Ein Buch ist ein Buch ist ein Buch. – Die Leser von 5vier.de sind dem Trierer Autor und Weltenschöpfer und Seinem Buch „Unbestimmt“ mehr als nur einmal begegnet. Auf dem Domfreihof, in Hermeskeil, der Mayerschen Buchhandlung Interbook oder bei der zuletzt in der Karl-Marx-Straße 9.
Trier. Und bei seiner letzten Lesung wurde das vorgestellt, was Literatur interessant macht. Ein Buch nämlich – das Wlotzki-Buch „Unbestimmt“ – ist nicht auf seine 365 Seiten beschränkt, sondern geht über diese Seiten hinaus. Ein Buch verlangt geradezu nach einem weiteren Buch, das sich vorstellen will. Die erste Treppe der Fantasie führt in eine Welt der Fantasien.
Der an der Stadt Trier anknüpfende Debut-Roman von Raphael Wlotzki hat eine auf Weihnachten bezogene Ergänzung erfahren, die wir heute, am Tag an dem der Autor bereits seinen Weihnachts-Kurzurlaub angetreten hat, unseren Lesern vorstellen dürfen. (Wir haben da einfach sein Manuskript übernehmen dürfen – mit dem Hinweis, dass die endgültige Fassung möglicherweise noch einen zusätzlichen „Schliff“ erfährt). Es ist also ein kurzer Lesestoff, um auf eine Fantasy-Reise zu gehen, die Wartezeit zu überbrücken oder an einem der nächsten Tage etwas länger auf unserer Webseite zu verweilen:
Die Discordia feiern den Tag der Unmenschlichkeit.
Hinter der Erde liegt ein Schleier von Sternen und dahinter befindet sich ein Planet der unserer Erde gar nicht mal so unähnlich ist. Er trägt den Namen Zone 11. Während auf der Erde Menschen und Tiere leben, nennt man die Bewohner der Zone 11 die Discordia. Sie können alle möglichen Formen haben. Ob groß, klein, haarig, rund oder vielarmig. Alle möglichen Arten von Discordia sind vertreten. Die meisten von ihnen wohnen in Zonos, der Hauptstadt der Discordia. Diese ist ringförmig aufgebaut und je näher man am Zentrum wohnt, desto reicher ist man.
Auch wenn nur die wenigsten Menschen hier auf Erden die Existenz der Discordia erahnen, wissen die Discordia ganz genau über uns Menschen und unsere Feste Bescheid.
Das Fest der Discordia ist ganz anders als unseres. Während wir auf Weihnachten zusteuern, freuen sich die Discordia darauf, ihre Unabhängigkeit zu feiern. Sie sind eben nicht wie wir Menschen und das Leben sie am 24sten Dezember auch vollkommen aus. Sie feiern den Tag der Unmenschlichkeit.
Doch wie läuft das Fest der Unmenschlichkeit ab? Nun, das hängt immer vom Discordia ab. Hat er wie wir zwei Augen, klebt er sich eines zu. Läuft er auf zwei Beinen, wird ein drittes dazu gebastelt oder auch mal abgesägt, je nachdem wie konservativ der Discordia ist. In manchen Familien geht es sogar so weit, das man weder isst noch trinkt, noch die Toilette aufsucht, denn schließlich – und das wissen die Discordia – machen das die Menschen regelmäßig.
Generell, und so ist es schon seit Jahrhunderten, gibt man sein Bestes um sich an diesem Tage von den Menschen zu unterscheiden.
So begab es sich, in nicht allzu weit entfernter Vergangenheit, dass das Fest der Unmenschlichkeit einmal ganz anders ablief. Die Discordiafamilie SummSumm, bestehend aus Vater SummSumm, Mama SummSumm und Sohn SummSumm bereitete sich auf das Fest der Unmenschlichkeit vor.
Die Familie SummSumm gehörte zur Mittelschicht in Zonos. Sie bewohnte den Vierten Ring der Stadt. Weder Arm, noch reich. Vater SummSumm war einer der Angestellten der Abgeordneten, der Abteilung zur Koordination des Briefverkehrs des westlichen Teiles der Stadt Zonos für den Assistenten des Königs und dessen dritten Vorgesetzten. Man kann sich also vorstellen, dass seine Position nicht gerade unwichtig war. Schließlich war er dafür zuständig, dass Briefe über viele Umwege letztendlich zum König gelangen. Auch wenn es nur wenige im Jahr waren.
