Das erstaunliche Leben des Walter Mitty beginnt eigentlich gar nicht so erstaunlich, denn so einen Walter kennen wir sicher alle, manch einer findet ihn vielleicht auch in sich selbst. Ben Stiller inszenierte und spielt einen ‚Jedermann‘, der schließlich über sich hinauswächst, und ein neues Leben beginnt. Andreas Gniffke hat sich den Film im Trierer CinemaxX angesehen.
Walter Mitty (Ben Stiller) ist eine Figur, die man gerne übersieht, wenn man sich nicht sogar lustig über sie macht. Er ist ein Max Mustermann, ein Durchschnittsmensch, der im Keller einer Magazinredaktion gewissenhaft und unsichtbar die Negative verwaltet. Selbst ein Portal für Onlinedating kapituliert bei Walter, zu profillos ist die graue Maus, zu ereignislos sein Leben. Walter driftet immer wieder in Fantasiewelten ab, in denen er ein Held mit Superkräften ist, oder es zumindest schafft, die von ihm heimlich verehrte Kollegin Cheryl (Kristen Wiig) mit Kreativität und Schlagfertigkeit zu beeindrucken. Seine Umgebung spottet derweil über den in diesen Momenten völlig weggetretenen Walter.
Dabei sind die Zeiten hart für ihn, denn sein Arbeitgeber und damit eine ganze Zeitschriftenkultur steckt in der Krise. ‚Life‘ soll abgewickelt und durch ein modernes Onlineformat ersetzt werden. Moderne, junge Manager-Widerlinge mit fiesen Bärten übernehmen das Kommando und rationalisieren die Kreativität; Massenentlassungen inklusive. Doch eine letzte Ausgabe soll noch erscheinen und ausgerechnet das Coverfoto von Fotograf Sean O’Connell (Sean Penn) geht verloren. Walter springt schließlich über seinen Schatten und macht sich auf die Suche nach Foto und Künstler. Eine Reise, die sein ganzes Leben verändern wird und ihn rund um die Welt führt.
Bereits der Trailer hinterlässt wenig Zweifel bezüglich der Botschaft von Das erstaunliche Leben des Walter Mitty. ‚Man lebt nur einmal’, ‚Lebe deine Träume‘, ‘Lebe‘ – Für den Tagträumer Walter ist es ein langer Weg zu sich selbst. Der Film hat ebenso wie sein Held zunächst große Mühe, in Gang zu kommen. Die Superhelden-Träume, die überzeichneten Medien-Heuschrecken, die Versuche über das Internet der Verehrten näher zu kommen, all das ist recht schleppend inszeniert und kann den Zuschauer nur schwer packen. Doch von dem Moment an, als Walter ins Flugzeug steigt und in Richtung Grönland aufbricht, gewinnt die Geschichte Konturen und entwickelt sich zu einer teilweise berührenden, teilweise komischen Entwicklungsstudie mit wunderschönen Bildern und einem tollen Soundtrack. Und auch wenn die Medienkritik nicht wirklich überzeugt, hat sie doch einen traurigen wahren Kern. Das reale Life Magazine, das sich wie im Film vor allem durch hochwertigen Fotojournalismus auszeichnete, wurde im Jahr 2000 eingestellt. Das Nachrichtenmagazin ‘Newsweek’ erschien Ende 2012 zum letzten Mal in gedruckter Form, danach wurde es in ein Onlinemagazin umgewandelt. Zahlreiche Arbeitsplätze gingen durch den Umbau verloren. Der Film ist somit auch ein wehmütiger Blick zurück auf eine Art Journalismus, die der Schnelllebigkeit der Onlinewelt oft nur wenig entgegenzusetzen hat. Die aufwendigen Fotoprojekte von Fotograf Sean O’Connell, der analog fotografiert und seine Negative per Post an die Redaktion sendet, wirken in Zeiten von Facebook, Flickr und Instagram geradezu anachronistisch, genau wie die mühevolle Suche nach Negativen im analogen Bildarchiv. Warum soll man noch einen Walter Mitty im Keller beschäftigen, wenn das Archiv doch wohlgeordnet im Internet verfügbar ist? Nicht umsonst lebt die glanzvolle Geschichte der Fotoreporter des Life Magazines zumindest in Relikten heute noch im digitalen Archiv weiter.
Ben Stiller spielt nicht nur die Hauptrolle, er übernahm als Produzent und Regisseur Verantwortung für einen Stoff, dessen Verfilmung seit vielen Jahren auf ihre neuerliche Umsetzung wartet. Basierend auf einer Kurzgeschichte von James Thurber aus dem Jahr 1939 erzählt Stiller die warmherzige Geschichte eines Außenseiters, für dessen Darstellung er geradezu prädestiniert ist. So schafft es „Das erstaunliche Leben des Walter Mitty“ am Ende doch noch, die Zuschauer zu berühren und an den Träumen jedes Einzelnen zu rütteln. Denn wer wäre nicht auch gerne ein kleines bisschen Walter Mitty und würde zumindest ab und zu gerne aus seinem eingefahrenen Leben ausbrechen? In der Realität würde ich persönlich allerdings davon abraten, afghanische Warlords mit Mutters Kuchen zu bestechen. Außer er ist wirklich gut!
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