Er gilt als Provokateur, jemand der auch mal Grenzen überschreitet und dabei nicht immer nur Applaus bekommt. Gunther von Hagens polarisiert mit Körperwelten. Zwischen dem 25. März und 17. Juli kommt die Ausstellung „Körperwelten – eine Herzenssache“ nach Trier. Was steckt hinter der berühmten Ausstellung – Gruselkabinett oder Lehrveranstaltung? Eine Reise nach Guben. In die Pampa, irgendwo in Brandenburg, nahe der Grenze zu Polen. Dort steht das Plastinarium. Die Labore, in denen die Präparate für Körperwelten entstehen.
Guben: Es riecht auffällig unauffällig. Überraschend neutral. Beinahe skurril, wenn man bedenkt, dass auf den sieben hintereinander aufgestellten Edelstahltischen die Körper mehrerer verstorbener Menschen ruhen. Aber hier liegt nicht der Geruch von Tod in der Luft, wie er sich breit macht, wenn sich totes Fleisch zersetzt. Um den Verwesungsprozess zu stoppen, wurde eine Formalin-Lösung in das Arteriensystem der toten Körper gepumpt. Dieses tötet alle Bakterien, die zur Verwesung führen sofort ab. Fixierung nennt man diesen ersten Schritt der Plastination. Einem Verfahren, um Körper dauerhaft zu konservieren.
Mit dem großen Durchbruch kamen auch die ersten Kontroversen
1977/78 erfindet Gunther von Hagens die Methode in Heidelberg. Lange hat man die Präparate ausschließlich für die Lehre in Universitäten genutzt. Heute ist Körperwelten eine der weltweit erfolgreichsten Wanderausstellungen, in der auch Laien einen Einblick in den menschlichen Körper erhalten. Angefangen hat alles ganz klein als Garagenfirma. Denn schnell reichten die Labore der Universität nicht mehr aus, um die Nachfrage der Universitäten nach Lehrmaterial der besonderen Art zu decken. Garagen wurden angemietet und zu Laboren umfunktioniert. 1995 dann der nächste große Schritt: Die erste öffentliche Ausstellung im National Science Museum in Tokio. Zwei Jahre später – die erste Ausstellung in Deutschland. 860 Tausend Menschen besuchen die Ausstellung in nur vier Monaten. Mit dem großen Durchbruch kommen jedoch auch die ersten Kontroversen. Anders als in Tokio wird die Ausstellung in Deutschland von einer Debatte darüber, ob die öffentliche Präsentation von Leichen mit der Unantastbarkeit der Würde des Menschen vereinbar ist, begleitet.
Gunter von Hagen erkrankt 2008 an Parkinson – „Die Arbeit ist heute auf viele Köpfe verteilt“
Heute sind die großen Kulturkämpfe vorbei, sagt Rurik von Hagens. „Die Ausstellung ist in der Gesellschaft angekommen“. Nachdem Gunther von Hagens an Parkinson erkrankt, steigt der Sohn Rurik in das Geschäft ein. „Die Arbeit, die früher mein Vater ganz alleine machte, ist heute auf verschiedene Köpfe verteilt“, erklärt Rurik. Er ist der Geschäftsführer der Gubener Plastinate GmbH. Die Labore nahe der polnischen Grenze wurden 2006 gegründet. Sie befinden sich in einer ehemaligen Tuch- und Hut Fabrik. Einen Euro haben die Räume damals gekostet, die einst einer Ruine glichen. Alle sollen sie die Hände über den Kopf zusammengeschlagen haben. Nur Gunther von Hagens nicht, er habe Potential in den Mauern gesehen.
Dass der Sohn eines Tages in die Fußstapfen des Vaters tritt, war nicht von Anfang an klar. Zwar habe sich Rurik immer sehr für die Anatomie interessiert, die selbe Leidenschaft wie der Vater konnte er jedoch nicht entwickeln. Nach dem Studium arbeitete er deshalb zuerst für einen großen Konzern und ist auch jetzt für die Gubener Plastinate GmbH für das Organisatorische zuständig. Er schlug auch vor, sich wieder mehr auf den Verkauf von Präparaten zu fokussieren. So finden heute etwa nur 10 Prozent aller Präparate, die in Guben entstehen, ihren Weg in eine der Körperwelten Ausstellungen. Der Rest geht an Universitäten für Lehrzwecke.
Die Körper für die Präparate stammen alle von Körperspenden. Anfang der 80er Jahre wird dafür das erste Körperspendenprogramm zur Plastination eingerichtet. Insgesamt umfasst das Programm 20.000 Spender. Jede Körperspende sei dabei ein „anatomischer Schatz“. Einzigartig wie das Leben selbst. Jede Woche kommen etwa 3-4 verstorbene Körper in Guben an. An Leichen mangelt es der Gubener Plastinate GmbH nicht. „Wir haben fast schon zu viele Leichen im Keller“ sagt Rurik von Hagens und schmunzelt dabei.
