Von Andreas Gniffke
„90 Minuten Südamerika“ ist kein Fußballbuch. Zwar zieht sich das runde Leder wie ein roter Faden durch Mark Schepperts Buch, doch die Beschreibung seiner wilden Reisen durch Südamerika beschreiben vielmehr die Erlebnisse eines nach Freiheit und sich selbst suchenden jungen Mannes. Die 5vier.de-Bücherecke des Monats Juni!

Mark Scheppert als Fan der deutschen Nationalmannschaft an den Traumstränden Brasiliens (Foto: Mark Scheppert)
Es ist kein schönes Erlebnis, das Autor Mark Scheppert zu Beginn seines Buches „90 Minuten Südamerika“ beschreibt. Gemeinsam mit seinen Freunden sitzt er, der Stadt entrückt, auf dem Sockel der Oberbaumbrücke in Berlin. Es ist der Abend des Jahres 1990, an dem Deutschland in Italien den Weltmeistertitel errungen hat. Die Wiedervereinigung steht vor der Tür, braun-besoffene Gestalten wanken im Freudentaumel durch die Straßen und grölen „Deutschland, Deutschland über alles“. „Ich schäme mich für meine Landsleute – zutiefst“ lässt Scheppert sein Ich im Buch sagen. Gemeint sind seine Landsleute aus der ehemaligen DDR, die nun im schwarz-rot-goldenen Freudentaumel lange vor der Schland-Euphorie durch die Straßen ziehen. Mark Scheppert ist anders:
Das ist nicht mein Land, mein Team und auch nicht mein Tor. […] Die deutsche Fußball-Nationalmannschaft kann mir heute und wahrscheinlich bis in alle Ewigkeit gestohlen bleiben. Und dieses Deutschland eigentlich auch. Ich bin kein Deutscher! Ich möchte reisen und rote Punkte auf eine riesige Weltkarte kleben. Will andere Kulturen kennen lernen, andere Landschaften und Architekturen bestaunen, andere Lebensweisen begreifen lernen, andere Menschen treffen, andere Bier- und Fischsorten testen, andere Musik hören und anderen Sex haben.
Mark Scheppert, Jahrgang 1971, hat mittlerweile drei Bücher veröffentlicht, die alle mehr oder weniger autobiographisch sind. In „Mauergewinner oder ein Wessi des Ostens“ versucht er einen eigenständigen Blick auf seine Jugend in der DDR zu werfen und das Lebensgefühl seiner Generation zu beschreiben. In seinem jüngsten Buch „Alles ganz simpel“ geht er noch einen Schritt weiter zurück und nähert sich vorsichtig der Biographie seines Großvaters vom Hitlerjungen zum Alterspräsidenten der Linken in Berlin Marzahn-Hellersdorf an.
In „90 Minuten Südamerika“ beschreibt der Berliner, wie er seine neu gewonnene Freiheit auslebt und in Richtung Südamerika aufbricht. Eine Reise, die sein Leben nachhaltig verändern wird. Mit seinen Freunden Matze und Göte bereist er 1992 Mexiko und von da an alle zwei Jahre, im Rhythmus der großen Fußballturniere, den gesamten lateinamerikanischen Kontinent. Die Freunde lassen sich treiben, sind Reisende der besonderen Art, die vor allem auf der Suche nach billigem Bier, Schnaps und schönen Frauen sind. Dadurch blicken sie weit hinter die Fassaden der Eindrücke, die Pauschaltouristen und Nobel-Backpacker machen, lernen die Länder aus einer speziellen Perspektive kennen. Meistens von unten. Ganz gefahrlos ist das nicht, mehr als einmal geraten die Freunde in Lebensgefahr. Doch was sie finden, ist, etwas ganz Besonderes:
Göte kommt nach vorne gelaufen, drückt uns ein Buch in die Hand und stammelt: ‚Ich muss mich bei euch bedanken. Ihr habt mir eben echt das Leben gerettet. Ihr seid richtig gute Freunde!‘ Ich drehe mich nicht um. ‚Vielleicht bin ich ja genau deswegen hier‘, denke ich ergriffen. Manchmal muss man eben sehr weit reisen, um in einem solchen Moment, genau das zu begreifen: Ja, auch mir ist die Freundschaft mit den Jungs mehr wert, als das Bewundern der ganzen Welt!
