Der amerikanische Komponist Angelo Badalamenti, hauptsächlich bekannt durch seine musikalische Untermalung von David-Lynch Projekten, ist am 11. Dezember verstorben. Nach Angaben seiner Familie ist er eines natürlichen Todes erlegen. Der Komponist ist damit 85 Jahre alt geworden. Besonders durch die Vertonung der Lynch-Serie „Twin Peaks“ hat Badalamenti Bekanntheit erlangt und Immersion für die Serie erzeugt. Ein geeigneter Augenblick, um auf das Werk zurückzublicken. Und eventuell auch zum ersten Mal zu entdecken.
Twin Peaks: Absurde Darstellung vom Kleinstadt/Dorfleben
Die Serie Twin Peaks ist nicht jedem ein Begriff. Denn die Veröffentlichung der ersten zwei Staffeln erfolgte von 1990-91. Mehrere Jahrzehnte sind vergangen, seitdem die Serie zu ihren Hochzeiten ausgestrahlt wurde.
Als Leitthema der Serie dient der Mord von Laura Palmer. Der Ruf der 17-jährigen scheint makellos zu sein. Wo sollte also das Motiv hinter einem Mord liegen? Um das Mysterium hinter der Tat zu lösen, wird FBI-Agent Dale Cooper beauftragt. Die Lösung des Falls gestaltet sich schwerer als gedacht: Neben Krimielementen mischen sich übernatürliche Ereignisse in den Verlauf der Ermittlungen. In diese Mixtur fügen sich auch überspitzte Seifenoper-Stilmittel ein. Damit parodiert die Serie den Senderplan zur damaligen Zeit, welcher voller Seifenopern war. Was noch komischer ist: Auf dem Papier sollten diese Elemente nicht miteinander harmonieren. Allerdings fügen sich die gegensätzlichen Elemente zu einem passenden Gesamtbild zusammen. So akzeptiert man wie Cooper schnell, dass Absurdes geschieht und man dementsprechend unkonventionell ermitteln muss.
Der Soundtrack von Badalamenti sorgt für zusätzliche Immersion: Die Intro-Sequenz der Serie unterlegt mit dem „Twin Peaks Theme“ ist mittlerweile ikonisch geworden. Schnell kann man aus diesen wenigen Sekunden das Leben in Twin Peaks nachvollziehen: Verschlafen, herzlich, aber auch mysteriös.
Die zweite Staffel und deren Nachwirkung
Mit der Veröffentlichung der ersten Staffel konnte die Serie sich als Publikums- und Kritikerliebling herausstellen. Die erste Staffel ist mit acht Folgen kompakt gehalten. Schwierig wurde es dann bei der zweiten Staffel: Ganze zweiundzwanzig Folgen wurden gedreht. Neben der schieren Masse gab es auch Probleme in der Exekution. Lynch ist mit der zweiten Staffel unzufrieden. Durch Druck vom Netzwerk ABC wurde die Auflösung des Mordmysteriums gefordert. Die Identität des Mörders wurde von Lynch bis dato immer vage gehalten: Zuschauer sollten sich selbst erschließen, wer als Mörder in Frage kommen könnte. Eine Antwort auf die Frage nach dem Mörder von Laura Palmer wurde in der zweiten Staffel geliefert, was zu einem Identitätsverlust der Serie führte. Das Grundgerüst der Serie, gestützt durch die Mordermittlungen, begann zu wackeln.
Scheinbar ziellos wurden Nebengeschichten für Charaktere eingeführt, um das Weiterlaufen der Serie zu rechtfertigen. Bei Zuschauern wurde der Qualitätsabfall deutlich und die Zuschauerzahlen sanken. Die Abwesenheit von Lynch ist spürbar: Von ihm wurden lediglich die ersten zwei Folgen der zweiten Staffel und das Finale gedreht. Die Serie bekam vorerst keine Fortsetzung, allerdings ergänzte Lynch in einer anderen Form mit neuem Material. 1992 erschien der Film „Twin Peaks: Fire Walk with Me“, der sich mit dem Leben von Laura Palmer vor den Ereignissen der Hauptserie auseinandersetzt. Im Genre „Psychological-Horror“ schlägt der Film einen anderen Ton an und will unangenehme Emotionen auslösen. Chronologisch gesehen verblieb das Ende der Serie aber beim Finale der zweiten Staffel.
Die dritte Staffel: Revival durch das Netzwerk Showtime
Fünfundzwanzig Jahre nach der Veröffentlichung des Films erschien die dritte Staffel der Serie mit achtzehn Folgen. Ein Unterschied im Ton ist erneut aufzufinden: Nach den Ereignissen der zweiten Staffel hat sich die Persönlichkeit von Cooper im wahrsten Sinne aufgeteilt. Aspekte des Charakters manifestieren sich in der Welt: Ein Doppelgänger von Cooper und Dougie Jones repräsentieren zwei Extreme. Doppelgänger-Cooper repräsentiert ein traditionelles Männlichkeitsbild: Hart, rücksichtlos und der Gewalt nicht abgeneigt. Dougie hingegen ist kindisch, auf Hilfe angewiesen und wird durch sein Umfeld geleitet. Nun gilt es den „bösen Cooper“ zu stoppen, da er in der Zwischenzeit Schaden angerichtet hat und die Rückkehr des regulären Cooper verhindern will.
Es wird deutlich, dass die Serie mit anderen Einflüssen arbeitet. Verständlich, da sich seit den Neunzigern einiges in der Medienwelt getan hat: Der moderne Serienprotagonist ist ein Mann mit moralischer Flexibilität. Breaking Bad, Die Sopranos und Dexter sind Beispiele für diesen Charaktertypus. Für viele Momente dieser Serien werden die Grenzen der Glaubwürdigkeit gebogen. Wie kann Dexter jedes Mal wieder mit einem Mord entkommen? Mit welchem Kontrahenten wird sich Walter White in der folgenden Staffel messen? In realen Szenarien würde man die Welt nur noch unter der Erde oder hinter Gittern sehen.
Als Zuschauer muss man eine gewandelte Erwartungshaltung an die dritte Staffel legen: Hier hat man nicht eine „reguläre“ Fortsetzung zur Serie, sondern einen neuen Ansatz an Storytelling und Atmosphäre. Also lynch-typische Experimentierfreudigkeit und nicht Wiederholungen von Bekanntem.
Das Gesamtpaket „Twin Peaks“ – wen spricht es an?
Was kann man zur Serie als Gesamtpaket sagen? Twin Peaks spricht definitiv nicht jeden an – das soll und will es auch nicht. Ähnlich wie Lynchs Filmografie muss man abwägen, inwiefern man sich auf das Material einlassen kann. Denn der rote Faden der Interpretationsfreiheit von Lynch-Werken ist auch bei Twin Peaks zu spüren. Als Zuschauer ist man gefordert: Über die vagen Inhalte kann sich jeder ein Bild machen, das geht von Lobhymnen bis hin zum Abwerten des Werkes als „pseudointellektueller Quatsch“.
Mit der Bandbreite von Twin Peaks-Material bleibt die Verarbeitung aber keineswegs gleich. Wer ab einem gewissen Punkt abgeneigt von der Serie ist, kann in den Film oder die dritte Staffel blicken und andere Impressionen mitnehmen. Oder einfach nur dem Soundtrack von Angelo Badalamenti lauschen, um sich selbst in eine andere Welt zu entführen. Einen Blick ist das Material sicherlich wert: Der Tod des Komponisten bietet auch für alte Fans eine Option, der Serie wieder etwas Liebe zu schenken.
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