In der Musikbranche verdingen sich die Besten der Besten oft nicht unbedingt in klassischen Bands, sondern arbeiten neben Auftrags-Jobs bei etablierten Künstlern als Workshop-Stars und Werbe-Ikonen bei den Instrumenten-Herstellern. So kommt es auch, dass viele Musikfans Herren wie Lars Ulrich oder Dave Lombardo kennen, aber nur sehr wenige etwas mit Namen wie Thomas Lang oder Mike Mangini (vor 2010) anfangen können. Letztere gelten mit technischen Fähigkeiten jenseits von Gut und Böse als absolute Schlagzeug-Götter, aber Ulrich und Lombardo standen bei Bands wie „Metallica“ oder „Slayer“ im deutlich helleren Rampenlicht. Mike Portnoy ist einer, der zwischen diesen Welten wandelt.
Trier / Esch. Er ist mit „Dream Theater“, der Technikband schlechthin, erfolgreich geworden und hat dort Drum-Figuren geschaffen, die seit Ende der 80er von jedem ambitionierten Nachwuchs-Schagzeuger nachgetrommelt werden. Aber Portnoy ist nicht nur Techniker, sondern mindestens genauso viel Rockstar. Bei „Dream Theater“ konnten es weder Frontmann James LaBrie, noch Gitarren-Genie John Petrucci mit dem Charisma des kleinen Drummers aus New York aufnehmen, der mit seinem extrovertierten Spiel stets die gesamte Aufmerksamkeit auf sich zog. Im September 2010 trennten sich die Wege der Prog-Ikonen und Portnoy tobt sich seitdem kreativ aus und wildert mit allerhand Bands und Projekten in den verschiedensten Stil-Richtungen. Nach fast Jahren Pause spielt er dieses Jahr mit befreundeten Musikern einige ausgewählte Shows, bei denen er einige seiner persönlichsten „Dream Theater“-Songs zum Besten gibt.
Auch unter Trierer Musikern beliebt
Stephan Zender, Schlagzeug-Lehrer und Leiter der Modern Music School Trier und Drummer bei My’tallica, erinnert sich, dass in den 90ern beinahe jeder Schlagzeug-Schüler so spielen lernen wollte wie Mike Portnoy. Auch für ihn selbst ist der Mann mit dem stets gefärbten Bart natürlich kein unbeschriebenes Blatt: „Ich habe Mike in den letzten 25 Jahren mehrmals getroffen. 1993 auf der „Dream Theater – Images & Words“-Tour war ich als Stagehand beim Konzert in Saarburg dabei und habe sein Drum-Set aufgebaut, später nochmals 1999 in Trier. Dann habe ich ihn über die Jahre mehrmals bei Workshops und Konzerten in Los Angeles und in Europa gesehen und getroffen. Er hat eine ganze Generation an Drummern beeinflusst.“
Auch Sebastian Klipp, der die Drums bei den Trierer Indie-Pop-Rockern „Nico Mono“ sowie bei der Cover-Band „24th Frame“ bedient, erinnert sich an seine ersten Kontakte mit dem Prog-Spezialisten Portnoy: „Mike Portnoy hat mich vor allem in meinen ersten Jahren stark geprägt. Ich habe 1997 mit dem Trommeln angefangen. Das war knapp zwei Jahre nachdem er mit seiner damaligen Hauptband „Dream Theater“ die EP „A Change of Seasons“ rausgebracht hat. Wann immer ich das Stück gehört oder gesehen habe, stand ich mit aufgerissenen Augen und offenem Mund da und dachte: „So gut wirst du nie!“ […] An der Situation hat sich bis heute nichts geändert. Glücklicherweile fühle ich ich musikalisch mittlerweile eher im Pop-Rock zu Hause. Mike Portnoys Stil fasziniert mich […] immer noch und das wird wohl auch für immer so bleiben.
Auch Paul Conroy, ein trommelnder Singer-Songwriter namens „Reisender„ aus San Francisco/Oakland ist äußerst beeindruckt von Portnoys Stil: „Ich habe Mike mit „Dream Theater“ in Oakland gesehen. Während ich seinen Stil beeindruckend fand und großen Respekt für sein außergewöhnliches Talent habe, neige ich persönlich mehr in Richtung Ringo Starr. Ich mag Drummer, die ihr Spiel einfach und song-dienlich halten, ohne zu dominant daher zu kommen. Auch wenn ich seinen Style nicht selbst nachahme, macht er mir großen Spaß als Fan und ich bin dankbar, dass sie den Weg für ein ganzes Genre geebnet haben: den Progressive Metal.“
„You can take MP out of DT, but you can’t take DT out of MP…“
Dieser Rolle ist sich der extrovertierte Portnoy durchaus bewusst, weswegen er sein aktuelles Projekt „Mike Portnoy’s The Shattered Fortress“ ins Leben gerufen hat, um seinen Fans nochmal die Möglichkeit zu geben, ihn „Dream Theater“-Songs spielen zu sehen: „You can take MP out of DT, but you can’t take DT out of MP…“, schreibt er dazu gewohnt selbstbewusst und vielleicht auch ein wenig selbstverliebt auf Facebook. Aber trotz unzähliger Projekte fordert seine Fanbase seit fast 7 Jahren seine Rückkehr zum Prog-Giganten „Dream Theater“, der zwar auch ohne ihn mit Drum-Mastermind Mike Mangini erfolgreich tourt, aber trotzdem nicht mehr der selbe ist.
