinierender Anblick, wie auch Kim eingesteht. „Das ist schon abgefahren, gerade jetzt in so wunderbarem Licht. Wenn der nicht so schreckliche Dinge tun würde…“
Worum geht es überhaupt im Hambacher Forst? Bis Ende 2018 wollte RWE den Wald roden, um weiter Braunkohle fördern zu können. Das Oberverwaltungsgericht Münster stoppte die Planung. Durch den massiven Protest auch in der Zivilbevölkerung erwirkte Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Armin Laschet zur Befriedung ein Moratorium bis 2020. Ein neuer Weg in der Politik, haben sowohl die rot-grüne als auch die schwarz-gelbe Regierung 2016 und 2017 sich aufgrund der Notwendigkeit der Energieversorgung für den weiteren Abbau stark gemacht.
Kritik an den Regierungen
Demnach sollte Laschet und seine CDU doch auf Gegenliebe bei den Aktivisten im Hambacher Forst stoßen, oder? „Armin Laschet beruft sich immer auf die Vorgängerregierung. Auch wenn erstmal nicht gerodet werden darf, es wird weiter Kohle gefördert und das Grundwasser wird weiter abgepumpt. Das ist von dem Rodungsstopp überhaupt nicht betroffen. Es geht weniger um den Umgang mit uns, sondern um den Umgang mit dem Wald“, so Kim. Das Grundwasser wurde seit Beginn der Rodung in den 70er Jahren um fast 500 Meter gesenkt. Das Moratorium ist zudem nicht garantiert, das hat ein Kölner Gericht entschieden.
Apropos Gerichte: Es gibt mittlerweile viele Urteile, es ist schwer die Übersicht zu behalten. Mal werden die Verträge von RWE bestätigt, mal werden die Demonstrationsrechte gestärkt. Fakt ist, dass man durch die Besetzung auf RWE-Gelände sich nicht an Recht und Gesetz hält. Kim setzt das in Relation: „Wie viele Abkommen, zum Beispiel das Pariser Klimaabkommen, werden verfehlt? Da wird sich auch nicht an Recht und Gesetz gehalten.“
Wie kann es weiter gehen?
Der Hambacher Forst ist ein Symbol. Der Wald selber wurde zu „etwa 90 % „unwiederbringlich vernichtet“. Was will man da noch mit dem Rest? Der Schaden ist längst begangen. Also muss man sich fragen, wie kann sich die Situation entwickeln, dass die Besetzer ihre Zelte (und Baumhäuser) abbrechen? Gar nicht so leicht zu beantworten, findet Kim, zu desillusioniert sei man.
„Man kann auf mehreren Ebenen antworten. Wenn der Wald zu einem Naturschutzgebiet gemacht und RWE entzogen würde, sodass klar ist, dass keine Braunkohle mehr gefördert wird, wäre das ein wichtiger Schritt. Ein anderer Aspekt ist, dass der Kohleausstieg vorgezogen wird. Bis 2038 kann es nicht ohne Folgen so weiter gehen. Zum Glück gibt es immer mehr Bewegungen die das genauso sehen. Außerdem werden hier rundherum die Dörfer abgerissen. Da braucht es ein komplettes Umdenken in der Politik.“
Unversöhnliche Ansichten
RWE sieht das indes natürlich anders. Neben der Sicherstellung der Versorgungssicherheit und den Erhalt von Arbeitsplätzen sei eine ganze Schließung „finanziell, ökologisch, technisch und logistisch [eine zu große] Herausforderung.“ Außerdem will man die Förderflächen rekultivieren.
Dieser Vorschlag zieht nicht bei den Aktivisten. Ein Kompromiss scheint unmöglich. Man kann sich also darauf einstellen, dass der Konflikt noch für eine lange Zeit bestehen bleiben wird. So lange wird Kim wohl noch weiter neben dem Hambacher Forst leben.
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