Am Sonntag, 23. September, fand die zweite Premiere der aktuellen Spielzeit 2012/13 statt. Nein, sie fand nicht einfach nur statt, sie wurde gefeiert. “Galileo Galilei“ wurde für seine intelligente Inszenierung und die herausragende Arbeit des Ensembles mit minutenlangen stehenden Ovationen honoriert.
Galileo Galilei, der berühmte Mathematiker, Physiker, der Naturwissenschaftler schlechthin, der in den Augen der Geschichte seine eigenen Augen stets nur im nächtlichen Sternenhimmel hatte, hat ein ganz irdisches Problem. Er isst gerne gut, er trinkt gerne gut, er lebt gerne gut und leider auch über seine Verhältnisse. Als Mathematikprofessor verdient man im Venedig des 16. Jahrhunderts nun mal nicht so viel, wie die hoch angesehenen Theologie- und Philosophieprofessoren. Da muss schon zwischendurch mal eine praktikable Erfindung her, etwas von Marktwert, das die Herren Uni-Vorstände zu einer kleinen Gehaltserhöhung bewegen könnte. Aber woher nehmen, wenn nicht stehlen? Oder doch stehlen?
Als Galileo, alias Peter Singer, von einer holländischen Gassenerfindung, dem Teleskop, Wind bekommt, ist der Entschluss schnell gefasst, die Erfindung weiter zu entwickeln und unter eigener Flagge an den Mann zu bringen. Der Schwindel fliegt auf. Aber dafür entdeckt Galilei bei einem Blick durch seine geklaute Erfindung etwas viel Bedeutenderes: den Beweis für das kopernikanische Weltbild. Damit nimmt das Schicksal seinen Lauf. Galileo will weiter forschen, braucht dafür aber wesentlich mehr Geld, als er in Venedig verdient und geht nach Florenz. Dort wird er allerdings mit dem ärgsten Feind der Wissenschaft konfrontiert: der Religion. Die Inquisition zwingt ihn dazu, seine Thesen zu widerrufen.
Zum Ende seines Lebens hin muss Galileo schließlich resümieren: was hätte er alles tun können für die Wissenschaft, für den Fortschritt, für die Menschheit? Wäre er nur standhaft geblieben. Die Antwort darauf findet er nicht, dafür findet er Antworten auf einige andere Fragen und schreibt diese nieder in seiner Discorsi, die der Wissenschaft den Weg gewiesen hat in ein neues Zeitalter.
Eine Paraderolle
Galileo Galilei war ein großer Mann, im bedeutenden Sinne, im körperlichen war er für heutige Verhältnisse wahrscheinlich nicht gerade hochgewachsen. Sein Gesicht zierte ein prächtiger Bart, er war ein Genussmensch und dementsprechend etwas untersetzt. Wer an ihn denkt, wird das Bild eines bärtigen, etwas ältlich wirkenden Mannes vor sich sehen, jenes berühmte Gemälde Justus Sustermanns um 1636. Doch für die Premierenbesucher des Trierer Galileo Galilei hat der berühmte Mathematiker seit Sonntag ein neues Gesicht: das von Peter Singer.
Eine Paraderolle für den Schauspieler, in der er alle Facetten seines Könnens offen legen konnte, da war jede Minute des fast dreistündigen Premierenabends ein Genuss. Weder Inszenierung, noch Darsteller verloren auch nur für einen Augenblick an Spannung und Intensität. Ein Ensemblestück, in dem (endlich wieder) das Beste aus allen Beteiligten herausgeholt worden war.
Obwohl bis auf Singer als Galileo alle Kollegen in verschiedene Rollen schlüpfen mussten, wirkte keine der kleinen Rollen unausgefüllt. Ganz im Gegenteil, vom schrulligen Professor, bis hin zur Gestapo-ähnlichen Grenzwache oder dem Brechtschen Erzähler wurde jeder Rolle Leben und Persönlichkeit eingehaucht, ohne schablonen- oder gar klischeehaft zu wirken.
Auch die Wandelbarkeit der Schauspieler war beeindruckend, sei es Michael Ophelders, der einmal als besorgter Freund überzeugte, um im nächsten Moment als skrupelloser Großinquisitor Unbehagen zu verbreiten und schließlich als korrupte Grenzwache ein paar Euro in der eigenen Tasche verschwinden zu lassen. Oder Tim Olrik Stöneberg, einmal als aalglatter Sonnyboy, dann wieder als hornbrillentragender Professor. Oder Jan Brunhoeber, auf der einen Seite als Brechtverschnitt, dann als überschwänglicher Schüler oder als torkelnder Mönch.
Überzeugend waren sie alle. Wer da meckern will, kann allerhöchstens sagen, dass es ihm schwerfiel, eine Lieblingsfigur zu finden.
Absolut sehenswert
Obwohl einer ganz klar aus der wandlungsfähigen Masse herausstach: Hauptdarsteller Peter Singer als naives Genie, als feiger Denker, als rücksichtsloser Genussmensch, als besessener Workaholic, der daran glaubt, dass selbst der dümmste Mensch sich irgendwann der Vernunft hingeben muss. Doch erst mal muss sich der schlauste Mensch der Ignoranz beugen, um schließlich als blinder, alter Mann ein letztes Aufbäumen zu starten, verschmitzt sein Lebenswerk aus dem Geheimfach zu ziehen und seinem alten Schüler mit auf den gefährlichen Weg nach Holland zu geben. Eine unglaubliche Leistung, die mit minutenlangen Standing Ovations vom vollkommen zu Unrecht nicht ausverkauften Haus gewürdigt wurde.
Die Inszenierung von Horst Ruprecht ist nicht nur spannend und intelligent, sie ist fesselnd, von tiefem Verständnis, ein „echter“ Brecht mit Liedern und Zwischenüberschriften, Effekten und allem, was das Fanherz begehrt. Eine besondere Inszenierung. Fast kinoreif. Hierfür werden Bühnen gemacht. Die Ausstattung von Sabine Böing trägt ihr Übriges zur Inszenierung bei und rundet das Bild mit mal modernen, mal zeitgenössischen, mal prunkvollen Kostümen ab. Ein Hingucker dabei ist das runde, schräge Bühnenbild, die sogenannte „Herdplatte“, die das Geschehen in der Tat zum Kochen bringen kann. Die Musik von Hanns Eisler vorgetragen von Angela Händel unterbricht, hebt hervor, verbindet, verfremdet, stets zweckmäßig, stets passend, stets kunstvoll. Ganz wie ein Brecht eben sein soll.
Abschließend bleibt zu dieser spannenden, klassischen und doch zeitlosen Inszenierung nur eines zu sagen: Unbedingt ansehen.
Fotos: Theater Trier
5vier-Redaktion meint
@erich heinzer
Fundierte Kritik nehmen wir uns stets zu Herzen, allerdings nur wenn sie ein gewisses Niveau aufweist. Daher sahen wir uns leider gezwungen, Ihren ausführlichen Kommentar zu unserer Theaterkritik zurückzuweisen.