Die „Reisegruppe Scheppert“ bereist Südamerika scheinbar planlos. Auch wenn die touristischen Hauptattraktionen durchaus auf der Route liegen und mehr oder weniger aufmerksam besichtigt werden, sind diese doch nicht das wahre Ziel der Reise. Was genau dieses Ziel aber ist, scheint niemandem der Gruppe wirklich klar zu sein. „Ich glaube, wir fahren nach Südamerika, damit wir später ein gemeinsames Thema finden werden. Etwas, das uns verbindet, an alte Zeiten erinnert und uns vergegenwärtigt, dass wir einmal jung und unbekümmert waren.“ Und tatsächlich verändern sich Scheppert und seine Freunde im Laufe der Jahre und mit ihnen der Geist ihrer Reisen. Sie werden älter und auch die finanziellen Voraussetzungen ändern sich. Das Buch lässt sich so als „Coming-of-Age“-Darstellung lesen, die Helden werden zunehmend erwachsen, auch wenn Züge der jugendlichen Unbekümmertheit (zum Glück) auch noch bei den letzten beschriebenen Reisen bewahrt werden konnten. Die Freundschaft zu den alten Gefährten bleibt bestehen, auch wenn sich die Intensität verändert hat. „Wenngleich wir uns über die Jahre ein wenig voneinander entfernt haben, weiß ich, dass auch sie bis ans Lebensende das Jetzt und Hier genießen können, dass die Neugier niemals sterben wird. Wir sind wieder gemeinsam unterwegs.“
„90 Minuten Südamerika“ bietet kurzweiliges Lesevergnügen für all diejenigen, die es in Traum oder Realität in die Ferne zieht. Scheppert verliebt sich, entliebt sich und genießt Freundschaft und Gastfreundschaft. Manches ist recht derb. Es wird gesoffen und auch der Sex kommt nicht zu kurz, doch kann man jugendliche Unbekümmertheit etwa ohne dies beschreiben?
Und auch sein Verhältnis zu Deutschland und zur Nationalmannschaft hat sich im Laufe der Reisen verändert. In der Fremde wird er immer wieder mit seiner Heimat konfrontiert und als Deutscher wahrgenommen. Vor allem der Fußball bietet genügend Gesprächsstoff und mehr und mehr findet Scheppert einen Bezug zu „seiner“ Nationalelf. Dennoch ist „90 Minuten Südamerika“ kein Fußballbuch, wie er selbst festhält:
Ich bin der König der Fußball konsumierenden Sesselfurzer. Bin die Nummer 1 der Auslands-Supporter vor dem TV, der Mann mit dem unnützen Halbwissen ohne Livespiel-Praxis. Deshalb muss ich Folgendes festhalten: Dies ist kein Fußballbuch und ich kann auch keines schreiben. Lediglich bei ein paar Länderspielen „meiner“ Mannschaft war ich vor Ort und nur ein Auswärtsspiel steht in meiner Vita. Auch das fand im Olympiastadion gegen die Türkei statt. Bei keiner einzigen EM- oder WM-Partie habe ich bisher mit Anwesenheit geglänzt. Das ist einfach zu wenig.
Mark Scheppert wird dies wohl ändern. Im Jahr 2014 findet seine „Heim-WM“ in Brasilien statt und zum Glück weiß er bereits, wie das Turnier endet. Immer wieder befragte er auf seinen Reisen Schamanen und sonstige Wahrsager, die übereinstimmend zu einem Ergebnis kamen: Weltmeister wird Deutschland. Und ein Treffpunkt ist auch schon ausgemacht. 13. Juni 2014, Rio de Janeiro, 14 Uhr an der Copacabana gegenüber vom Marriott-Hotel am „gelben“ Kiosk. Mark Scheppert wird vor Ort sein.
Ein ausführliches Interview mit dem Autor gibt es am Montag, natürlich auf 5vier.de!
Mark Scheppert
90 Minuten Südamerika
156 Seiten, 11,90 €
Bestellbar im Buchhandel und sogar signiert unter www.markscheppert.de!
Ein Update mit dem Titel
“90 Minuten Update” – Was bis zur EURO 2012 noch geschah
ist als E-Book für 0,99 € auf der Website des Autors erhältlich!
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