Die Familie SummSumm gehörte zur Gattung der SammSamm Discordia.
Die SammSamm zeichneten sich besonders durch ihr äußeres Erscheinungsbild und ihr Verhalten aus. Wir Menschen würden sie wohl am ehesten als große Regenwürmer mit grünem Fell bezeichnen. Ein Ende ihres sonst so symmetrischen Körpers zierte ein freundliches Grinsen und ein glubschiges Auge, welches nicht selten mit den langen Wimpern klimperte.
Die SammSamm waren sehr hektisch und die SummSumms waren unter den SammSamm wohl die hektischsten SammSamms. Mutter SummSumm fleuchte stets durchs Haus, oft bewaffnet mit Pfannen und einem Kochlöffel, der sich zwischen ihrem klebrigen Fell verfing.
Für uns wäre das Haus der SummSumms sicher eigenartig, denn alle Zimmer waren über Kanäle miteinander verbunden. Ein metallenes Röhrensystem verlief durch das verschachtelte Haus. Natürlich waren sie für Gäste mit menschlicher Statur gewappnet und hatten auch Türen. Vater Summ Summ scherzte oft, dass er das Haus behindertengerecht gehalten habe, für Discordia die nicht durch die Röhren passen.
Im Normalfall hatte die Familie am Tag der Unmenschlichkeit recht wenig zu tun. Sie waren nicht besonders konservativ, aßen und tranken und tackerten sich lediglich die hochgezogenen Mundwinkel nach unten. Dieses Jahr sollte es aber anders kommen als sonst.
Sohnemann SummSumm hatte in letzter Zeit recht viel in der Schule zu tun und war etwas überfordert. Und so kam es, dass er sich im komplexen Röhrensystem des Hauses verirrte. Einmal falsch abgebogen, landete er im Toilettenrohr. Vater SummSumm hätte diesen Fehler im Haus schon längt beheben sollen. Nach Luft ringend entstieg der Sohn der Toilette. Während er sich drehend an der Handtuchwand des Badezimmers trocken wandt, bemerkte er, dass sich etwas in seinem Fell verfangen hatte. Ein Stück Pergament. Jemand hatte es wohl die Toilette hinuntergespült. Aufgeregt entfaltete Sohn SummSumm das Papier. Was er sah war ihm fremd, doch er verstand es sofort.
Ein menschliches Kind stand an einem Baum, reich geschmückt und voller Süßigkeiten. Neben dem Baum war ein Mann, groß und dick in rotem Gewand. Er hatte einen langen weißen Bart und überreichte dem Kind ein Geschenk.
Schnell glitt Sohn SummSumm in Röhre Nummer Vier und gelangte ins Wohnzimmer der Familie. Mutter SummSumm versuchte gerade ihrem müden Mann die Mundwinkel herunterzutackern, während ihr Gatte den Sportteil der Zeitung las.
„ Einen frohen Tag der Unmenschlichkeit, Sohn SummSumm.“ Grüßte die Mutter.
„ Mama SummSumm, ich habe gerade was entdeckt.“
Schnell und voller Vorfreude wurde das Pergament vor den Eltern ausgebreitet.
„ Was ist das?“ fragte der Vater genervt.
„ Tja, Mama und Papa, so feiern die Menschen den Tag der Unmenschlichkeit.“
„ Nun, wenn die Menschen das machen, sollten wir es lassen.“ Meinte Mutter SummSumm freundlich, aber bestimmt.
„ Aber Mama, die anderen Kinder feiern den Tag der Unmenschlichkeit viel mehr als wir. Du kämmst dir ja sogar dein Fell. Und wir wissen alle das der Kamm eine Erfindung von Menschen ist.“
„ Wo der Junge Recht hat, hat er Recht, Ehefrau SummSumm. Außerdem mag ich dein schmieriges Fell viel lieber, wenn es schön schleimig ist.“
„ Jetzt bleib aber anständig, Ehemann SummSumm. Nicht vor dem Kind.“ Sagte Mutter SummSumm und wurde ganz orange vor Scham „ Aber was nun, mein Sohn? Was schlägst du vor?“
„ Ich will, dass wir den Tag der Unmenschlichkeit so unmenschlich wie möglich feiern!“
So ließen sich Vater SummSumm und Mutter SummSumm tatsächlich dazu breitschlagen das Fest unmenschlicher denn je zu feiern.