Bei der Arbeit am Tod über die Schulter schauen
Die Labore in Guben sind jedoch auch für Besucher zugänglich. Man möchte möglichst transparent sein und Nichts verheimlichen. Das Titelblatt des Spiegels mit der Schlagzeile „Dr. Tod“ hängt groß ausgedruckt direkt neben dem Eingang zur Ausstellung. Zwar habe die negative Presse nicht dem Erfolg der Ausstellung geschadet, es war jedoch nie das Ziel durch einen Tabubruch Schlagzeilen zu machen, verteidigt Rurik seinen Vater. Auch sonst zeigt man sich in Guben sehr offen. Die Besucher sollen den Mitarbeitern bei ihrer Arbeit über die Schulter schauen. Der Rundgang im Plastinarium in Guben führt daher direkt an der Arbeit an den Toten vorbei.
Derzeit arbeiten 100 Menschen im Plastinarium. Frank ist einer davon. Bevor er 2010 anfing verstobene Körper zu Präparieren, arbeitete er als Hutmacher. Heute befreit er ausgestattet mit Pinzette, Skalpell und Schere die Organe, Muskeln, Sehnen und Nerven von Fett und Bindegewebe. Eine Arbeit die viel Geduld und Geschick abverlangt. Frank blickt auf dem Körper vor ihm und zeigt wo die Leber, die Milz und die Nieren einmal saßen. Unglaublich komprimiert liegen diese Organe bei uns Menschen im Bauch, ohne dass wir uns darüber im Alltag bewusst sind. „Wir laufen einfach los, aber wie das alles funktioniert, das fasziniert mich“ so Frank. Die Arbeit am Kopf liegt noch vor ihm, diese ist eine ganz besondere Herausforderung, quasi „die Champions League der Präparation“. Seit etwa zwei Wochen sitzen Frank und seine Kollegin bereits an diesem Präparat, zwei weitere werden noch folgen, bis ihre Arbeit getan und das Präparat weiterverarbeitet werden kann.
Schritt für Schritt zum fertigen Präparat
Dann beginnt auch der eigentliche Plastinationsprozess. Dafür wird der Körper in ein Azetonbad gelegt. Dieses ersetzt das Körperwasser und löst alle Fette aus dem Gewebe heraus. Dafür stehen mehrere Truhen in einer Halle mit kaltem Fliesenboden bereit. Wenn man es nicht besser wüsste, könnte man meinen, man sei in der Tiefkühlabteilung eines etwas in die Jahre gekommenen Discounters gelandet. Aber in den Truhen liegen nicht etwa Wagners Steinofen Pizza und Iglo Knusper-Filet, sondern die Körper verstorbener Menschen, eingelegt in Azeton.
Anschließend erfolgt der zentrale Schritt der Plastination: Die Imprägnierung. Bei diesem Schritt dringt Kunststoff mithilfe von Vakuum bis in die letzte Zelle und ersetzt das Azeton. Anschließend kommt das Präparat wieder zurück, in den für die Besucher zugelassenen Bereich. Dort beginnt die Positionierung. Denn noch ist der Körper flexibel und kann in die gewünschte Position gebracht werden. Jede Pose wird von Gunther von Hagens selbst entworfen. Hier versteht sich der Anatom als Künstler. Im letzten Schritt wird das Präparat mithilfe eines speziellen Gases gehärtet und findet dann seinen Weg in die Lehre oder in eine der Ausstellungen.
Von Fußballern und Giraffen auf Bäumen
Im Plastinarium in Guben entdeck man einen Fußballspieler der nach einem Ball hechtet. In einem anderen Raum sieht man eine plastinierte Giraffe auf einem Baum. Auf die Frage, ob Giraffen denn auf Bäume klettern könnten, antwortet Rurik von Hagen, sein Vater wollte hier wohl das Unmögliche möglich machen. Gunther von Hagens sei eben auch ein Provokateur, in erster Linie verstehe er sich jedoch als Wissenschaftler, der mit Körperwelten Einblicke in unseren Körper bieten möchte. So findet sich in der Ausstellung auch eine Lunge, die vom Tabak Konsum gezeichnet, ganz schwarz verfärbt ist. In der Ausstellung „Körperwelten – eine Herzenssache“ sollen Antworten rund um das Herz gegeben werden. Zum Beispiel, ob man denn an einem gebrochenen Herzen auch sterben kann? Von den Toten solle man so eben auch noch etwas über das Leben lernen.
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