Am 21. September findet traditionell der Weltfriedenstag statt. Das nahmen wir zum Anlass, mit dem Friedensreferenten der AG Frieden, Markus Pflüger, über den „Atomkrieg aus Versehen“, Klimaschäden und historische Vergleiche zu sprechen.
5VIER.de: Herr Pflüger, der Weltfriedenstag steht an. Ist solch ein Tag reine, bedeutungslose Symbolik? Oder sehen Sie einen tatsächlichen Nutzen?
Markus Pflüger: Tage wie der Weltfriedenstag nutzen wir gerne, um auf unsere Anliegen aufmerksam zu machen. Wir sind etwas aktiver am Anti-Kriegstag am 1. September. Mein Eindruck ist, dass sich dieser Tag stärker durchgesetzt hat als der 21. September.
Wie steht es um den Weltfrieden am Weltfriedenstag?
Wenn man sich an dem Begriff orientiert: Wie steht es laut Ihrer Sicht um den Weltfrieden?
So schlecht wie noch nie! Die Atomkriegs-Uhr steht so knapp vor zwölf wie noch nie in der Vergangenheit. Diese Uhr wurde entwickelt von Atom-Wissenschaftlern, die sich die aktuelle Lage anschauen und einschätzen, wie hoch das Risiko eines Atomkrieges ist. Das letzte Mal, dass die Uhr ähnlich nah an der zwölf war, war zur Kuba-Krise. Der Klimawandel erhöht zusätzlich die Gefahr für den „Atomkrieg aus Versehen“. In Trier haben wir den Professor Karl-Heinz Bläsius, der ist Experte für Künstliche Intelligenz (KI). Da findet man vieles online, wo er diese Einschätzung begründet.
Ist diese Einschätzung nicht übertrieben dramatisch? Heute wissen wir, dass schon in den 60er (Wassili Archipow) und 80er Jahren (Stanislaw Petrow) im dank mutiger und besonnener Einzelentscheidungen ein Dritter Weltkrieg verhindert wurde. War der Kalte Krieg nicht viel näher an einem Atomkrieg?
Ich befürchte, dass es heute noch kritischer ist. Ich verlasse mich da auf Experten. Professor Bläsius hat mit Militärs gesprochen, die ihm recht gaben. Zum Beispiel mit dem Kommandanten des Atomwaffenstützpunktes Büchel. Das beunruhigt mich sehr. Die Enschätzunng erfolgt auch deshalb, da die Frühwarnsysteme heutzutage viel schneller arbeiten, als damals. Die Reaktionszeit, um auszuräumen, dass ein Alarm ein Fehler ist, ist geringer geworden.
Sorge vor „Atomkrieg aus Versehen“
Es gibt reale Beispiele, bei denen Passagierflugzeuge abgeschossen wurden. Wegen eines Fehlalarms wurden zig Menschenleben geopfert. Wir alle hoffen, dass die Verantwortlichen vernünftig genug sind und die atomare Abschreckung, diesen Irrsinn, nie umsetzen. Es gibt immer noch eine Mehrheit im Bundestag, mit der es nicht möglich ist, Atomwaffen aus Deutschland zu entfernen. Der Trierer Oberbürgermeister Wolfram Leibe unterstützt den Atomwaffenverbotsvertrag. Der Landtag Rheinland-Pfalz ebenfalls. Es gibt Druck, aber er reicht noch nicht aus.
Dennoch, wenn man sagt, es sei noch nie so schlecht um den Weltfrieden bestellt gewesen wie je zuvor – es ist wenige Jahrzehnte her, dass zig Millionen Menschen, teilweise systematisch, umgebracht wurden.
Ich denke, dass die Aussage bezüglich eines Atomkrieges stimmt. Im Bezug auf insgesamt kriegerische Auseinandersetzungen, würde ich sie relativieren. Heute laufen die Auseinandersetzungen in anderen Formaten ab, zum Beispiel Drohnenkriege, die auch von Ramstein aus geführt werden. Das sind nicht mehr die Flächenbombardements, wie man sie aus den Weltkriegen kennt. Es stehen sich auch nicht mehr riesige Truppen gegenüber. Die heutige Kriegshandlungen sind aber in ihren Langzeitfolgen oft genauso schlimm. Minen liegen noch heute an vielen Stellen der Erde. Das führt noch sehr lange zu Verstümmelungen und Traumatisierungen. Kriege wie in Syrien und Jemen mit vielen Toten , Verletzten und Vertriebenen dauern leider an.
Weltfriedenstag wichtiger denn je?
Von wem geht denn die größte Gefahr aus, dass eine Atomwaffe gezündet wird? Die Welt ist noch komplexer geworden seit dem Kalten Krieg zwischen den USA und der Sowjetunion.
Es gibt leider viel mehr Länder, die Atomwaffen besitzen. Indien und Pakistan, sehr wahrscheinlich auch Israel. Die Stationierungen in Europa. China nicht zu vergessen. Die aktuelle Konfliktlage ist aber wie früher zu Zeiten des Kalten Krieges, Russland und USA. Dieses Mal mit dem Vorposten Europa. Das ist eigentlich verwunderlich, dass das wieder so ist. Gerade ältere Politiker verstehen häufig nicht, warum Politiker nicht mehr so stark auf Entspannung und Versöhnung setzen.