Aus Mama SummSumm wurde der Un-Weihnachtsmann. Sie fragte sich was sie anders machen könnte und kam schließlich zu einer Lösung. Der Weihnachtsmann war dick und trug einen weißen Bart. Schnell zückte sie aus ihrem Kleiderschrank ein Korsett und rasierte sich mit Oma SummSumms alten Rasierer das Kinn. Sie schlüpfte in ihr blaues Kleid, denn rot war das Gegenteil von blau und der Gegenteil des Anzugs war ein Kleid.
Vater übernahm die Rolle des Un-Weihnachtsbaums. Das war gar nicht mal so leicht. Grün wie der Baum war er ja schon, also färbte er sich die Haare Rot und stellte sich auf den Kopf, damit seine Spitze auch ja unten und nicht oben ist. Hätte er gewusst was dann passierte, hätte er die Färbung natürlich gelassen, denn als ihm das Blut in den Kopf stieg, wurde sein rotes Rot noch röter.
Statt Kugeln, gab es Kuben und statt süßen Zuckerstangen behängte Mama SummSumm den Nicht-Weihnachtsbaum mit Discordia Kickeriku-Schenkeln, die in etwa mit Hühnerschenkeln zu vergleichen waren. Allerdings waren ihre Knochen lila.
Die Aufgabe des Sohnes SummSumm war jedoch eine andere. Er musste ein nicht menschliches Kind spielen. Da Sohnemann SummSumm ohnehin das Kind im Hause war, missfiel ihm das natürlich. Doch als Mama SummSumm ihm ein viel zu langes Kleid anzog, war alles wieder in Ordnung, denn nun war er eine erwachsene Frau und kein männliches Kind mehr.
Dann war es so weit. Die Szenerie stand. Alle waren auf Position. Mama SummSumm sagte „Hahaha“ als Gegenstück zu „Hohoho“. Papa SummSumm pustete die Kerzen in seinem Fell aus um die weihnachtliche Stimmung zu beenden und konnte es sich nicht verkneifen einmal in einen Kickeriku-Schenkel zu beißen. Doch als Sohnemann SummSumm am Zug war, kam es anders als erwartet. Er hatte sich so stark darauf vorbereitet, dass der Nicht-Weihnachtsmann ihm sein Geschenk aus der Hand reißt um es aus dem Fenster zu schmeißen, das er eines ganz vergessen hatte: Er war noch immer ein Kind.
Als sich das schmierige Fell von Mutter SummSumm um das Päckchen schmiegte, ließ er nicht locker.
„ Sohn…“ grummelte Vater SummSumm angestrengt im Kopfstand „Mama muss dir jetzt das Geschenk entreißen.“
Eine Sekunde lang herrschte Stille.
„ Mama,“ wisperte Sohnemann SummSumm „Was ist denn da drin?“
„ Nun, dein Nicht-Geschenk, mein Sohn.“ Antwortete Mama SummSumm.
„ Darf ich es denn vielleicht auspacken?“
Mama SummSumm und Papa SummSumm guckten sich mit ihrem Glubschauge an und mussten so stark lächeln, das ihnen die Tackernadeln aus den Gesichtern sprangen.
„ Natürlich darfst du es auspacken. Es ist Tag der Unmenschlichkeit und nur Menschen wären so gemein ihren Kindern ein Geschenk zu verwehren.“
Eines hatte Familie SummSumm unter all dem Mensch und Nicht-Menschsein vergessen. Letztendlich sind Kinder nun mal Kinder. Ein Unterschied wie sie aussehen oder woher sie kommen, gibt es da nicht.
Nun feiert Familie SummSumm noch immer das Nicht-Menschsein in Tradition. Und das viel menschlicher als es ihnen bewusst ist.
© Raphael Wlotzki und © Maisenbacher Medien GmbH
Dieser Textbeitrag ist nicht für eine weitere Verwendung freigegeben. Er ist Bestandteil bzw. Auszug aus einer Buchedition der Maisenbacher Medien GmbH. – Bei Nachfragen erreichen Sie uns unter der Telefonnummer 0651-25.900
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