Das liegt vielleicht auch an der hervorragenden Kommunikation mit den Fans, die Portnoy bei „Dream Theater“ von Beginn an gemanagt hat. Am vergangenen Montag informiert er die Fans persönlich über sämtliche sozialen Kanäle über eine Verspätung, die darauf beruht, dass die Band nur um einen Schweden-Gig spielen zu können, am Vortag 16 Stunden in den Norden gefahren sind, nur um heute wieder 16 Stunden Richtung Luxemburg zu rollen. Die Luxemburger Konzertbesucher nehmen es gelassen und genießen in der charmanten Hinterhof-Location der Kulturfabrik Esch unbeeindruckt das ein oder andere Bier unter blauem Himmel.
Als der Bus dann eine halbe Stunde vor angepeiltem Einlass einläuft, strömen die Roadies aus und haben Bühne und Halle eine Stunde später fertig aufgebaut und verkabelt: eine organisatorische Meisterleistung! Ohne große Umwege darf die Vorband „Next to None“ starten, an deren Schlagzeug niemand geringerer als Max Portnoy, der Sohn von Mike Portnoy sitzt. Die blutjunge Kombo ballert mit technischer Finesse drauf los und findet eine relativ unbesetzte Nische im Prog-Dschungel mit mehrstimmigem Clean-Gesang. Den ein oder anderen Growl samt Breakdown können sich die Jungs zwar nicht verkneifen und ernten damit den ein oder anderen verstimmten Blick von den alteingesessenen „Dream Theater“-Fans, aber der Großteil des Publikums nimmt sich der äußerst soliden Leistung des Portnoy-Nachwuchses an und schüttelt schon mal die Köpfe warm. Ein technisch und stimmlich für das junge Alter enorm beeindruckender Auftakt!
Zeit für das Traum-Theater…
Wenig später ist die Bühne frei für den Hauptact, der sich um ein omnipräsentes Riesen-Schagzeug versammeln darf. Zu Portnoy gesellt sich neben dem Nachwuchs-Gitarren-Genie Eric Gillette (wir berichteten: Neal Morse in der Rockhal – Prog Rock in Missionarsstellung) die fast gesamte Besetzung der Progressive-Metal-Band „Haken“. So ersetzen heute ganze drei Gitarristen den „Dream Theater“-Gitarrero John Petrucci, was nochmal deutlich dessen spielerische Klasse unterstreicht. Verstecken müssen sich Gillette, Charles Griffiths und Richard Hen Henshall aber keinesfalls, schließlich gehören die Songs, die vor ihnen liegen, zu den technisch anspruchsvollsten überhaupt.
Die Band startet mit drei Songs vom 1999er-Konzeptalbum „Scenes From A Memory“ und entfachen damit gleich die ungezügelte Begeisterung des Publikums, bei welchem vereinzelt regelrecht glasige Augen zu beobachten sind. Das liegt nicht nur am beliebten Material und den akkurat vorgetragenen Songs, sondern auch an der Begeisterung, die diese Band von Anfang an ausstrahlt, allen voran Portnoy selbst. Er verlegt den Job des Schlagzeugers von der hintersten Ecke der Bühne in die Front und spielt derart charismatisch und fordernd, dass die Fans ihm von Anfang an aus der Hand fressen.
Der Kampf gegen den Alkohol als Konzept-Zyklus…
Kurz darauf leitet er mit einer kurzen Ansprache und einer erneuten Entschuldigung für die Verspätung den eigentlichen Haupt-Teil des Sets ein: den sogenannten AA-Zyklus, den er von 2002 bis 2009 geschrieben und auf 5 „Dream Theater“-Alben verteilt hat. Er handelt von Portnoys Kampf gegen den Alkohol und beinhaltet einige der düstersten, härtesten Songs von „Dream Theater“ überhaupt. Mit dem Läuten einer Glocke eingeläutet, folgt mit „The Glass Prison“ ein Double Bass- und Riff-Orkan, der sich gewaschen hat und 13 Minuten später von einem weiteren Metal-Inferno namens „This Dying Soul“ abgelöst wird. Beide Songs gehen fließend ineinander über und dauern zusammen ganze 25 Minuten. Das Publikum verfolgt jede Wendung, jeden Rhythmus-Wechsel, jedes Solo (und davon gibt es so einige…) mit unglaublicher Aufmerksamkeit und macht lautstark in den entsprechenden Parts mit. Die Begeisterung, die der zusammengewürfelten, aber äußerst motivierten Gruppe entgegen schlägt, macht deutlich, wie wichtig das Elementarteilchen Mike Portnoy für „Dream Theater“ eigentlich war.