Viele Staaten, auch demokratische, werden immer autoritärer, wenn nicht gar despotisch. Ist eher motivierend oder demotivierend, sich unten an der Basis zu engagieren, weit weg von den Entscheidern der Weltpolitik?
Es ist beängstigend zu sehen, wie Länder, die auf einem demokratischen Weg waren, wieder davon abkommen. In Ungarn kommt es mir so vor, dass das Richtung Diktatur geht, auch in Polen gibt es auch solche Ansätze. In der Türkei gibt seit langem eine üble Entwicklung. Das bereitet Sorgen, gleichzeitig bestärkt es, sich für Abrüstung stark zu machen. All diese Entwicklungen finden in einer militarisierten Welt statt. Rüstungsexporte, Aufrüstungsverpflichtungen, Armeen in Stellung bringen – all das sind keine Beiträge für eine demokratischere und sicherere Welt.
AG Frieden richtet sich nicht nur am Weltfriedenstag an Basis und Politik
Unser Engagement richtet sich sowohl an die Basis als auch an politisch Verantwortliche. Wir sind in Kontakt, von Mainz über Berlin bis Brüssel. Immer wieder tut sich was, aus meiner Sicht aber zu wenig. Gleichzeitig versuchen wir an der Basis zu überzeugen, dass man anstatt aufzurüsten mit den Geldern sinnvollere Dinge anstellen könnte. Das ist oft nicht von Erfolg gekrönt, aber ich sehe uns da als ein Mosaikstein. Wenn die Bischofskonferenz sagt, dass Atomwaffen geächtet gehören, wenn die evangelische Kirche ein alternatives Sicherheitskonzept inklusive Abrüstung entwickelt, wenn ich höre, dass Militärs sich Sorgen machen und zugeben, dass Kriege wie in Afghanistan keinen Sinn machen, glaube ich, dass wir ein kleiner Bestandteil eines Wandels sind. Für den Wandel braucht man allerdings einen langen Atem.
Wo sehen Sie denn Verbesserungen, die man am Weltfriedenstag feiern könnte?
Es gibt ein paar Entwicklungen, die mir Hoffnung machen. Beispielsweise die Bereitschaft ganz vieler Organisationen, sich für die Abschaffung von Atomwaffen einzusetzen. Das war in den Jahren noch nicht in der Größe so. Der Stadtrat, der Landtag, Wissenschaftler und sogar Militärs sehen das so und setzen sich dafür ein.
Außerdem ist es gut zu sehen, dass man Konflikte versucht zivil zu lösen. Die Idee von Friedensfachkräften und ziviler Konfliktbearbeitung ist kein Nischenthema mehr. Es wird immer stärker in der Außenpolitik gefordert. Trotzdem wird noch zu selten darauf zurückgegriffen. Die Mehrheiten im Bundestag sind leider weiterhin dafür, das Geld ins Militär zu stecken. Zu wenig liegt der Fokus auf den Kriegsursachen.
Militär ist keine Lösung für Konflikte
Das sagen sogar Bundeswehrsoldaten. Selbst von dort kommen Stimmen, dass das Militär nicht dafür geeignet ist, wirklich was zu verändern und zu befrieden. Zivile Kräfte, Staatlichkeit und Rechtsstaatlichkeit bräuchte es für echte Verbesserungen in Richtung Frieden. Darauf kann man aufbauen und das gibt mir Hoffnung, dass sich langfristig was tun wird.
Welche sind die Ursachen von militärischen Auseinandersetzungen? Und wo gibt es noch Stellschrauben die man drehen könnte, um die Lage auf der Welt zu verbessern?
Es gibt einen Punkt, der aus meiner Sicht nicht genügend Beachtung erfährt: Die katastrophalen Auswirkungen des Militärsauf die Umwelt. Dazu gehören Manöver, Airbases, Interventionen und die Kriegshandlungen selbst, all das hat auch Auswirkungen auf das Klima. Das Militär ist einer der größten Klimakiller. Allein der Start eines Militärflugzeugs verursacht beispielsweise so viele Abgase wie die Ortsdurchfahrt von rund 500 LKW. Nur der Start! Wenn ein Flieger wie erst zuletzt in der Eifel abstürzt, wird das ganze Umfeld, auch das Wasser mit hochgiftigen Treibstoffen verseucht. Auch ohne Abstürze werden Treibstoffe aus verschiedenen Gründen einfach abgelassen.
Was mich so wütend macht: Ganz viele Kriege werden geführt, um Rohstoffe für Kriege zu bekommen. Krieg um Öl, verbraucht extrem viel Öl. Diese Spirale muss gestoppt werden.
Ein CDU-Politiker hat einmal gesagt: „Der Afghanistan-Krieg ist eine riesige Terrorzuchtmaschine.“ Menschenrechte sind da nur vorgebliches Ziel, die nicht eingehalten werden können. Über das menschliche Leid und über die Umweltschäden, möchten wir aufklären und somit mithelfen, dass wir in andere Dinge investieren sollten.
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