Sein Nachfolger Mike Mangini mag noch sauberer und genauer spielen, aber der oft regelrecht überschwengliche Enthusiasmus mit dem ein Mike Portnoy in die Kessel haut, fehlt seinen ehemaligen Kollegen seit seinem Ausstieg merklich. Er war bei „Dream Theater“ der heimliche Frontmann. Das ist er auch heute, von der ersten Note bis zur letzten. Ross Jennings von „Haken“ übernimmt zwar die meisten Gesangs-Parts, verschwindet aber immer wieder hinter die Bühne, um den Instrumental-Genies das Feld zu überlassen. Dabei macht er seine Sache deutlich besser als der stimmlich oft schwächende „Dream Theater“-Sänger James LaBrie. Das Verschwinden des Sängers mag befremdlich erscheinen, ist im Progressive Metal mit überlangen Songs und langen Solo-Sektionen aber keine Seltenheit. Nicht selten schweifen die Lieder derart ab, dass einem vor Rhythmus-Wechseln und Stimmungs-Schwankungen beinahe schwindelig wird. Hinter jeder Ecke lauert ein Break, ein krummer Takt, ein anderer Beat, eine andere Melodie, die sich dann in epische Höhen schraubt, bevor sie wieder von einem anderen noch verrückteren Part abgelöst wird….alles untermauert von haarsträubenden Double-Bass-Kombinationen, abenteuerlichen Akzentuierungen und Trommel-Läufen in Lichtgeschwindigkeit. Aus den Ideen, die hier in einem Song verbaut sind, schreiben andere Bands ganze Alben.
Finally Free
Als der AA-Zyklus mit „The Shattered Fortress“ endet, ist nicht nur die Band erschöpft angesichts der spielerischen Leistungen. Auch das Publikum wurde von den oft anstrengenden Kompositionen gefordert. Trotzdem lässt es sich die Band nicht nehmen, nach einer kurzen Pause nochmal zurück auf die Bühne zu kommen und noch 3 Zugaben zu spielen, die dann – wie sollte es im Progressive Metal anders sein – auch nochmal fast 30 Minuten Spielzeit verschlingen. Mit dabei auch das vollkommen verrückte Instrumental-Feuerwerk „The Dance of Eternity“, welches Rekord-verdächtige 108 Taktwechsel aufweist und das Publikum angesichts der akuraten Darbietung nochmal in Begeisterungs-Stürme ausbrechen lässt. Den Abschluss bildet schließlich „Finally Free“ – das Finale des Konzept-Albums „Scenes From a Memory“, welches den Abend episch und mit vielen glasigen Augen enden lässt. Schließlich war diese Tour vielleicht das letzte Mal, dass Portnoy sich durch diese Taktsalate gearbeitet hat:
„For all of you that have been posting online for the past 6 years wanting to see me to „go back to DT“, unless those guys have a change of heart, it seems this is the closest you are going to get!!
There are no guarantees for tomorrow…there’s only TODAY!
So I am seizing the fuck out of the day… 🙂
This is the ONLY (and possibly last??) chance to share the DT experience with me and hear me play this music again…
THIS IS IT…CARPE DIEM!“
Was im Vorfeld gerne als Geld-Macherei oder als „guilty pleasure“ für die nervenden „Dream Theater“-Fans abgetan wurde, kristallisiert sich an diesem Abend in Luxemburg als emotionaler Trip in die Vergangenheit heraus, den Portnoy mit seinen Fans teilen will. Mit der ersten (und wahrscheinlich einzigen) Performance seines AA-Zyklus setzt er eine lange geplante Idee auch ohne „Dream Theater“ in die Tat um und pumpt dafür umso mehr Herzblut in die Angelegenheit. So werden zwei Dinge an diesem Abend klar: Portnoy ist die Seele vieler „Dream Theater“-Songs, die die technischen Meisterwerke erst lebendig werden lässt. Und dann die Tatsache, das dies tatsächlich ein kurzer, einmaliger Trip in ein vergangenes Stück Rock-Geschichte gewesen ist, der so vermutlich wirklich nie wieder kommt…nicht mit dieser Spielfreude und dieser illustren Ansammlung von Musikern, die alle offensichtlich extremen Spaß an dieser technischen Herausforderung in Verbindung mit einem leidenschaftlich mitfeierndem Publikum haben.
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